Samstag, 11. Oktober 2014

Gleichstellung nach Düsseldorfer Art

Gleichstellung ist ein weitverbreiteter Begriff, der intuitiv verständlich - "irgendwie gleich(er?) machen" - erscheint. Er ist es aber nicht, im Gegenteil ist er bei näherem Hinsehen sehr kompliziert. Offensichtlich kann man nicht alle Leute gleich machen oder stellen, sondern allenfalls "gleicher" machen bzw., um die Logik nicht zu sehr zu vergewaltigen, weniger ungleich bzw. ähnlicher machen. Was dies bezogen auf soziale Merkmale bedeutet, hängt sehr von den Umständen ab und ist hier ausführlicher dargestellt.
Im real existierenden Feminismus ist die Welt einfacher gestrickt, dort ist Gleichstellung praktisch gleichbedeutend mit der Forderung nach einer Frauenquote. Die Höhe der geforderten Frauenquote beträgt fallweise 30%, 50% oder sogar 100%, scheint also keine Naturkonstante zu sein, sondern erheblich von Ermessensspielräumen, um nicht zu sagen der Tageslaune relevanter Personen, abzuhängen, in denen der diffuse Begriff "Gleichstellung" konkretisiert wird. Die Forderung nach einer Frauenquote ist i.d.R. verbunden mit der strikten Ablehnung einer Männerquote.
Angestrebt werden meistens harte Quoten, die dem Kollektiv der Frauen Machtpositionen bzw. lukrative Stellen unabhängig von der Bewerberlage und der Qualifikation der Bewerber garantieren (ein Beispiel ist die 30%-Quote, die aktuell bundesweit für Aufsichtsräte angestrebt wird). Derartige harte Frauenquoten sind allerdings in allen relevanten Kontexten eindeutig verfassungswidrig, sie widersprechen offensichtlich Artikel 3 des Grundgesetzes.
Dies ist auch unseren feministischen Akteuren bekannt und hat zu diversen Ausweichmanövern geführt. Das bekannteste davon ist im Zusammenhang mit Stellenbesetzungen die "Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation". Diese Regel wird inzwischen großflächig eingesetzt. Da sie Männer nicht wörtlich ausschließt, gilt sie als weiche Quote, die rechtlich zulässig ist. Weil "gleiche Qualifikation" indessen kein klar definierter Begriff ist, ist diese Regel geradezu eine Einladung zum Mißbrauch. Derartige Mißbräuche zugunsten von Frauen sind hinreichend oft dokumentiert und beklagt worden.
Das Papier/Heidebach-Gutachten
Insgesamt hat diese Regel aber nicht ausgereicht, um die politisch gewünschten Frauenquoten zu erzielen. Dies hat der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, insb. dessen Emanzipationsministerium, keine Ruhe gelassen und dazu geführt, ein hochkarätiges Rechtsgutachten in Auftrag zu geben, das "... rechtliche Spielräume zur verbindlichen Festlegung von Zielquoten sowie zur Verankerung von Sanktionen" prüfen sollte. Dieses Gutachten liegt seit einer Weile vor:
Hans-Jürgen Papier, Martin Heidebach: Rechtsgutachten zur Frage der Zulässigkeit von Zielquoten für Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst sowie zur Verankerung von Sanktionen bei Nichteinhaltung. Ministerium für Inneres und Kommunales, NRW, 30.05.2014. http://www.mgepa.nrw.de/mediapool/pdf/presse/pressemitt ... ten.pdf
In den Pressemitteilungen des Emanzipationsministeriums wird das Rechtsgutachten als Meilenstein bezeichnet. Das ist es auch. Es ist trotz seiner Länge von rund 60 Seiten sehr lesenswert. Erstens bestätigt es an mehreren Stellen zumindest für den öffentlichen Dienst männerrechtliche Standpunkte, z.B. daß harte Frauenquoten grundsätzlich verfassungswidrig sind. Zweitens dokumentiert es die Hinterhältigkeit, mit der die verfassungsmäßige Gleichberechtigung unterlaufen werden soll.
Wie unterläuft man das Grundrecht auf Gleichberechtigung?
