Dienstag, 22. Januar 2019

Rezension von "Haltung zeigen!" von Anja Reschke

Inhaltsübersicht

Zusammenfassung

  • Das Buch "Haltung zeigen!" von Anja Reschke ist einer der umfangreicheren neueren Beiträge zur aktuellen Debatte über den Haltungsjournalismus. Es hat viel Resonanz in den Medien erzeugt.
  • Das Buch erfüllt die naheliegende Erwartung nicht, eine gründliche Analyse zu liefern, welche Haltung(en) Journalisten bei welchen Themen zeigen sollen. Viel Platz wird unproduktiv für Trivialitäten und eher spezielle persönliche Episoden verbraucht.
  • Reschke schlägt vor, Haltung am Grundgesetz, speziell die Artikel 1 - 19, zu orientieren. Dies wirkt absurd, da sie als Gründungsmitglied von ProQuote Medien für Frauenquoten und damit gegen die Gleichberechtigung nach Grundgesetz Artikel 3 kämpft.
  • Hauptziel des Buchs scheint zu sein, ihren bisherigen politischen Aktivismus und ideologischen Standpunkt, namentlich in der Flüchtlings- und Immigrationsdebatte, zu rechtfertigen und sich einen Freibrief für weiteren Aktivismus auszustellen.
  • Reschke versucht, das berühmte Zitat von Hanns Joachim Friedrichs, ein guter Journalist solle sich nicht gemein macht mit einer Sache, also das Plädoyer für einen unvoreingenommenen, unparteiischen Journalismus, durch eine unseriöse Quellenzitierung zu widerlegen. Sie liefert damit ein Musterbeispiel für manipulativen Journalismus.


Medienköniginnen

Ein Dauerthema auf diesem Blog ist die Rolle der feministischen Medien in unseren heutigen Gesellschaft, in der der Feminismus seit einer Generation "institutionalisiert" ist, und in der soziale Probleme sozial bzw. medial konstruiert werden: Als soziale Probleme werden nur solche Sachverhalte anerkannt, die von den Medien (primär solchen mit hoher Reichweite) propagiert bzw. bestimmt werden. Der universelle Opferstatus von Frauen ist hierfür ein Musterbeispiel.

Die medialen Botschaften werden wesentlich von den Journalisten, Herausgebern und Besitzern bzw. Intendanten der Medien bestimmt. D.h. diese relativ kleine Personengruppe hat einen immensen und kaum kontrollierten Einfluß auf die öffentliche Meinung und die allgemeine politische Agenda. Diese mediale Elite wird seit Jahrzehnten immer wieder beschrieben, analysiert, beklagt und rechtfertigt, zuletzt wieder verstärkt im Zusammenhang mit der Relotius-Affäre. Wir machen dieses Faß hier gar nicht erst auf, sondern gehen - sozusagen realpolitisch - von der Existenz dieser Elite aus. Zu den mächtigen feministischen Meinungsmacherinnen gehören z.B. fast alle - überwiegend weiblichen - Moderatoren von Polit-Talkshows mit guten Sendeplätzen. Der demokratisch nicht legitimierte politische Einfluß einer solchen Medienkönigin kann durchaus mit dem eines Ministers oder Parteivorsitzenden verglichen werden. D.h. die privaten Meinungen dieser Personen sind enorm wichtig.

Zu den Medienköniginnen der Republik zählt Anja Reschke. Sie moderiert seit 2001 das Fernsehmagazin Panorama (NDR), neben weiteren Aktivitäten. Sie ist infolge eines Tagesthemen-Kommentars am 05.08.2015 zu einer Wortführerin hinsichtlich der Rolle der Medien und insb. der Journalisten geworden. Der Kommentar rief mitten in der Immigrationswelle von 2015 zum Widerstand gegen die rechtsradikale Hetze gegen Ausländer auf. Sie zeigte damit "Haltung" und erhielt wegen dieses Haltung-Zeigens mehrere Journalismuspreise. Die Aufforderung Haltung zeigen! ist auch der Titel eines Büchleins von ihr, das im September 2018 erschien und zu zahlreichen Interviews und Medienauftritten führte, noch vor kurzem z.B. zu einem längeren Interview im Schweizer Fernsehen. Reschke hat damit sozusagen die mediale Meinungsführerschaft beim Thema "Haltung" beansprucht, diese wird ihr auch von den Interviewern zugebilligt.

