Donnerstag, 7. Januar 2021

Winterschule "Mediendemokratie", Folge 5: Journalisten


Journalisten sind schon etliche Male in den vorigen Folgen der Winterschule "Mediendemokratie" erwähnt worden, vor allem als Mitglieder der Machteliten. Wir wollen hier natürlich keinen "Gipfel-Fehlschluß" [1] begehen, d.h. es ist nicht ganz klar, ob alle Politik-Journalisten so viel Macht und Einfluß haben und diese Macht skrupellos für eine eigene politische Agenda einsetzen. Genährt wird dieser Verdacht immerhin von Journalistinnen, die ihre "Haltung" als alternativlos anpreisen. Auch bei den beiden Damen, die der New York Times in 2020 zwei Presse-Skandale eingebrockt haben, war der Wille zu Formung der öffentlichen Meinung in eine bestimmte ideologische Richtung unübersehbar. Da wir gerade bei der politisch/ideologischen Orientierung von Journalisten sind: ich setze die diversen Studien als bekannt voraus, nach denen die deutschen Journalisten extrem nach grün-rot tendieren und ideologisch praktisch auf einem anderen Planeten leben als das normale Volk.

Denkbar ist natürlich auch, daß die Journalisten in Wirklichkeit nur den Willen der Herausgeber umsetzen, also nur willenlose Marionetten finsterer, unsichtbarer Mächte sind. Das verschiebt die Verantwortung, macht das Endergebnis aber nicht besser. Zur Entlastung der Journalisten könnte man auch auf die Mediokratie verweisen und die Funktionslogik der Massenmedien. Diese Logik funktioniert aber nur dadurch, daß Journalisten zu bestimmten Sünden "verführt" werden - sündigen müssen die Journalisten schon selber. Manche Stimmen (insbesondere manche Journalisten) sehen Journalisten jedenfalls als wahre Stützen der Demokratie und als Opfer von Kapitalisten, Wutbürgern, Twitter-Mobs und ähnlichem Unbill.

Wir sind hier mitten im Thema Journalistenschelte. Bei handwerklichen Fehlern wie schlampiger Recherche oder sogar Fälschungen sind natürlich die Journalisten verantwortlich und die Kritik wird zu Recht an sie persönlich adressiert. Sehr viel Kritik an Journalisten ist in Wirklichkeit eine generelle Kritik an den Medien und ist unter Schlagworten wie Medienverdrossenheit seit Jahren ein Thema. Kritisiert werden hier keine handwerklichen Fehler einzelner Journalisten, sondern kritisiert wird, daß die Medien insgesamt bestimmte demokratische Ziele - vor allem hinsichtlich der Partizipation von Bürgern und der Gestaltung der Debatten - nicht erreichen. Ein einzelner Journalist ist dabei nur Mittäter, und die eigentliche Frage ist, welche Ermessensspielräume er hat und wie er sie ausnutzt und was er damit bewirkt.

In dieser Folge der Winterschule stellen wir verschiedene - oft kritische - Sichten auf "die Journalisten" zusammen.

Materialien:
  1. [ca. 20 Minuten Lektüre] Der schon früher zitierter Medienwissenschaftler Thomas Meyer hat 2015 das Buch Die Unbelangbaren: Wie politische Journalisten mitregieren veröffentlicht, dessen Titel bereits eine durchaus kritische Sichtweise auf bestimmte Journalisten erahnen läßt. Er prägte darin den Begriff der Alpha-Journalisten, die einsame Elite der primären Meinungsproduzenten, die die Themen setzen und von denen die anderen (Beta-) Journalisten abschreiben. Statt das ganze Buch zu lesen reicht uns als Einstieg ein langes Interview, in dem Meyer seine wichtigsten Thesen vorstellt. Wer viel Zeit hat, besorgt sich das Buch [2].

    Der etwas kuriose Titel "Die Unbelangbaren" zielt auf einen leicht zu übersehenden Effekt: Journalisten mischen sich nicht nur in die politischen Debatten mit ihrem Standpunkt ein, so können auch am Ende der Debatte letztinstanzlich verkünden, wer Sieger der Debatte ist. Einsprüche der zum Verlierer Erklärten werden nicht veröffentlicht, Kritik untereinander ist kaum noch vorhanden. Journalisten brauchen - im Gegensatz zu Politikern - nicht zu befürchten, für eigene Falscheinschätzungen oder ähnliche Fehlleistungen zur Rechenschaft gezogen zu werden, in diesem Sinne sind sie "unbelangbar". Die Folgenlosigkeit des eigenen Tuns wirkt sich naheliegenderweise negativ in Form von Arroganz und Verantwortungslosigkeit aus.

    Meyer geht auch auf die Verunsicherung bei Journalisten ein. Wegen der neuen Medien fürchten sie, ihr früheres Deutungsmonopol zu verlieren. Wegen der Konkurrenz untereinander und des ständigen Schielens auf die Kollegen fürchten sie, den Kontakt zur Realität zu verlieren (man steht hier vor dem Paradoxon, daß die Journalisten scheinbar mehr über ihre Glaubwürdigkeit diskutieren als ihre Kunden, also die breite Masse der Medienkonsumenten). Frei nach Lippmann leben auch Journalisten in einer sekundär erfahrenen Wirklichkeit: sie konstruieren ihre Weltsicht großenteils aus Texten ihrer Konkurrenten und Aussagen von "primären" Informanten, denen aber nicht immer zu trauen ist.