Die "Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation" ist nur dann wirksam, wenn ein männlicher und weiblicher Kandidat gemäß den Anforderungen einer Stellenausschreibung gleich qualifiziert sind. Je genauer nun die Anforderungen spezifiziert sind und je genauer man die Qualifikation mißt, z.B. durch Zeugnisnoten, Zertifikate, Berufserfahrung usw., desto seltener greift die weiche Quote und umso häufiger greift das Prinzip der Bestenauslese, wonach geschlechtsunabhängig der qualifizierteste Kandidat gewählt wird.
Den Wunsch der Landesregierung nach einer "verbindlichen Festlegung von Zielquoten" kann man nun realisieren, indem man die legale Form der Frauenbevorzugung durch eine weiche Quote möglichst häufig anwendbar macht. Hierzu wird sinngemäß vorgeschlagen, die Meßgenauigkeit bei der Beurteilung der Qualifikation von Bewerbern zu reduzieren. Wenn man beispielsweise Noten auf ganze Zahlen rundet, werden die Schulnoten 1.6 und 2.4 beide zu einer 2.0 und somit gleich. Man kann auch ganz darauf verzichten, die Note zur Bewertung heranzuziehen und man kann vorteilhafte, aber nicht strikt notwendige Qualifikation nicht mehr in der Stellenausschreibung erwähnen, also können sie auch nicht mehr zum Vergleich von Bewerbern herangezogen werden. Spannend wird es, wenn mehrere "gleich qualifizierte" Frauen gewinnen und eine ausgewählt werden muß: wird dann gewürfelt oder werden nachträglich Kriterien verwendet, die bei Männern nicht verwendet wurden?
Die Vergröberung, mit der die geforderten Qualifikationen in Stellenbeschreibungen dargestellt werden und mit der die Qualifikation von Bewerbern beurteilt wird, kann nichtöffentlich erfolgen, z.B. in Form von internen Durchführungsbestimmungen für Besetzungsverfahren oder indem Frauenbeauftragte Qualifikationsbeschreibungen oder Kandidatenbeurteilungen, die zu detailliert sind, blockieren. Derartige Maßnahmen würden öffentlich kaum bekannt werden und wären von betroffenen Männern juristisch kaum anzugreifen.
Im Endeffekt wird das Prinzip der Bestenauslese weitgehend ausgehebelt, also Art. 33 Abs. 2 GG unterlaufen, um damit die Gleichberechtigung nach Art. 3 Abs. 2 GG aushebeln zu können.
Das Papier/Heidebach-Gutachten diskutiert in vielen Details die rechtlichen Klippen, an denen dieses Vorhaben scheitern kann. Allerdings kann man alleine die Absicht, Grundrechte in ihrer Substanz zu unterlaufen, als zutiefst korrupt und verfassungsfeindlich ansehen.
Ministerielles Doublespeak
Das Düsseldorfer Emanzipationsministerium bestätigt einmal mehr eindrucksvoll, daß es den Sonderpreis für Doublespeak redlich verdient hat, und zwar mit folgender Pressemitteilung anläßlich der Veröffentlichung des Gutachtens:
Emanzipation: Landesregierung will mehr Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst (Pressemitteilung). Ministerium für Inneres und Kommunales und Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, 08.07.2014. http://www.mgepa.nrw.de/ministerium/presse/pressemittei ... dex.php
Der Begriff "Emanzipation" im Titel verblüfft - das Unterlaufen von Grundrechten stellt natürlich auch eine Art von Emanzipation dar, allerdings eine, die man eher von verfassungsfeindlichen Organisationen erwarten würde.
Im Text wird beklagt, die bisherigen Auswahlverfahren würden "die Quote aushebeln". Welche Quote? Gibt es ein Gesetz, das eine harte Quote für bestimmte Populationen öffentlich Bediensteter vorschreibt? Das Gesetz wäre verfassungswidrig und müßte von Amts wegen nicht nur ausgehebelt, sondern aufgehoben werden.
