Gleichstellung ist ein weitverbreiteter Begriff, der
intuitiv verständlich - "irgendwie gleich(er?) machen" -
erscheint. Er ist es aber nicht, im Gegenteil ist er bei
näherem Hinsehen sehr kompliziert. Offensichtlich kann man
nicht alle Leute gleich machen oder stellen, sondern
allenfalls "gleicher" machen bzw., um die Logik nicht zu
sehr zu vergewaltigen, weniger ungleich bzw. ähnlicher
machen. Was dies bezogen auf soziale Merkmale bedeutet,
hängt sehr von den Umständen ab und ist hier ausführlicher
dargestellt.
Im real existierenden Feminismus ist die Welt einfacher
gestrickt, dort ist Gleichstellung praktisch
gleichbedeutend mit der Forderung nach einer Frauenquote.
Die Höhe der geforderten Frauenquote beträgt
fallweise 30%, 50% oder sogar 100%, scheint also keine
Naturkonstante zu sein, sondern erheblich von
Ermessensspielräumen, um nicht zu sagen der Tageslaune
relevanter Personen, abzuhängen, in denen der diffuse
Begriff "Gleichstellung" konkretisiert wird.
Die Forderung nach einer Frauenquote ist i.d.R. verbunden
mit der strikten Ablehnung einer
Männerquote.
Angestrebt werden meistens harte
Quoten, die dem Kollektiv der Frauen
Machtpositionen bzw. lukrative Stellen unabhängig von der
Bewerberlage und der Qualifikation der Bewerber
garantieren (ein Beispiel ist die 30%-Quote, die
aktuell bundesweit für Aufsichtsräte angestrebt wird).
Derartige harte Frauenquoten sind allerdings in allen
relevanten Kontexten eindeutig verfassungswidrig, sie
widersprechen offensichtlich Artikel 3 des Grundgesetzes.
Dies ist auch unseren feministischen Akteuren bekannt und
hat zu diversen Ausweichmanövern geführt. Das bekannteste
davon ist im Zusammenhang mit Stellenbesetzungen die
"Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation". Diese
Regel wird inzwischen großflächig eingesetzt. Da sie
Männer nicht wörtlich ausschließt, gilt sie als weiche
Quote, die rechtlich zulässig ist. Weil "gleiche
Qualifikation" indessen kein klar definierter Begriff ist,
ist diese Regel geradezu eine Einladung zum
Mißbrauch. Derartige Mißbräuche zugunsten von
Frauen sind hinreichend oft dokumentiert und beklagt
worden.
Das Papier/Heidebach-Gutachten
Insgesamt hat diese Regel aber nicht ausgereicht, um die
politisch gewünschten Frauenquoten zu erzielen. Dies hat
der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, insb. dessen
Emanzipationsministerium, keine Ruhe gelassen und
dazu geführt, ein hochkarätiges Rechtsgutachten in Auftrag
zu geben, das "... rechtliche Spielräume zur
verbindlichen Festlegung von Zielquoten sowie zur
Verankerung von Sanktionen" prüfen sollte. Dieses
Gutachten liegt seit einer Weile vor:
In den Pressemitteilungen des Emanzipationsministeriums wird das Rechtsgutachten als Meilenstein bezeichnet. Das ist es auch. Es ist trotz seiner Länge von rund 60 Seiten sehr lesenswert. Erstens bestätigt es an mehreren Stellen zumindest für den öffentlichen Dienst männerrechtliche Standpunkte, z.B. daß harte Frauenquoten grundsätzlich verfassungswidrig sind. Zweitens dokumentiert es die Hinterhältigkeit, mit der die verfassungsmäßige Gleichberechtigung unterlaufen werden soll.Hans-Jürgen Papier, Martin Heidebach :Rechtsgutachten zur Frage der Zulässigkeit von Zielquoten für Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst sowie zur Verankerung von Sanktionen bei Nichteinhaltung .Ministerium für Inneres und Kommunales, NRW , 30.05.2014. http://www.mgepa.nrw.de/mediapool/pdf/presse/pressemitt ... ten.pdf
Wie unterläuft man das Grundrecht auf
Gleichberechtigung?
