Sonntag, 3. Januar 2021

Winterschule "Mediendemokratie", Folge 4: Machteliten


Der Begriff "Mediokratie", den wir in der vorigen Folge der Winterschule "Mediendemokratie" eingeführt hatten, soll die Verwobenheit und gegenseitige Abhängigkeit des politischen Systems und des Mediensystems zum Ausdruck bringen. Genau genommen betrifft das nur das "Spitzenpersonal" der jeweiligen Systeme, womit wir beim Begriff Elite wären. Neben der Medienelite und der politischen Elite gibt es weitere Eliten, z.B. Kunst-, Sport-, Wissenschafts- und weitere Funktionseliten - also Personen, die Spitzenleistungen auf bestimmten Gebieten erbringen. Die interessieren uns hier nicht, weil sie i.a. keine gesellschaftliche Macht haben. Fallweise sehr viel Macht hat wiederum der "Geldadel", also die ökonomische bzw. finanzielle Elite.

Der Elitenforscher Prof. Michael Hartmann definiert "Eliten" als Personen(gruppen), die durch ihre Position gesellschaftliche Entwicklungen "maßgeblich" beeinflussen können (natürlich nach eigenem Ermessen und ohne sich rechtfertigen zu müssen). Etwas konkreter kann man von Machteliten reden, also Personen oder soziale Gruppen, die über Machtmittel verfügen, mit denen sie demokratische Prozesse im eigenen Interesse manipulieren und zu gewünschten Ergebnissen steuern können. Die wichtigsten Machteliten sind die mediale, politische, ökonomische und ggf. noch die juristische Elite.

In dieser Folge konzentrieren wir uns auf die ökonomische Elite und deren Verhältnis zu den Medien. Das wichtigste Verhältnis besteht darin, die kapitalintensiven materiellen Grundlagen von Medien (Verlage, Druckereien, Sender, Produktionsstudios, Netzwerke etc.) zu besitzen. Der Tendenzschutz gibt Eigentümern von Verlagen, Sendern o.ä. das Recht, die politische Meinung vorzugeben, die die Medien dieses Verlags vertreten. Daneben kann man eine gewünschte ideologische Ausrichtung natürlich durchsetzen, indem man nur Personal mit passender ideologischer Orientierung einstellt. Die These liegt nahe, daß zumindest in den Medien, die sich im Besitz der ökonomischen Elite befinden, nichts passiert, was den Interessen dieser Elite zuwiderläuft.

Materialien:

  1. [ca. 25 Minuten Audio oder Lektüre] Die mediale Elite ist zwar eine spezielle Machtelite, um sie zu verstehen, muß man aber verstanden haben, wie unsere Machteliten generell ticken, u.a. wegen der schon erwähnten Querverbindungen zwischen den Eliten. Autoritative Auskunft hierzu geben kann uns der Soziologe Prof. Michael Hartmann (pensioniert, TU Darmstadt), der bekannteste und profilierteste deutsche Elitenforscher. Sein Buch "Die Abgehobenen - Wie die Eliten die Demokratie gefährden" faßt seine langjährigen Forschungen zusammen. Dieses Buch bzw. die dort zusammengestellten Analysen sind sehr gründliche und faktenreiche Darstellungen der Eliten in Deutschland und anderen westlichen Ländern. Lesen sollte man auf alle Fälle S. 7 - 16 der Einleitung, die als Leseprobe kostenlos anboten wird. Wer sich lieber ein interessantes Interview mit ähnlichem Inhalt anhört, wird hier fündig.
  2. [ca. 60 Minuten Video] Als nächstes haben wir das Video Fake America Great Again, das ein krasses Beispiel für den Mißbrauch ökonomischer Macht dramaturgisch aufbereitet. Es handelt sich um den Skandal um Cambridge Analytica und Facebook im Zusammenhang mit der US-Präsidentenwahl 2016. Das Video stellt die Machenschaften des Milliardärs Robert Mercer dar. Es ist zwar reißerisch und stellenweise unpräzise [1], stellt aber mehrere wichtige Aspekte zusammenhängend dar, so daß man deren Querbezüge und Zusammenwirken an einem Beispiel erkennen kann:
    (1) die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten eines Milliardärs, sich Expertise und mediale Kampfkraft zu kaufen, z.B. durch Übernahme eines Verlags, um seinen privaten politischen Willen durchzusetzen,
    (2) die Möglichkeiten, diese (vielfach illegale) Einflußnahme vor der Öffentlichkeit zu verstecken, u.a. durch steuerbegünstigte NGOs,
    (3) die durch die "sozialen" Medien neu entstandenen Möglichkeiten zur Beeinflussung von einzelnen Wählern und damit der öffentlichen Meinung insgesamt und
    (4) die auf dem neuen Mediensystem beruhenden Kommunikations- bzw. Wahlkampfstrategien, an die sich alle Parteien mehr oder weniger anpassen müssen (gemäß der These, daß sich das politische System immer der Funktionslogik des dominierenden medialen Systems unterordnen muß).
  3. [ca. 5 Minuten Lesezeit] Robert Mercer mußte sich für seine Aktionen extra einen Verlag kaufen - viel einfacher ist es, wenn man schon einen Verlag besitzt, am besten einen mit nationaler Bedeutung. Zum Grundwissen über die deutsche Medienlandschaft - das bei vielen Lesern dieses Blogs schon vorhanden sein dürfte - gehört daher, daß praktisch alle großen allgemeinpolitischen Zeitschriften zu Verlagen gehören, die im Besitz von feministisch orientierten - meist weiblichen - Verlegern sind.
  4. [ca. 10 Minuten Lesezeit] Welche enorme Macht die Herausgeber bzw. Besitzer eines Mediums haben und wie durch Austausch wichtiger Journalisten bzw. eine entsprechende Personalpolitik der Charakter eines Mediums verändert werden kann, kann man seit einigen Jahren bei der New York Times, der wichtigsten Zeitung der USA, beobachten. Rothstein (2020) berichtet, wie sich die New York Times von einem ehemals liberalen Blatt zu einer woken Propagandamaschine verändert hat.
  5. [ca. 32 Minuten Lesezeit] Von den Kommunikations- und Wirkungsstrukturen in den Eliten her analysiert der Kognitionspsychologe Professor Rainer Mausfeld die Rolle und Wahrnehmungssteuerung der Medien. In einem längeren Interview formuliert er seine wichtigsten Thesen u.a. zu den Verflechtungen zwischen den politischen, ökonomischen und medialen Eliten und zur existierenden "Industrie" zur Kontrolle der öffentlichen Meinung, in der global agierende PR-Agenturen, Think-Tanks und "gekaufte" NGOs wesentliche Rollen spielen. [2]

    Die Thesen von Mausfeld sind weitgehend identisch mit zentralen Punkten aus einem Klassiker der Medienforschung, Manufacturing Consent von Edward S. Herman und Noam Chomsky, einem Klassiker der Medienkritik, der inzwischen wegen der Beispiele, die aus den 1980er Jahren stammen, nicht mehr ganz aktuell ist. Wichtige Thesen von Herman und Chomsky, u.a. das Versagen der "Intellektuellen", kann man in Girschner (2012) finden.

Quellen

Anmerkungen

[1] Es wird suggeriert, Trump hätte drei wichtige Bundesstaaten und damit die Wahl vor allem wegen des Datenmißbrauchs gewonnen; dieser Kausalzusammenhang ist reine Spekulation, s. u.a. Hanfeld (2020). Es wird auch der falsche Eindruck erweckt, Trump sei der erste gewesen, der die Daten und Methoden von Cambridge Analytica benutzt hat. Tatsächlich hatte schon vorher Ted Cruz mit Cambridge Analytica kooperiert, s. Svitek (2018).

[2] Es ist instruktiv, den Text von Mausfeld mit einem anderen Text zum gleichen Thema, dem Aufkommen des Neoliberalismus, zu vergleichen, und zwar mit Das Ende des progressiven Neoliberalismus von Nancy Fraser. Bei Mausfeld kommt das Wort "Medien" dutzendfach vor, bei Fraser überhaupt nicht. Man kann also offenbar sehr verschiedener Meinung darüber sein, welche Rolle "die Medien" als solche bei politischen Entwicklungen spielen.
Wie eigentlich alle politischen Texte argumentieren die Texte von Mausfeld und Fraser mit "sozialen Kräften" oder grob umschriebenen sozialen Gruppen, die irgendetwas beabsichtigen oder tun oder bei anderen bewirken. Man kann solche Argumente auch als simplifizierende Funktionsmodelle der Gesellschaft bezeichnen. Derartiges Wissen über die Gesellschaft ist aber gerade das, was Walter Lippmann als sekundär erfahrene Wirklichkeit bezeichnete und das insb. durch die konsumierten Medien bzw. Informationsquellen - auch bei Professoren - praktisch beliebig geformt werden kann.