Das Thema "Haltung" ist ein Thema, das letztlich den Kern des Selbstverständnisses von Journalisten betrifft und seit Jahrzehnten immer wieder intern und in der Öffentlichkeit debattiert wird. Die Spannbreite dessen, wie der Begriff "Haltung" definiert bzw. was zumindest mit ihm assoziiert wird, ist beträchtlich und für Anfänger in dieser Debatte verwirrend. Die Erwartungen an Reschke bzw. ihr Buch sind also hoch. Zu den naheliegenden Erwartungen gehört, daß sie den sehr diffusen Begriff "Haltung" genauer definiert und klarer wird, wann und wie man denn - zumindest ihrer Meinung nach - Haltung zeigen sollte.



Die Abschnitte

Der Hauptteil des Buchs (nach Inhaltsverzeichnis und Vorwort) ist rund 80 Seiten lang, für die man ca. 1.5 Stunden Lesezeit benötigt. Er gliedert sich in folgende Abschnitte:
  1. Haltung - und was sich dafür hält
  2. Bella figura
  3. Was uns im Inneren zusammenhält
  4. Dürfen Journalisten Haltung zeigen?
  5. Nur Mut

1. Haltung - und was sich dafür hält

Der erste Abschnitt (14 Seiten) führt sehr elementar und weitschweifig in die Varianten des Begriffs "Haltung" ein. Was der Duden in ca. 30 Zeilen inklusive vieler Beispiele schafft, wird hier durch weitschweifige Trivialitäten auf ca. 10 Seiten ausgedehnt.

Außer "Haltung" wird auch der Begriff "Einstellung" definiert. Es wird unterschieden zwischen innerer (unbewußter, nicht direkt zu beeinflussender) Einstellung und äußerer Einstellung. Beides habe nichts mit Haltung zu tun, denn Haltung orientiert sich an ethischem Sollen (S.24).

Ferner wird "Meinung" definiert als schnell gebildet, nicht auf fundierter Kenntnis fußend und oberflächlich, im Gegensatz zu Haltung, die etwas Tiefliegendes und weniger Veränderbares ist.

2. Bella Figura

Der zweite Abschnitt behandelt auf gut 10 Seiten die Themen Körperhaltung, Ausstrahlung durch Kleidung und den Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Haltung. Er endet auf S.37/38 mit einer Anleitung für gymnastische Übungen. Eine politische Dimension dieser Ausführungen konnte ich nicht erkennen. Der Abschnitt könnte komplett weggelassen und durch wenige Zeilen im ersten Abschnitt ersetzt werden. Eine Haltung erfolgreich zu vermitteln ist zwar wichtig, diese performativen Aspekte sind aber uninteressant, solange inhaltlich unklar ist, was die richtige Haltung ist.

3. Was uns im Inneren zusammenhält

Der dritte Abschnitt geht erneut auf die "innere Haltung" ein, die schon Thema des ersten Abschnitts war. Als Beispiele genannt werden:
Man kann eine religiöse Haltung haben, eine liberale, eine konservative, eine ablehnende, eine fortschrittliche, nur um ein paar Beispiele zu nennen.
Begrifflich ist das ein Chaos. Als denkbare Haltung genannt werden hier eine beliebige Religion, eine beliebige politische Strömung bzw. Ideologie (genannt werden 2 der 3 heute dominierenden Strömungen) und eine beliebige Charaktereigenschaft (hierzu die Beispiele "ablehnend", "fortschrittlich"). Das sind kategoriell völlig verschiedene Dinge, die einzelnen Instanzen aus diesen Kategorien sind selber sehr vage. Ob alle Instanzen in diesen Kategorien ("Gottesstaat", "sadistisch", ...) zulässige Haltungen sind, erscheint fraglich. Unklar bleibt also die eigentlich entscheidende Frage, welche Haltungen gerade noch zulässig sind und welche nicht mehr.

