Zu den scheinbar unausrottbaren Geschlechterstereotypen gehört,
daß Frauen Probleme mit der Mathematik und ein distanziertes
Verhältnis zu Zahlen haben. Der institutionalisierte Feminismus
hat den Ruf, gerne mit getürkten Statistiken zu arbeiten, indem
man Zahlen aus dem Zusammenhang reißt und falsch interpretiert.
Eine der Hauptursachen für diese Eindrücke ist die immer wieder
aufgestellte falsche Tatsachenbehauptung, die Durchschnittsfrau
würde für
die gleiche Arbeit 22 oder 23 % weniger Stundenlohn
bekommen als der Durchschnittsmann, und die unzulässige
Schlußfolgerung, sie werde deswegen diskriminiert.
Diese getürkte statistische Behauptung hat den Feminismus enorm viel
Zuspruch gekostet.
Das sollte eigentlich auch den feministischen Aktivisten
klar geworden sein. Man sollte vermuten, daß die Lektion gelernt
worden ist, nicht mit falschen Zahlen und unsauberen
Rechenverfahren zu arbeiten. Unter dieser Annahme ist es sehr
überraschend, daß die offizielle Berechnungsmethode für das Datum
des Equal Pay Days einen gravierenden Denkfehler enthält,
peinlicherweise zuungunsten des feministischen Standpunkts. Wir
erfahren auf www.equalpayday.de:
Das Datum des Aktionstags markiert den Zeitraum, den Frauen über das Jahresende hinaus arbeiten müssen, um auf das Vorjahresgehalt ihrer männlichen Kollegen zu kommen. 2014 findet der Equal Pay Day am 21. März statt.und lernen auch ganz konkret (unter der rein hypothetischen Annahme, daß der unbereinigte Gender Pay Gap von 22% irgendeine Relevanz haben könnte) ...
... wie der Equal Pay Day als Datum berechnet wird: 22% von 365 Tagen sind 80 Tage. Wer ab dem 1. Januar auf dem Kalender 80 Tage abzählt, gelangt zum 21. März ...Richtig abgezählt. Leider stimmt aber die ganze Rechnung nur unter der Annahme, daß unsere Durchschnittsfrau auf wundersame Weise schlagartig ab dem 1.1.2014 genausoviel verdient wie unser Durchschnittsmann. Nur dann könnte sie in 22% des Folgejahres auch 22% des Jahresgehalts unseres Durchschnittsmanns verdienen. Nun ist die Annahme einer solchen Gehaltserhöhung - immerhin rund 28% - überraschend und weltfremd. Unter dieser Annahme ist das ganze Gedankenexperiment mit dem Längerarbeiten bis zum 21.3. nicht mehr wirklich eingängig. Man kann die Annahme trotzdem machen, sollte dann aber zumindest explizit darauf hinweisen. Wenn wir realistischerweise annehmen, daß sich das Gehalt am 1.1.2014 nicht ändert, dann müßte unsere arme Durchschnittsfrau sogar 1.0 / 0.78 = 1.28205 Jahre arbeiten, das macht 1.28205 * 365 = ca. 468 Tage. Davon fallen 468 - 365 = 103 Tage in das Folgejahr. 103 = 31+28+31+13, also wäre das korrekte Datum des Equal Pay Day der 13.04.2014. Den Denkfehler erkennt man noch leichter, wenn man runde Zahlen annimmt. Angenommen (Vorsicht: schwarzer Humor), die Durchschnittsfrau verdient 50% weniger als der Durchschnittsmann, dann müßte sie eigentlich ein ganzes Jahr länger arbeiten, gemäß offizieller feministischer Mathematik nur ein halbes. Man könnte den Fall nun als peinliche Betriebspanne und Lappalie abtun, denn propagandistisch gesehen ist es egal, ob der EPD am 21.03 begangen wird oder am 13.04. (oder am besten am 07.01., denn laut IDW beträgt das wirkliche bereinigte Pay Gap nur 2% und (365 / 0.98) - 365 = ca. 7). Das spätere Datum wäre indes propagandistisch viel besser gewesen und falsch rechnen ist nicht imagefördernd. Deswegen ist die eigentlich spannende Frage, wieso dieser Fehler überhaupt auftreten konnte. Hier kann man nur spekulieren:
- Hat man bewußt falsch gerechnet, weil man der (zu aktivierenden weiblichen) Öffentlichkeit die Division 1.0 / 0.78 nicht zumuten wollte, weil man annahm, damit deren mathematische Kompetenz zu überfordern? Eine höchst bedenkliche Annahme.
