Kampfbegriff "Vereinbarkeit"

[erweiterte Textversion vom 3.6.2016, 18:35]

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eines der meistdiskutierten Themen in der Geschlechterdebatte. Immerhin ca. 360.000 Ergebnisse findet Google bei der Suche "Vereinbarkeit von Beruf und Familie".

Das Thema gilt zugleich als eines der zugkräftigsten Argumente, mit denen Frauen für den Feminismus begeistert werden, denn "der Feminismus" (TM) kennt die Lösung dieses Problems. Oder man kümmert sich zumindest als einziger darum.

In Wahrheit ist es eher umgekehrt, "der Feminismus" erzeugt dieses Problem (und viele weitere). "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" ist ein Kampfbegriff, der mit versteckten Annahmen und impliziten Aussagen arbeitet und den Blick auf die tatsächlichen Fragestellungen verstellt und eine der Sache angemessene Diskussion verhindert. Rhetorisch ist das - muß man schon anerkennen - geschickt gemacht:

  • Daß man sowohl Geld verdienen, also i.d.R. einen Beruf ausüben muß, und eine Familie mit Kindern haben möchte, sind ganz grundlegende Lebensziele, die offensichtlich sind und die niemand ernsthaft bestreiten kann. D.h. jeder wird spontan und ohne lange nachzudenken der Forderung, Beruf und Familie sollten irgendwie vereinbar sein, zustimmen.
  • Völlig offen bleibt allerdings, was unter "Beruf" und "Familie" genau zu verstehen ist und für wen und warum genau diese beiden Dinge unvereinbar sein sollten. Für viele Leute sind Beruf und Familie durchaus vereinbar, die Klage von der fehlenden Vereinbarkeit soll vor allem ein Bewußtsein konstruieren, daß wir da ein generelles, alle betreffendes soziales Problem haben (unter dem besonders die Frauen leiden), auch wenn es nicht so genau beschreibbar ist.
  • Der Zweck der Konstruktion eines Problems besteht natürlich darin, sich als Lieferant der einzig wahren Lösung zu positionieren ("Mehr Teilzeitstellen für Männer!"). Der Begriff wird sozusagen als trojanisches Pferd benutzt, um feministische Ideologie bzw. Politik zu verbreiten, ohne diskutieren zu müssen, ob überhaupt ein relevantes soziales Problem vorliegt, ob die feministischen Lösungen die einzig möglichen sind und ob sie überhaupt eine Lösung sind. Dieses Versteckspiel gelingt deshalb gut, weil (s. voriger Punkt) das genaue Problem nicht klar ist,

Einschub: die fehlende Vereinbarkeit von Ballett und Sumo-Ringen

Herbert Müller ist Mitglied des Hintertupfinger Allgemeinen Sportclubs (HAS). Er überschüttet die Vereinsleitung seit langem mit Vorwürfen hinsichtlich der fehlenden Vereinbarkeit von Ballett und Sumo-Ringen, beides Sportarten, die ihn interessieren und für die er den Beitrag entrichtet. Trotz mehrjähriger intensiver Bemühungen hat er in beiden Sportarten keinen Erfolg, was die Inkompetenz der Trainer beweist, deren umgehenden Austausch er daher fordert.
Finde den oder die Fehler.

Auflösung:

  1. Niemand hindert Herrn Müller, im Ballett- oder Sumo-Ringer-Anzug auf die Bühne bzw. Matte zu steigen und herumzuhopsen oder zu versuchen, den Gegner von der Matte zu drücken. Also übt er beide Sportarten aus, und sie sind offenbar vereinbar.

    Herr Müller wird an dieser Stelle einwenden, seinem Herumzuhopsen mangele es an Eleganz und seine Sumo-Gegner würden ihn von der Matte drücken, das entspräche nicht seinen Qualitätsansprüchen an die Sportausübung.

    Herrn Müllers pauschale Behauptung ("Ballett und Sumo-Ringen sind nicht vereinbar!") basiert somit entscheidend auf Annahmen darüber, was er privat als angemessene Sportausübung betrachtet. Diese Maßstäbe sind zunächst nur ihm bekannt und im Prinzip willkürlich. Ohne diese Maßstäbe ist die Klage "Ballett und Sumo-Ringen sind nicht vereinbar!" sinnlos. Seine Maßstäbe sind ein entscheidender Teil seiner Klage, er drückt seine Maßstäbe aber nicht explizit aus. Stattdessen postuliert er mit dem Begriff "fehlende Vereinbarkeit" eine negative Wirkung der einen Sportart auf die andere, die Funktionsweise dieser Wirkung wird nicht näher spezifiziert.

    Diese postulierte negative Wirkung wird implizit als einziger bzw. dominierender Grund für das Verfehlen der subjektiven Ziele positioniert, obwohl es mehrere Gründe für das Verfehlen der Ziele geben kann.