Ab S.40 werden vor allem private Fluchtgeschichten und dabei erworbene Haltungen zum Thema Flüchtlinge breit dargestellt. Es folgen immer wieder neue Andeutungen, was alles "Haltung" bedeuten kann. Die Vagheit des Begriffs wird aber eher vergrößert und nicht behoben.

Auf S.50 wird überraschend "Haltung" zur Grundeinstellung eines Landes. Das ist in etwa die öffentliche Meinung bzw. eine politische Mehrheit. Diese Definition widerspricht dem Konzept einer inneren Haltung, die individuell durch die eigene Biographie gebildet wird und subjektive Wertungen beinhaltet. Reschke konkretisiert diese Grundeinstellung mit Hinweis auf Artikel 1-19 des Grundgesetzes (die Menschenrechte), die als nicht veränderbare Haltung deklariert werden. In diesem Kontext berichtet Reschke auf S.55 aus ihrem Innersten:

Dass Frauen immer noch sexistisch herabgesetzt werden, dass sie sich viel mehr anstrengen müssen, weil ihr Können immer wieder angezweifelt wird, und zwar nur, weil sie Frauen sind, macht mich fuchsig.
Womöglich werden auch Leser mit Grundkenntnissen in (Geschlechter-) Soziologie beim Lesen dieser Zeilen fuchsig. Die Verbreitung feministischer Mythen scheint jedenfalls ein zentraler Bestandteil von Reschkes Haltung zu sein.

4. Dürfen Journalisten Haltung zeigen?

Die Frage in der Überschrift des vierten Abschnitts wird grundsätzlich mit ja beantwortet und mit Haltungen einiger besonders meinungsstarker Journalisten belegt. Es ist fraglich, ob man solche Einzelfälle verallgemeinern kann.

Es folgen klassische Lehrbuchweisheiten für angehende Journalisten: man recherchiert möglichst vorurteilsfrei, läßt auch die andere Seite zu Worte kommen, versucht, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen und ein ganzheitliches Bild entstehen zu lassen. Haltung kommt an der Stelle wieder ins Spiel (S.65), wo "DIE ultimative Wahrheit" im realen Berufsalltag dann doch nicht erreicht werden kann und man je nach seiner Haltung bzw. Prägung nur die dazu passenden Fakten recherchiert:

Und nachdem Journalisten auch keine Roboter sind, sondern Menschen, die aus ihrer Erfahrung ihrer Erziehung, ihrem kulturellen Hintergrund bestehen, wird es immer wieder auch darauf ankommen, WER berichtet. Bei Richtern und Polizisten ist das vermutlich nicht anders.
Ich warne vor Mutmaßungen über Richter und Polizisten. Wenn ich mich an die massiven Vorwürfe vom ehemaligen Bundesrichter Thomas Fischer an die ZEIT bzgl. ihrer Recherchemethoden korrekt erinnere, dann sah Fischer das völlig anders. Das obige Zitat stellt jedenfalls Journalisten im Prinzip einen Freibrief aus, nach Belieben subjektiv geprägt zu recherchieren und zu berichten (im Gegensatz zu Journalismus-Lehrbüchern, wo dies als journalistisches Frame-Setting durchaus negativ gesehen wird).

Auf S.67 kommt dann der bei diesem Thema unvermeidliche Schwenk zu den Begriffen Objektivität bzw. Neutralität:

Das Problem ist allerdings, daß Medien gerne so tun, als seien sie neutral, und diese Pseudo-Objektivität über Jahrzehnte wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben.
Hier werden Objektivität und Neutralität i.w. gleichgesetzt, das zu hinterfragen, führt an dieser Stelle zu weit weg. Jedenfalls müssen wohl Objektivität und Neutralität im Zweifelsfall hinter der privaten Prägung der berichtenden Journalisten zurückstehen. Auf S.70 wird noch einmal betont, daß Journalisten niemals neutral, wertfrei berichten können. Ihre Haltung ist immer dabei.