Die Pressemitteilung unterstreicht die Bedeutung des "Gleichstellungsgebots". Die am Ende der Pressemitteilung verlinkten Erläuterungen zum Gutachten erwähnen ein "Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes nach Art. 3 Abs. 2 GG" gleich drei Mal. Leider kommt der Begriff "Gleichstellung" im Grundgesetz nicht vor, weder im Art. 3 Abs. 2, noch an anderer Stelle. Dies ist kein Zufall, die gemeinsame Verfassungskommission von Bundesrat und Bundestag hat seinerzeit diesen Begriff explizit vermieden.
Anmerkung: Wenn es so etwas wie ein Gleichstellungsgebot mit Verfassungsrang gäbe, dann wäre dieses Gebot auch nicht selektiv bei einzelnen Machtpositionen anwendbar, die bei feministischen Interessenvertretungen Neidkomplexe auslösen, sondern müßte flächendeckend angewandt werden, angefangen über die Lehrerschaft an Grundschulen über die Population der LKW-Fahrer bis hin ... zur Leitung des Emanzipationsministeriums (5 von 6 leitenden Positionen bis auf Abteilungsleiterebene sind weiblich besetzt) sowie im Berufsfeld der Gleichstellungbeauftragten.
Die Pressemitteilung behauptet ferner: "Verfassungsrechtler Prof. Papier unterstreicht die Bedeutung des Gleichberechtigungsgebots". Das ist inhaltlich durchaus korrekt, war aber vermutlich nicht gemeint, denn Gleichstellung ist das Gegenteil von Gleichberechtigung. Eventuell ist das MGEPA schon ganz konfus vom eigenen Doublespeak.
Im Gutachten von Prof. Papier kommt das Wort "Gleichstellungsgebot" jedenfalls nicht vor. Statt diesen unklaren und propagandistisch platten Begriff zu verwenden, weist das Gutachten immer wieder auf notwendige, im Detail sehr komplizierte Güterabwägungen zwischen den involvierten Gesetzen hin. Hierbei fließen Spekulationen über die Auswirkungen bisheriger Gesetze ein, die im Prinzip soziologische Analysen der deutschen Gesellschaft der letzten 20 - 30 Jahre sind. Man fragt sich hier, ob sich Juristen nicht aufs Glatteis begeben, wenn sie sich fachfremd als Soziologen betätigen und ob hier nicht hauptberufliche Soziologen mitreden sollten.
Insgesamt stellt der Eindruck, den die Pressemitteilung des MGEPA hinterläßt, den Inhalt des Gutachtens beinahe auf den Kopf. Die prinzipielle Absicht, harte Frauenquoten auf Umwegen zu erzwingen, ist verfassungswidrig, und die geplanten Brachialmaßnahmen zugunsten von Karrierefrauen sind nicht alternativlos, sondern basieren auf willkürlichen politischen Güterabwägungen und sind hart am Rande der Legalität.
Fazit
Das Gutachten von Papier/Heidebach ist sehr lesenswert, denn es zeigt, wie schwierig es ist, abstrakte politische Wunschvorstellungen in die Realität umzusetzen, und welche Fallstricke im Detail auftreten. Das Gutachten bekräftigt teilweise männerrechtliche Positionen hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit von Frauenquoten, teilweise enthält es auch Klarstellungen, daß viele einseitige, oft monierte Maßnahmen zur Frauenförderung legal sind. Die Argumente gelten aber mit vertauschten Rollen analog für Männer.
Die Landesregierung bzw. das MGEPA demonstrieren mit ihrer Pressemitteilung, aber auch schon durch die Ziele der Auftrags (s. Abschnitt II. "Zielquoten" des Gutachtens), daß man an einer seriösen und ergebnisoffenen Debatte nicht interessiert ist, sondern lieber feministische Propaganda betreibt. Exemplarisch zeigt sich dies an dem frei erfundenen "Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes nach Art. 3 Abs. 2 GG".
Abzuwarten bleibt, ob NRW oder andere Länder bzw. der Bund die in dem Gutachten angeregte Methode realisieren werden, über die Aushebelung des Prinzips der Bestenauslese indirekt (über eigentlich nachrangige Gesetze, die weiche Quoten definieren) auch das Grundrecht auf Gleichberechtigung auszuhebeln. Auch hier droht wieder einmal, daß wie üblich beim Gender Mainstreaming die öffentliche Debatte umschifft wird und auf dem Verwaltungsweg Tatsachen geschaffen werden.