  2. [ca. 10 Minuten Lektüre] Prof. Bernhard Pörksen ist den Journalisten wesentlich wohlgesonnener und verteidigt sie gegen die "Volle Ladung Hass", die sie - nach seiner Meinung zu Unrecht - abbekommen.
  3. [ca. 6 Minuten Lektüre] Sozusagen als ergänzende Fallstudie zu den Thesen von Thomas Meyer nimmt der (zu Lebzeiten) Alpha-Journalist Frank Schirrmacher den Alpha-Journalisten Claus Kleber aufs Korn, der seine mediale Machtposition skrupellos mißbraucht, um andere Personen in einem Verhör indiskrete Fragen zu stellen.
    Schirrmacher behandelt ferner das Problem des "Echtzeitjournalismus", der sich "unablässig im Kriegs- und Erregungsmodus" befindet: der Wert einer Nachricht tendiert gegen null, sobald andere darüber berichtet haben. Daher wird man alles daran setzen, der erste zu sein. Als Konsequenz bleiben, da Informationen heute in Sekundenbruchteilen übertragen werden, nur noch minimale Zeiträume für die Entscheidung, ob überhaupt und, wenn ja, wie über neue Informationen berichtet wird. Die Folgen für die Qualität der Berichterstattung und für die Reflexionskraft der Journalisten sind offensichtlich.
  4. [ca. 15 Minuten Lektüre] Eine hervorragende Milieustudie der Eliten in der Berliner Blase liefert Haffert (2018). Erhellend ist der Vergleich der Bonner Republik und der Berliner Republik in Bezug auf die mediale Meinungsvielfalt. Der Text illustriert auch, daß Kritik an den Journalisten bzw. Medien vielfach eine Kritik an den Eliten schlechthin ist, weil diese, wie schon früher thematisiert, von außen gesehen untrennbar verwoben sind.
  5. [ca. 15 Minuten Lektüre] Zum (Reiz-) Thema "Haltungsjournalismus" empfehle ich ausnahmsweise einen eigenen Text, meine Rezension von "Haltung zeigen!" von Anja Reschke. Mit diesem Büchlein hat sich Reschke bekanntlich zum Sprecher der Haltungsjournalisten gemacht. Sie scheitert meiner Meinung nach aber an ihrem Anspruch, "Haltung" als einen inhaltlichen Mindestkonsens in den Debatten zu präzisieren. Im Endeffekt ist es nur eine moralische Überlegenheitsgeste, die subjektive inhaltliche Standpunkte vor Kritik schützen soll.
  6. [ca. 10 Minuten Lektüre] Wenn man die Wahrheit über Katzen wissen will, muß man die Mäuse fragen. Gemäß diesem Motto ist die Meinung derjenigen interessant, über die berichtet wird oder die gerne hätten, daß über sie berichtet wird (positiv natürlich). Womit wir bei Pressesprechern, PR-Agenten, Kommunikatoren oder ähnlich phantasiereich bezeichneten Propaganda-Experten wären. Deren Qualifikation besteht darin, Journalisten zu beeinflussen. Diese Experten haben eigene Verbände, Zeitschriften und Trainingsmaterialien und eine eigene ziemlich durchwachsene Meinung von Journalisten.
  7. [ca. 15 Minuten Lektüre] Besonders knifflig ist die Rolle von Journalisten bei Themen wie dem Klimawandel oder der Corona-Epidemie. Die Wissenschaft kann hier keine völlig sicheren Prognosen machen, andererseits verlangen Politik und Öffentlichkeit danach, denn die sozialen Konsequenzen falscher Entscheidungen sind drastisch. Die Öffentlichkeit ist typischerweise hinsichtlich der Lösungsansätze radikalisiert und kaum noch debattenfähig. Bojanowski (2019) beleuchtet die Verwerfungen und Streßfaktoren in solchen Situationen. Journalisten sind manchmal nicht zu beneiden.
Quellen
Anmerkungen

[1] Der Gipfel-Fehlschluß ist eine falsche Verallgemeinerung von den erfolgreichsten Individuen einer Population, die gut sichtbar auf dem Gipfel der Erfolgspyramide stehen, auf alle übrigen Individuen dieser Population. Beispielsweise waren praktisch alle Musik-, Sport- und andere Stars in hochkompetitiven Bereichen talentiert und haben hart für ihren Erfolg gearbeitet. Diese führt regelmäßig zur falschen Verallgemeinerung, daß jeder, der talentiert ist und hart arbeitet, auch sehr viel Erfolg haben wird. Typisch ist hier, daß die gescheiterten Individuen nicht mehr als Teil der Population sichtbar sind oder, z.B. bei Firmenneugründungen als "Individuen" nicht mehr existieren. Im Englischen wird der Gipfel-Fehlschluß daher als Survivorship_bias (Fehlschluß auf Basis der Überlebenden) bezeichnet.

[2] Wer sehr viel Zeit hat, liest außerdem noch etwas von Uwe Krüger, der in seiner Dissertation das Netzwerk der Alpha-Journalisten und anderer Eliten untersucht hat, z.B. dieses Interview mit ihm.