Anschließend geht Reschke auf das berühmte Zitat von Hanns Joachim Friedrichs ein, ein Journalist solle sich mit keiner Sache gemein machen, auch keiner guten. Laut Reschke wird dieses Zitat regelmäßig aus seinem Kontext gerissen und falsch interpretiert: In seinem Kontext sei gemeint, daß ein Journalist sich vor den mentalen Belastungen durch die vielen Berichte über Leid und Katastrophen schützen müsse, indem er dazu Distanz hält. [Nachtrag: das volle Zitat und eine Widerlegung von Reschkes Argumentation] Reschke beklagt, daß ihr täglich die falsche Interpretation vorgehalten wird, man versteht, daß sie davon genervt ist.

Im Endeffekt (S.76) lobt sie Hanns Joachim Friedrichs für seine "Haltung": Hajo Friedrichs wollte etwas bewegen. Er vertrat, wenn man so will, seine eigene Agenda. M.a.W. betätigte er sich als Politiker! Reschke sieht sich durch Friedrichs darin bestätigt, bei Themen, die ihr wichtig sind, eben nicht neutral zu bleiben.

5. Nur Mut

Der fünfte Abschnitt geht auf die Gefahren ein, die eintreten können, wenn man eine (unnachgiebige) Haltung zeigt. Als Beispiel genannt wird Sokrates, den es das Leben kostete, oder Edward Snowden, der im Exil leben muß. Als Negativbeispiele für fehlende Haltung genannt werden Personen, die einem sozialen Druck, z.B. durch einen rechtsradikalen Mob, nicht standgehalten haben.

Reschke beschreibt ausführlich übelste persönliche Angriffe, die sie nach ihrem 2015er Haltungs-Appell erhielt und die jeglichen menschlichen Respekt vermissen lassen. Man ist in der Tat fassungslos, zumal das Berichtete nur die Spitze eines Eisbergs sein dürfte. Man versteht, daß dies selbst einen Medienprofi wie Reschke stark belastet. Dementsprechend sieht Reschke sich und die ganze Gesellschaft "von Rechts" bedroht und sieht den Kampf "gegen Rechts" als eine der wichtigsten Formen von "Haltung zeigen" an.



Bewertung

Moralphilosophische Begründung von Haltung

Die einleitend formulierte Erwartung, den sehr diffusen Begriff "Haltung" genauer zu definieren, erfüllt das Buch für mich nicht. Auf das Chaos der Begriffskategorien wurde schon oben (s. dritter Abschnitt) hingewiesen. Noch eine weitere Begriffskategorie benutzt der zitierte Satz aus dem ersten Abschnitt:
Haltung orientiert sich an ethischem Sollen.
Dieser Satz führt in die richtige Richtung, denn die Unterscheidung zwischen zulässigen, also "guten", und nicht zulässigen Haltungen ist letztlich eine moralische Frage. Moral (bzw. Moralphilosophie) wird in dem Buch aber nicht einmal ansatzweise thematisiert. Der Hinweis, das Haltung irgendwo "ganz tief im Inneren" liegt, scheint das anzudeuten, das reicht aber nicht aus. Über etwas, was nicht klar beschreibbar ist, kann man nicht debattieren; Haltungen müssen aber zumindest erklärt, wenn nicht sogar rechtfertigt werden, ansonsten wirken sie auf andere willkürlich.

Das Fehlen einer moralphilosophischen Grundlage scheint insb. daran zu liegen, daß Reschkes Beispiele bzw. Denkmuster typischerweise Extremfälle unmoralischen Handelns sind: ein grölender rechtsradikaler Mob, der das Absaufen von Flüchtlingen feiert, oder die schrecklichen, an Reschke gerichteten Beleidigungen und Drohungen. Das sind moralphilosophische Trivialfälle, da braucht man nicht lange nachzudenken.

Die meisten moralischen Problemstellungen sind aber nicht so einfach entscheidbar. Ein Beispiel ist der "Skandal"-Artikel von Mariam Lau in der ZEIT über die private Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer, der das Dilemma thematisierte, daß diese Retter das Problem, das sie lösen, teilweise selber erschaffen und u.U. mitverantwortlich für die Todesfälle sind. Eine ähnlich differenzierte Betrachtung kniffliger Themen sucht man in Reschkes Buch vergeblich. Beispiele solcher Themen sind die Abgrenzung zwischen Journalismus und politischem Aktivismus oder der Mißbrauch medialer Machtpositionen.