Die "Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation"
ist nur dann wirksam, wenn ein männlicher und weiblicher
Kandidat gemäß den Anforderungen einer
Stellenausschreibung gleich qualifiziert sind. Je genauer
nun die Anforderungen spezifiziert sind und je genauer man
die Qualifikation mißt, z.B. durch Zeugnisnoten,
Zertifikate, Berufserfahrung usw., desto seltener greift
die weiche Quote und umso häufiger greift das Prinzip der
Bestenauslese, wonach geschlechtsunabhängig der
qualifizierteste Kandidat gewählt wird.
Den Wunsch der Landesregierung nach einer "verbindlichen
Festlegung von Zielquoten" kann man nun realisieren, indem
man die legale Form der Frauenbevorzugung durch eine
weiche Quote möglichst häufig anwendbar macht. Hierzu wird
sinngemäß vorgeschlagen, die Meßgenauigkeit bei der
Beurteilung der Qualifikation von Bewerbern zu reduzieren.
Wenn man beispielsweise Noten auf ganze Zahlen rundet,
werden die Schulnoten 1.6 und 2.4 beide zu einer 2.0 und
somit gleich. Man kann auch ganz darauf verzichten, die
Note zur Bewertung heranzuziehen und man kann
vorteilhafte, aber nicht strikt notwendige Qualifikation
nicht mehr in der Stellenausschreibung erwähnen, also
können sie auch nicht mehr zum Vergleich von Bewerbern
herangezogen werden. Spannend wird es, wenn mehrere
"gleich qualifizierte" Frauen gewinnen und eine ausgewählt
werden muß: wird dann gewürfelt oder werden nachträglich
Kriterien verwendet, die bei Männern nicht verwendet
wurden?
Die Vergröberung, mit der die geforderten Qualifikationen
in Stellenbeschreibungen dargestellt werden und mit der
die Qualifikation von Bewerbern beurteilt wird, kann
nichtöffentlich erfolgen, z.B. in Form von internen
Durchführungsbestimmungen für Besetzungsverfahren oder
indem Frauenbeauftragte Qualifikationsbeschreibungen oder
Kandidatenbeurteilungen, die zu detailliert sind,
blockieren. Derartige Maßnahmen würden öffentlich kaum
bekannt werden und wären von betroffenen Männern
juristisch kaum anzugreifen.
Im Endeffekt wird das Prinzip der Bestenauslese
weitgehend ausgehebelt, also Art.
33 Abs. 2 GG unterlaufen, um damit die
Gleichberechtigung nach Art.
3 Abs. 2 GG aushebeln zu können.
Das Papier/Heidebach-Gutachten diskutiert in vielen
Details die rechtlichen Klippen, an denen dieses Vorhaben
scheitern kann.
Allerdings kann man alleine die Absicht,
Grundrechte in ihrer Substanz zu unterlaufen, als zutiefst
korrupt und verfassungsfeindlich ansehen.
Ministerielles Doublespeak
Das Düsseldorfer Emanzipationsministerium bestätigt einmal
mehr eindrucksvoll, daß es den Sonderpreis für
Doublespeak redlich verdient hat, und
zwar mit folgender Pressemitteilung anläßlich der
Veröffentlichung des Gutachtens:
Der Begriff "Emanzipation" im Titel verblüfft - das Unterlaufen von Grundrechten stellt natürlich auch eine Art von Emanzipation dar, allerdings eine, die man eher von verfassungsfeindlichen Organisationen erwarten würde.Emanzipation: Landesregierung will mehr Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst (Pressemitteilung) .Ministerium für Inneres und Kommunales und Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter , 08.07.2014. http://www.mgepa.nrw.de/ministerium/presse/pressemittei ... dex.php
Im Text wird beklagt, die bisherigen Auswahlverfahren
würden "die Quote aushebeln". Welche Quote? Gibt es ein
Gesetz, das eine harte Quote für bestimmte Populationen
öffentlich Bediensteter vorschreibt? Das Gesetz wäre
verfassungswidrig und müßte von Amts wegen nicht nur
ausgehebelt, sondern aufgehoben werden.
Die Pressemitteilung unterstreicht die Bedeutung des
"Gleichstellungsgebots". Die am Ende der
Pressemitteilung verlinkten Erläuterungen zum Gutachten erwähnen ein
"Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes nach Art. 3 Abs. 2
GG" gleich drei Mal.
