Donnerstag, 24. Juni 2021

Grüner Geschlechterrassismus und die Kumpanei der Mainstream-Medien


Zur Zeit schwappt eine Welle der Empörung durch grün/feministische Kreise, weil ein Mann (Hubert Ulrich) es gewagt hat, für ein politisches Spitzenamt zu kandidieren und die Wahl auch noch zu gewinnen und anzunehmen. Genauer gesagt ging es um Platz eins der Landesliste der Grünen im Saarland bei der Bundestagswahl. Wenn man sich ein wenig mit den Grünen und der Geschlechterthematik auskennt, kann einen der Vorfall nicht überraschen, er ist im Gegenteil nachgerade zwangsläufig: In ihrem Frauenstatut realisieren die Grünen schon seit über 30 Jahren ein effektives Matriarchat, das Frauen (genauer gesagt Frauen*) alle Spitzenplätze auf Wahllisten und weitere Privilegien zuteilt. Das Frauenstatut ist eklatant verfassungswidrig. Personen aufgrund ihrer biologischen Merkmale zu Menschen zweiter Klasse zu machen, gilt üblicherweise als Rassismus:
"Rassisten betrachten Menschen, die ihren eigenen Merkmalen möglichst ähnlich sind, meist als höherwertig, während alle anderen (oftmals abgestuft) als geringerwertig diskriminiert werden."
Das grüne Matriarchat ist daher definitionsgemäß Geschlechterrassismus. Diese Form von Rassismus regt in den öffentlichen Debatten aber niemand besonders auf - im Gegensatz zu anderen, auch nur subtilen Formen von Rassismus (z.B. jemanden nach seiner Herkunft zu fragen), bei denen Männer, insb. alte, weiße oder heterosexuelle Männer, als Täter im Verdacht stehen. Diese langjährig etablierten Doppelstandards und das Totschweigen des grünen Geschlechterrassismus durch unsere Medien kann man, wenn man sarkastisch veranlagt ist, als Faszinosum bezeichnen.

Ein weiteres Faszinosum ist, daß weite Teile der Bevölkerung, darunter sogar Wähler der Grünen, das Frauenstatut gar nicht zu kennen scheinen. Nach diversen Einzelberichten führt das neue Wissen, was die Grünen tatsächlich unter Geschlechtergerechtigkeit verstehen, zu einem schlagartigen Zugewinn an politischer Bildung und zu einem sinnvolleren Wahlverhalten. Die aktuellen Vorgänge um die Wahl im Saarland könnten eventuell wesentlich zur Steigerung der allgemeinen politischen Bildung beitragen.

Die Kumpanei der Mainstream-Medien

Offensichtliche Ursache für die allgemeine Unkenntnis des Frauenstatuts und seiner Bedeutung ist die langjährige Kumpanei des ÖRR und großer Zeitschriften wie ZEIT oder SZ mit den Grünen. Diese ist grundsätzlich kein Geheimnis, sie wird zumindest ab und zu thematisiert, eine Unterstützung der Grünen wird von den Betroffenen natürlich entrüstet zurückgewiesen. Wegen der möglichen Bedeutung der Vorgänge im Saarland ist es trotzdem sinnvoll, sich die Berichterstattung des ÖRR, also hier des Saarländischen Rundfunks, der offenbar als einziger vor Ort dabei war und somit die primäre Quelle darstellt, genauer anzusehen.

Der Bericht bzw. Kommentar von SR-Landespolitik-Chef Michael Thieser ist ein klassisches Hit-piece gegen den auf den Spitzenplatz gewählten Ex-Landeschef Hubert Ulrich. Ulrich sei "der grüne Panzer", sein Comeback "konnte nicht verhindert werden", der "Preis für die Wahl von Ulrich sei hoch", weil die Grünen im Saarland sich damit selbst zerlegt hätten. Ulrich wurde übrigens mit 95:47:2 (ja:nein:Enthaltung) Stimmen gewählt. Rund zwei Drittel der Stimmen zu bekommen gilt normalerweise als ordentliches Resultat und breiter Vertrauensbeweis. Nicht so in diesem Fall, zumindest für den SR-Landespolitik-Chef Thieser. Thieser zufolge "erinnert das Abstimmungsverhalten und rigorose Vorgehen [der Ulrich-Unterstützer] mehr an eine Sekte als an eine politische Partei". Deren offenbar wahnhafter Zustand scheint für Thieser die einzig denkbare Erklärung zu sein, "dass selbst die weiblichen Delegierten ... das eigene Frauenstatut außer Kraft setzten".