Bezug auf das Grundgesetz

Am Ende des dritten Abschnitts schlägt Reschke vor, "Haltung" auf die Menschenrechte bzw. die Artikel 1 - 19 des Grundgesetzes zurückzuführen. In ihrer Rede bei der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises am 28.11.2018 betont sie dies ebenfalls: Aber ich denke, wir müssen uns gemein machen mit einer Sache. Und zwar mit einer guten. Unserer Verfassung.

Dieser Vorschlag bzw. die damit verbundene Selbstdarstellung wirken speziell bei Reschke völlig absurd und unglaubwürdig. Sie ist Gründungsmitglied von ProQuote Medien, einer Initiative zur Diskriminierung von Männern bzw. Privilegierung von Frauen in Medienberufen. Sie kämpft dort und andernorts aktiv gegen die Gleichberechtigung und gegen den Inhalt und Geist von Artikel 3 GG. Sie ist relevanter Teil der feministischen Infrastruktur, m.M.n. der gefährlichsten verfassungsfeindlichen Struktur hierzulande. Sich vor diesem Hintergrund als Hüter der Verfassung darzustellen, ist an Dreistigkeit schwer zu überbieten. Ihre "Haltung" zum Grundgesetz erweist sich hier, wo es ihren Machtinteressen nützt, als äußerst flexibel. Locker verbiegt sie den Sinn des Menschen- bzw. Grundrechts auf Gleichberechtigung in das glatte Gegenteil - daß dies seit wenigstens 10 Jahren heftig diskutiert wird, kann sie kaum übersehen haben, erwähnt dies aber mit keinem Wort.

Auch bei anderen Artikeln unter den ersten 19 des Grundgesetzes fragt man sich, wie ernst sie diese nimmt. Daß nach Art. 12a nur Männer, aber keine Frauen Wehr- oder Zivildienst leisten müssen, findet sie offenbar in Ordnung, das kann man aber auch anders sehen. Rätselhaft bleibt auch, was z.B. die Enteignung von Grund und Boden gemäß Art. 15 mit "Haltung", die sich überall im Alltag zeigt, zu tun hat. Der pathetische, substanzlose Bezug auf das Grundgesetz wirkt auf mich insg. wie ein Täuschungsmanöver.

Unabhängig von der persönlichen Unglaubwürdigkeit von Reschke und ihrer teilweise unpräzisen Argumentation ist der Menschenrechte-Ansatz aus diversen prinzipiellen Gründen, die einen eigenen Blogpost wert sind, nicht tragfähig. U.a. sind die Menschenrechte kein allgemeiner Moral- bzw. Verhaltenskodex. Demokratie ist kein Menschenrecht, damit fällt auch die spezielle Rolle der Medien als 4. Gewalt in einer Demokratie nicht unter die Menschenrechte. Hier wäre eine detaillierte und präzisere Befassung notwendig. Stattdessen bringt Reschke i.w. nur pauschal die Schlagworte wie Menschenrechte oder Grundgesetz vor und arbeitet den Ansatz nicht genauer aus. Platz genug wäre in ihrem Buch gewesen.

Als Randnotiz ist erwähnenswert, daß Reschke sich in dem schon erwähnten Interview im Schweizer Fernsehen deutlich konkreter als in ihrem Buch über die erzieherische Aufgabe der Presse in der deutschen Demokratie äußert. Eine Besprechung dieses oder anderer Interviews würde aber den Rahmen dieser Rezension sprengen.

Kollateralschäden des Haltungsjournalismus

Reschke thematisiert leider auch nicht hinreichend die andernorts wiederholt aufgeworfene Frage, ob die Medien - namentlich die öffentlich-rechtlichen - nicht längst zu viel Haltung zeigen und zur Radikalisierung der öffentlichen Debatten und zum Gefühl beitragen, es herrsche eine formale, aber keine tatsächliche Meinungsfreiheit (das Thema ist zufällig gerade wieder einmal durch die Kretzschmar-Affäre aktuell). Die von den linken meinungsführenden Eliten verordnete politische Korrektheit wird seit langem von vielen als überzogen und kontraproduktiv angesehen.