Leider kommt der Begriff "Gleichstellung" im Grundgesetz
nicht vor, weder im Art. 3 Abs. 2, noch an anderer Stelle.
Dies ist kein Zufall, die gemeinsame Verfassungskommission von Bundesrat und
Bundestag hat seinerzeit diesen Begriff explizit
vermieden.
Anmerkung: Wenn es so etwas wie ein Gleichstellungsgebot mit Verfassungsrang gäbe, dann wäre dieses Gebot auch nicht selektiv bei einzelnen Machtpositionen anwendbar, die bei feministischen Interessenvertretungen Neidkomplexe auslösen, sondern müßte flächendeckend angewandt werden, angefangen über die Lehrerschaft an Grundschulen über die Population der LKW-Fahrer bis hin ... zur Leitung des Emanzipationsministeriums (5 von 6 leitenden Positionen bis auf Abteilungsleiterebene sind weiblich besetzt) sowie im Berufsfeld der Gleichstellungbeauftragten.Die Pressemitteilung behauptet ferner: "Verfassungsrechtler Prof. Papier unterstreicht die Bedeutung des Gleichberechtigungsgebots". Das ist inhaltlich durchaus korrekt, war aber vermutlich nicht gemeint, denn Gleichstellung ist das Gegenteil von Gleichberechtigung. Eventuell ist das MGEPA schon ganz konfus vom eigenen Doublespeak.
Im Gutachten von Prof. Papier kommt das Wort
"Gleichstellungsgebot" jedenfalls nicht vor. Statt diesen
unklaren und propagandistisch platten Begriff zu
verwenden, weist das Gutachten immer wieder auf
notwendige, im Detail sehr komplizierte Güterabwägungen
zwischen den involvierten Gesetzen hin. Hierbei fließen
Spekulationen über die Auswirkungen bisheriger Gesetze
ein, die im Prinzip soziologische Analysen der deutschen
Gesellschaft der letzten 20 - 30 Jahre sind. Man fragt sich
hier, ob sich Juristen nicht aufs Glatteis begeben, wenn
sie sich fachfremd als Soziologen betätigen und ob hier
nicht hauptberufliche Soziologen mitreden sollten.
Insgesamt stellt der Eindruck, den die Pressemitteilung
des MGEPA hinterläßt, den Inhalt des Gutachtens beinahe
auf den Kopf. Die prinzipielle Absicht, harte Frauenquoten
auf Umwegen zu erzwingen, ist verfassungswidrig, und die
geplanten Brachialmaßnahmen zugunsten von Karrierefrauen
sind nicht alternativlos, sondern basieren auf
willkürlichen politischen Güterabwägungen und sind hart am
Rande der Legalität.
Fazit
Das Gutachten von Papier/Heidebach ist sehr lesenswert,
denn es zeigt, wie schwierig es ist, abstrakte politische
Wunschvorstellungen in die Realität umzusetzen, und welche
Fallstricke im Detail auftreten. Das Gutachten bekräftigt
teilweise männerrechtliche Positionen hinsichtlich der
Verfassungswidrigkeit von Frauenquoten, teilweise enthält
es auch Klarstellungen, daß viele einseitige, oft monierte
Maßnahmen zur Frauenförderung legal sind. Die Argumente
gelten aber mit vertauschten Rollen analog für Männer.
Die Landesregierung bzw. das MGEPA demonstrieren mit ihrer
Pressemitteilung, aber auch schon durch die Ziele der
Auftrags (s. Abschnitt II. "Zielquoten" des Gutachtens),
daß man an einer seriösen und ergebnisoffenen Debatte
nicht interessiert ist, sondern lieber feministische
Propaganda betreibt. Exemplarisch zeigt sich dies an dem
frei erfundenen "Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes
nach Art. 3 Abs. 2 GG".
Abzuwarten bleibt, ob NRW oder andere Länder bzw. der Bund
die in dem Gutachten angeregte Methode realisieren werden,
über die Aushebelung des Prinzips der Bestenauslese
indirekt (über eigentlich nachrangige Gesetze, die weiche
Quoten definieren) auch das Grundrecht auf
Gleichberechtigung auszuhebeln. Auch hier droht wieder
einmal, daß wie üblich beim Gender
Mainstreaming die öffentliche Debatte umschifft
wird und auf dem Verwaltungsweg Tatsachen geschaffen
werden.