- Hat es wirklich keine einzige von den hunderten Frauen, die an der Aktion beteiligt waren und sind, diesen bösen mathematischen Denkfehler bemerkt? Dann könnte also doch etwas an den einleitend erwähnten Geschlechterstereotypen dran sein, der EPD wäre unbeabsichtigt eine publikumswirksame Demonstration geschlechts- und/oder ideologiebedingter mathematischer Inkompetenz. Ebenfalls eine höchst bedenkliche Annahme.
- Falls also doch ein paar Frauen den Fehler
bemerkt haben - zumal dieser Post
nicht der erste und einzige ist, der darauf
hinweist -, wieso haben die nichts gesagt und die anderen
aufgeweckt? Wollten die anderen nichts davon hören?
Jeder macht Fehler, und wenn man selber darauf stößt oder darauf gestoßen wird, sollte man den Fehler abstellen. Einen erkannten Fehler nicht abstellen ist weitaus schlimmer als der Fehler selber, denn dann wird aus einem Irrtum eine Lüge.
Nachträge 24.03.2014
- Ein besonders prominenter Hinweis auf den Rechenfehler stand schon vor einem Jahr im Spiegel: Holger Dambeck: Gleiche Bezahlung für Frauen - Equal-Pay-Initiative verrechnet sich um 22 Tage. Dies unterstützt die obige Spekulation Nr. 3.
- Einen aussichtslosen Kampf gegen die feministische Mathematik scheint man auch seitens der Deutschen Mathematiker-Vereinigung zu führen, wo man sich seit Jahren für eine Korrektur des Equal Pay Day einsetzt.
- Auf heise.de ist inzwischen ein viel ausführlicher Artikel zum EDP Der Equal Pay Day und die 22 Prozent, von Alexander Durin, erschienen, der - wenig überraschend - zum gleichen Fazit kommt: "Geschäftsfrauen in leitenden Stellungen, die den gleichen Lohn für unterschiedliche Arbeit fordern und dabei nicht einmal die Prozentrechnung beherrschen, ... tragen ... dazu bei, Anschauungen, z.B. dass Frauen nicht logisch denken und schon gar nicht rechnen können, zu verfestigen."
-
Leser Gerhard weist auf einen Blogpost von Prof. Dr. Luise F. Pusch hin, in dem
behauptet wird, das richtige Datum des EPD sei der 15.
April. Als überzeugte Feministin stellt sie eine
"frauenzentrierte Rechnung" auf und berechnet den
Stundenlohn des Durchschnittsmanns auf 127,5% des
Stundenlohns der Durchschnittsfrau, also einen
Mehrverdienst von 27,5% oder gerundet 28%. Wie sie von
hier aus auf den 15. April kommt, bleibt schleierhaft und
bestätigt das Fazit des Artikels von Alexander Durin.
Auf Basis von 28% Differenz kommt man, wenn man ganz einfach 365*0.28 = 102.20 = gerundet 102 = 31+28+31+12 rechnet, auf den 12.04.2014.
Auf Basis von 27.5% kommt man auf den 10.04.2014, denn 365*0.275 = 100.375 = gerundet 100 = 31+28+31+10. - Wenn man in der ursprünglichen Berechnung statt des offiziellen, zugunsten der Frauen abgerundeten Werts 78% (= 100% - 22%) den präziseren Wert 78.427 (= 15.56 / 19.84) verwendet, kommt man natürlich auch auf den 10.04.2014, denn 365 / 0.78427 - 365 0.275 = 100.40094 = gerundet 100.