Reschkes Buch ist auch wenig geeignet, den oft erhobenen Vorwurf von Gesinnungsjournalismus zu entkräften. Die Schönwetterdarstellungen, wie ein idealer Journalismus aussehen sollte, konterkariert sie durch klare Statements, daß sie Objektivität, Neutralität bzw. Wertfreiheit sowieso für unerreichbar hält. Im Umkehrschluß stellt sie es in das beliebige Ermessen von Journalisten (und natürlich auch von sich selber), ob und wie diese Merkmale in der Berichterstattung angestrebt und erreicht werden. Schon die Beschreibung dieser Merkmale ist unterkomplex, eine saubere Unterscheidung fehlt. In der Konsequenz wird auch übersehen, daß das keine binären Merkmale sind, sondern graduelle, und daß man durchaus darüber nachdenken kann, welche Merkmale eine Berichterstattung haben sollte, die objektiv genug für den jeweiligen Zweck ist.

Neben den schon oben erwähnten begrifflichen Unsauberkeiten enthält das Buch diverse weitere Schwächen, stellenweise direkte Argumentationsfehler, auf die ich hier aus Platzgründen nicht eingehe, weil sie den Gesamteindruck nicht ändern.

Fazit

Der Gesamteindruck ist jedenfalls enttäuschend. Viele Seiten sind mit Trivialitäten oder eher persönlichen, nicht verallgemeinerbaren Begebenheiten gefüllt. Die könnte man weglassen oder stark kürzen, selbst wenn völlige Anfänger das Zielpublikum sind.

Das Buch liefert keine gründliche und klärende Behandlung des Themas "Haltung zeigen", denn die wirklich kniffligen und spannenden Fragen werden nicht zufriedenstellend oder gar nicht angesprochen. Auf die zentrale Frage, welche Haltung man den zeigen soll, kommt als Antwort, eine gute bzw. am ethischem Sollen orientierte, ohne daß diese Begriffe näher definiert werden. Das Buch bleibt nach meinem Eindruck hinter dem andernorts erreichten Stand der Analysen und Debatten zurück. Das ist ziemlich erstaunlich für jemand, der ein investigatives Magazin leitet und der sich seit Jahren mit dem Thema Journalismus beschäftigt.

Vielleicht dient die Oberflächlichkeit und Unschärfe dazu, eine kognitive Dissonanz zu vermeiden. Würde Reschke genauer analysieren, was z.B. der Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." in Art. 3 GG sinngemäß bedeutet, müßte ihr eigentlich zwangsläufig auffallen, daß ihre Aktivitäten, Frauen über Quoten Sonderrechte zu verschaffen, damit unvereinbar sind.

Insgesamt hatte ich den Eindruck, daß Reschke vor allem ihren bisherigen politischen Aktivismus und ideologischen Standpunkt, namentlich in der Flüchtlings- und Immigrationsdebatte, rechtfertigen und sich durch die vielen Unschärfen einen Freibrief für weiteren Aktivismus ausstellen will, anstatt wirklich das Thema Haltung im Journalismus zu behandeln.



Quellen



Anhang: Hanns Joachim Friedrichs' Zitat "sich nicht gemein machen"

Hanns Joachim Friedrichs wird immer wieder zitiert mit dem Satz bzw. der These, ein Journalist dürfe "sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten". Beispielsweise erscheint auf dem Titelbild der Webseite des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises der Text: Einen guten Journalisten erkennt man daran, daß er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache. (ohne Quellenangabe, wann und in welchem Kontext Friedrichs exakt diese Formulierung gewählt hat).

Die Äußerungen Friedrichs werden i.d.R. so interpretiert, daß Friedrichs forderte, daß Journalisten nicht Partei ergreifen bzw. in einem zu definierenden Sinn neutral bzw. objektiv sein sollen. Dieser Interpretation widersprechen Reschke und andere Journalisten.