  2. Herr Müller sollte eigentlich wissen, daß ein guter Sumo-Ringer deutlich über 100kg auf die Waage bringen sollte, ein guter Ballettänzer höchstens 60kg. Beide Bedingungen widersprechen sind. Wenn er also fordert, a. ein guter Ballettänzer und zugleich b. ein guter Sumo-Ringer zu sein, stellt er eine prinzipiell nicht erfüllbare Gesamtforderung auf. Der Begriff "Vereinbarkeit" verschleiert dies.
  3. Ein besonders dreister argumentativer Dreh von Herrn Müller besteht darin, die Verantwortung für seine in sich widersprüchlichen Forderungen als Versagen der Trainer zu positionieren und ihnen die Schuld dafür zuzuweisen.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Die Argumentationsfehler bzw. -Tricks unseres tanzenden Sumo-Ringers finden sich exakt in den Klagen über die fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie wieder:
  1. Es gibt Millionen Männer und Frauen, die gleichzeitig einen Beruf und eine Familie mit Kindern haben. Offenbar ist also Beruf und Familie durchaus vereinbar.

    Wenn von "Beruf" die Rede ist, dann ist typischerweise unausgesprochen ein ordentlich bezahlter Beruf gemeint (tw. wird das mit dem Begriff "Karriere" angedeutet), der natürlich aus Spaß machen soll und noch einige andere Kriterien erfüllen soll.

    Und "Familie" bedeutet ggf. angefangen beim Super-Buggy über die musikalische Früherziehung und bis zum garantierten Einser-Abitur jede Menge erzieherischen Streß, unter 6 Stunden am Tag beim 1. Kind läuft da gar nichts.

    Welche Maßstäbe wirklich gemeint wird, wird nicht klar gesagt, und ob sie wirklich überlebensnotwendig sind, kann nicht diskutiert werden - stattdessen werden Gefühle erzeugt, als Frau wieder einmal unterdrückt zu werden. Typischerweise wird der Lebensstandard, den sich kinderlose Paare leisten können, als Vergleich herangezogen und damit ein unerreichbares Ziel gesetzt.

  2. Als Erwachsener sollte man wissen, daß man nicht an einem 24-Stunden-Tag 8-10 Stunden arbeiten (mit Hin- und Rückweg), 6 Stunden Kinder betreuen, 2 Stunden haushalten, 2 Stunden essen und sich selbst versorgen und 7-9 Stunden schlafen und ausruhen kann. Schon gar nicht klappt ein normales Berufsleben bei einer stillenden Mutter, die mit ca. 5 Stunden Abstand regelmäßig stillen muß, weil sonst die Milchproduktion aufhört. You can't have ist all, auch wenn noch so oft das Gegenteil behauptet wird.
  3. Anstatt zu erkennen, das bestimmte Maßstäbe willkürlich oder sogar in sich widersprüchlich sind, werden einfach die störrischen Männer oder das Patriarchat als Ursache der Nichterfüllung der Anforderungen deklariert, am besten garniert mit dem Vorwurf "struktureller Gewalt".

Die Zuverdienerehe und das feministische Verständnis von Beziehungen als Machtkampf

Wenn man den Arbeitsaufwand, den ein Paar mit 2 - 3 Kindern hat, grob überschlägt, dann kommt man heute üblichen Anspruchshaltungen leicht auf 6 - 8 Stunden Betreuungsaufwand (der auch ganz lustig sein kann, aber eben trotzdem Zeit kostet) pro Tag. Die verbreitete Lösung, daß einer beiden Elternteile die Hauptlast übernimmt und beruflich nur noch in Teilzeit arbeitet ("Zuverdienerehe"), ist am effizientesten. Eine völlig gleichmäßige Aufteilung der Betreuungsarbeiten und Teilzeitarbeit für beide schafft zusätzliche Ineffizienzen und ist in den meisten Berufen nicht ohne überproportionale Einkommensverluste möglich - Teilzeitkräfte sind in viele Berufen nicht sinnvoll und deutlich weniger wert als Vollzeitkräfte (mit ggf. sogar Überstunden).

In der Zuverdienerehe ist fast immer die Frau der Zuverdiener. In der feministischen Realitätswahrnehmung, die Paarbeziehungen ausschließlich als Machtkampf zwischen Mann und Frau versteht, ist die Frau daher weniger mächtig als der Mann. Obwohl also in der Zuverdienerehe Berufe und Familie nachgerade mustergültig vereinbart werden, wird sie in feministischen Diskursen als Beweis der fehlenden Vereinbarkeit von Berufe und Familie deklariert.

Das wirkliche Beurteilungskriterium, das unter dem Kampfbegriff "fehlende Vereinbarkeit" versteckt wird, ist die feministisch wahrgenommene Machtungleichheit innerhalb der Paarbeziehung. Übliche Lösungsvorschläge, wie "mehr Teilzeitarbeitsplätze für Männer" oder "Männer zu längerer Elternzeit bewegen" dienen vor allem dazu, die vermutete Übermacht des Mannes zu reduzieren und umgekehrt die Machtposition der Frau durch mehr finanzielles Einkommen zu verbessern. Die Logik ist hier:

Indem der Mann mehr im Haushalt arbeitet (und nicht etwa eine externe Hilfskraft dafür anheuert) und sein Einkommen senkt, verbessert sich für die Frau die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Das ist völlig Unsinn: weder am Beruf der Frau noch an den zuhause zu erledigenden Arbeiten hat sich irgendetwas verändert, daher hat sich auch an deren Vereinbarkeit nichts geändert.