Nachträge 21.03.2015
- Der Groschen scheint seit letztem Jahr nun doch
gefallen zu sein und unterderhand hat man die
Definition des EPD wie folgt umgestellt:
Angenommen Männer und Frauen bekommen den gleichen Stundenlohn: Dann steht der Equal Pay Day für den Tag, bis zu dem Frauen umsonst arbeiten, während Männer schon seit dem 1.1. für ihre Arbeit bezahlt werden.
Mathematisch gesehen ist das jetzt vordergründig richtig (tatsächlich aber falsch, s.u.), didaktisch gesehen aber kurios: in unserem Gedankenexperiment arbeiten die Frauen nie für den Stundenlohn, den sie tatsächlich bekommen, und warum sie umsonst arbeiten sollten, ist intuitiv auch nicht gerade einsichtig. -
Nicht ganz gelungen ist die Kommunikation dieses
mathematischen Salto rückwärts unter allen Beteiligten -
vielleicht auch wegen der fehlenden didaktischen Qualität.
D.h. dieses Jahr geistern beide Definitionen parallel
durch die Politikerreden.
Die TAZ beklagt die Verwirrung um den Equal Pay Day und lästert über die neue Definition: "... eine extrem verquere Erklärung, die nur deshalb gewählt wurde, weil die Organisatorinnen des Equal Pay Days nicht plötzlich ihr Datum nach hinten verschieben wollten."
Sogar die streng feministische Süddeutsche läßt sich zu einem gedämpften Seitenhieb auf die feministische Mathematik hinreißen ("Eigentlich handelt es sich um einen einfachen Dreisatz"), hat aber einen genialen rettenden Einfall: Schuld ist das Statistische Bundesamt! Welches offensichtlich von Männern, also vom Patriarchat regiert wird. Weil es nämlich von 22 Prozent 'Verdienstunterschied' spricht und dabei wieder einmal die hegemoniale Männlichkeit als Bezugspunkt gewählt hat. Deshalb müsse "Schon in der Schule ... Mathematik anders dargestellt werden, ... vielfältiger, alltagsrelevant." Feministisch halt. - Auch die neue Definition enthält immer noch (wie schon die alte) einen gravierenden Denkfehler, der allerdings nicht auf Anhieb erkennbar ist. Relativ leicht von außen erkennbar ist folgender Fehler: Die zentrale Behauptung der neuen EPD-Definition, daß eine statistische Durchschnittsfrau ca. 78% des Jahresverdienstes des statistischen Durchschnittsmann erzielt, ist falsch. Tatsächlich ist es nur ca. die Hälfte. Die neue EPD-Definition wäre nur richtig, wenn die statistische Durchschnittsfrau genausoviele Arbeitsstunden absolvieren würde wie der statistische Durchschnittsmann. Tut unsere Durchschnittsfrau aber nicht, der Anteil der Teilzeitbeschäftigten ist unter den Frauen viel größer als unter den Männern. D.h. wenn das Jahresbruttogehalt als Stundenzahl * Stundensatz dargestellt wird, dann sind beide Faktoren bei Frauen kleiner als bei Männern. Nun könnte man auf die Idee kommen, einfach die Annahme gleicher Jahresarbeitszeiten explizit zu den anderen kuriosen Annahmen über die saisonal wechselnden Stundensätze dazuzunehmen, um die Definition zu retten. Das wäre aber falsch, weil die geringeren Arbeitszeiten eine wesentliche Ursache für die schlechteren Stundensätze sind: Sehr viele der überdurchschnittlich bezahlten Arbeitsplätze haben Wochenarbeitszeiten von 40 Stunden an aufwärts und stehen Teilzeitkräften nicht offen. Die neue EPD-Definition multipliziert unzulässigerweise einen Stundensatz, der nur unter der Annahme eines hohen Anteils von Teilzeitkräften gültig ist, mit der vollen Arbeitszeit, geht also von der Annahme der Vollzeitbeschäftigung aus - ein innerer Widerspruch.