Originalquellen

Friedrichs hat sich selber offenbar wiederholt mit ähnlichen Formulierungen geäußert, aber nur sehr wenige sind durch Originalquellen verifizierbar. Die beiden mir vorliegenden Originalquellen sind, in der Reihenfolge ihrer Publikation:
  1. das von ihm selber verfaßte Buch Journalistenleben. Es enthält auf S.70-71 folgende Textpassage:
    ... Bei diesen Begegnungen hat mir Charles Wheeler keine Vorträge gehalten, sondern eher beiläufig davon geredet, was ihm zu diesem oder jenem Vorgang durch den Kopf ging, was er mir empfehlen, wovor er mich warnen würde. Zu seinen Maximen gehörte die Erkenntnis, daß ein seriöser Journalist "Distanz zum Gegenstand seiner Betrachtung" hält; daß er sich "nicht gemein" macht mit einer Sache, "auch nicht mit einer guten Sache", daß er nicht in lauten Jubel einstimmt oder in öffentlicher Betroffenheit versinkt: und daß er auch im Umgang mit Katastrophen cool bleibt, ohne "kalt" zu wirken. "Immer dabeisein - nie dazugehören", dieses Journalisten-Motto beschreibt den Reporter Charles Wheeler wohl am treffendsten. ...
    Die diversen kurzen Textstücke, die in Anführungszeichen gesetzt sind, waren offenbar wörtliche Äußerungen von Charles Wheeler. D.h. die These, sich nicht gemein zu machen, stammt von Charles Wheeler. Man kann davon ausgehen, daß Friedrichs sich Wheelers Meinung anschließt.

    Auf der Rückseite des Umschlags der gebundenen Ausgabe des Buchs erscheint eine leicht variierte und gekürzte Version der Textpassage:

    "Einen guten Journalisten erkennt man daran, daß er Distanz zum Gegenstand seiner Betrachtung hält; daß er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; daß er immer dabei ist, aber nie dazugehört."
    Auch hier ist davon auszugehen, daß Friedrichs einverstanden mit dieser plakativeren und prägnanteren Formulierung war (und daß diese nicht vom Verlag ohne Rücksprache mit Friedrichs auf den Umschlag gedruckt wurde).
  2. ein Interview von Jürgen Leinemann und Cordt Schnibben für den Spiegel. Darin antwortet Friedrichs auf eine Frage der Interviewer:
    SPIEGEL: Hat es Sie gestört, daß man als Nachrichtenmoderator ständig den Tod präsentieren muß?

    Friedrichs: Nee, das hat mich nie gestört. Solche Skrupel sind mir fremd. Also, wer das nicht will, wer die Seele der Welt nicht zeigen will, in welcher Form auch immer, der wird als Journalist zeitlebens seine Schwierigkeiten haben. Aber ich hab' es gemacht, und ich hab' es fast ohne Bewegung gemacht, weil du das anders nämlich gar nicht machen kannst. Das hab' ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, daß die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.

Bei dem Spiegel-Interview bildet die Frage der Interviewer den Rahmen, in dem Friedrichs' Antwort interpretiert werden muß. In diesem Kontext ergibt sich eindeutig, daß mit "sich nicht gemein machen" zumindest gemeint war, sich nicht emotional mit Katastrophen zu belasten. Man kann mit dieser Quelle nicht sicher belegen, daß Friedrich ganz generell eine unparteiische Berichterstattung gefordert hätte. Man kann aber auch das Gegenteil nicht aus dieser Quelle ableiten, nämlich daß Friedrichs es abgelehnt hätte, ganz generell eine unparteiische Berichterstattung zu fordern.

Die beiden mehr oder weniger identischen Zitate in "Journalistenleben" stehen nicht in einem derartigen Rahmen, sie sind sehr allgemein gemeint und können nur so interpretiert werden, daß Friedrichs ganz generell eine unparteiische und distanzierte Berichterstattung fordert. Von einem emotionalen Selbstschutz ist hier keine Rede.

Beim Vergleich der beiden Quellen ist klar, daß "Journalistenleben" hier die maßgebende Quelle ist. Statements in diesem Buch sind weitaus sorgfältiger durchdacht gewesen als ad-hoc Antworten in einem Interview. Die beiden Belegstellen in diesem Buch widersprechen der restriktiven Interpretation des Spiegel-Interviews.

Reschke zitiert in ihrem Buch alleine das Spiegel-Interview, also eine nicht autoritative Quelle. Sofern ihr "Journalistenleben" bekannt war - was wir nicht wissen, was aber ein peinlicher Lapsus wäre -, wäre die Nichterwähnung der wesentlichen Belegstellen in "Journalistenleben" eine Art Geschichtsfälschung mit dem Ziel, den Leser zu täuschen, und ein klassisches Beispiel für eine einseitige Berichterstattung.

Relevanz der Friedrichs-Zitate

Das Spiegel-Zitat wird in Reschkes Buch von S.71-76 ausladend behandelt, inkl. des vorstehenden Vollzitats und mehrerer, stellenweise unverschämter Zuschriften von Lesern. Diese weitschweifige Darstellung trägt allerdings nichts zur Frage bei, ob ein "neutraler" bzw. "objektiver" Journalismus wünschenswert ist und was das überhaupt ist. Ich halte sie für ein Ablenkungsmanöver (unabhängig davon, daß das Spiegel-Zitat keine autoritative Quelle ist).

Befürworter eines "neutralen" Journalismus präsentieren das Spiegel-Zitat als Argument für ihren Standpunkt. Diese Quelle ist als Argument hierfür zu unsicher, die Forderung nach einem "neutralen" Journalismus ist also mit diesem Argument nicht wirksam unterstützt. Es gibt aber genügend andere, valide Argumente, die die Forderung nach einem "neutralen" Journalismus unterstützten. Reschke arbeitet hier mit folgendem Denkfehler (den sie eventuell selber begeht, zumindest aber den Lesern suggeriert): Wenn ein Beweis für eine Aussage X fehlerhaft ist, dann ist das Gegenteil von X bewiesen. Nur mit diesem Denkfehler macht es überhaupt Sinn, daß Reschke ihre eigene These von Haltung Zeigen damit beweisen will, daß die gegenteilige Aussage Friedrichs' nicht bewiesen sei.

Unabhängig davon, ob Friedrichs sich für einen "neutralen" Journalismus ausgesprochen hat oder nicht, wäre Friedrichs' Meinung nur ein Autoritätsargument (Argumentum ad verecundiam) gewesen, also ein schwaches Argument. Selbst wenn Friedrichs eine Art Heiligenstatus hatte, zählen letztlich nur Sachargumente.

Die Friedrichs-Zitat sind also grundsätzlich wenig relevant für die Debatte, ob Journalismus "neutral" sein soll.

War Friedrichs für den Haltungsjournalismus?

Auf S.75-76 argumentiert Reschke, Friedrichs würde ganz im Gegenteil ein Unterstützer ihrer Forderung sein, Haltung zu zeigen:
Hajo Friedrichs wollte etwas bewegen. Er vertrat, wenn man so will, seine eigene Agenda. ... Ich denke, Hajo Friedrichs hatte durchaus eine Haltung, und er hat damit nicht hinter dem Berg gehalten.
Belegt wird diese nachträgliche Analyse der Meinung von Friedrichs mit dessen Naturfilmen, also einem speziellen Themenbereich, und einem sehr speziellen Einzelbeispiel. Beides ist nicht entfernt ausreichend, Friedrichs als Unterstützer von Reschkes unklarem Begriff des Haltung Zeigens zu akzeptieren. Zusätzlich gilt auch hier wieder, daß die Berufung auf Friedrichs nur ein Autoritätsargument ist.


Nachträge 23.01.2019, 24.01.2019

  1. Kommentare zu diesem Blogpost können hier abgegeben werden.
  2. Aufgrund eines Kommentars habe ich einen Anhang: Hanns Joachim Friedrichs' Zitat "sich nicht gemein machen" hinzugefügt.
  3. Aufgrund weiterer Kommentare habe ich den Anhang um das Zitat aus "Journalistenleben" erweitert. Die Gesamtbeurteilung ändert sich dadurch wesentlich.