Thiesers Äußerungen können als Höhepunkt des Qualitätsjournalismus im ÖRR bezeichnet werden. Sein Entsetzen, der im Frauenstatut verankerte Geschlechterrassismus könnte einen Moment lang außer Kraft gesetzt gewesen sein, spricht Bände für sein Demokratieverständnis. Aus seinem ganzen Text spricht eine kaum zu steigernde Sorge um das Wohlergehen der radikalfeministischen Fraktion bei den Grünen. Ob seine Behauptung stimmt, das Frauenstatut sei außer Kraft gesetzt worden, ist im übrigen nicht restlos klar, dazu sind die Berichte zu ungenau. Mehr dazu weiter unten.

Die etwas weniger prominenten Journalisten des Saarländischen Rundfunks weichen in ihren Darstellungen und Einschätzungen kaum von der Linie ihres SR-Landespolitik-Chefs ab. Carolin Dylla ist überzeugt, der Spitzenplatz sei bei den Grünen für ein Frau reserviert, sie ist in großer Sorge, die "ohne Not" stattfindenden Flügelkämpfe könnten zu einer Spaltung der Partei und zu einem machtpolitischen Fiasko führen. Sie scheint inständig auf den feministischen Endsieg mit Baerbock als Bundeskanzler zu hoffen.

Der ausführliche Bericht von Henrich und Dylla läßt ebenfalls kaum Zweifel daran, welchem Flügel die Sympathien gelten.

Weitere Berichte in der Presse, z.B. im Spiegel, im Merkur und in der Süddeutschen (1), scheinen i.w. auf den Berichten des SR zu basieren, sind jedenfalls keine eigenständigen Augenzeugenberichte.

Juristisches Nachspiel?

Die oberste Matriarchin Annalena Baerbock und die komplette Bundesparteizentrale sind jedenfalls entsetzt über den Fehltritt der Saarländer ("Wir haben uns das anders gewünscht.") Diversen Berichten zufolge wird eine juristische Anfechtung der Wahl angestrebt, entweder durch ein parteiinternes Schiedsgericht oder durch normale Gerichte.

Ob tatsächlich gegen das Frauenstatut, also die Wahlordnung, verstoßen worden ist, ist nicht restlos klar. Kurzer Exkurs hierzu: Zunächst hatte die bisherige Landesvorsitzende Tina Schöpfer für den Spitzenplatz kandidiert. Sie erreichte aber in 3 Wahlgängen nur jeweils unter 30% der Stimmen und war damit gescheitert ("wurde brutal abserviert" laut Thieser). Sofern danach keine weitere Frau kandidierte, konnte die Wahlversammlung gemäß § 1 Mindestquotierung, Absatz (2) den Frauenplatz freigeben (für die Kandidatur von Männern). Laut Henrich und Dylla wurde die Chefin der Grünen Jugend und stellvertretende Landesvorsitzende Jeanne Dillschneider für Listenplatz 1 vorgeschlagen (vermutlich hat sie sich auch zur Kandidatur bereit erklärt). Offenbar geschah dies nach der Nichtwahl von Tina Schöpfer und vermutlich auch nach der Freigabe der Bewerbungsmöglichkeit für Männer (andernfalls ist die Freigabe schwer vorstellbar).

Hier stellt sich nun die Frage, ob die nachträgliche Kandidatur von Jeanne Dillschneider einen früheren Freigabe-Beschluß der Versammlung ungültig machte. Im Frauenstatut ist dieser Fall nicht explizit geklärt. Wenn man indes den feministischen Geschlechterrassismus als grundlegendes Ziel der Norm ansieht, ist der Fall natürlich klar: zumindest während der Wahlversammlung macht in der vorliegenden Konstellation die Kandidatur einer Frau die Zulassung oder sogar Wahl eines Mannes ungültig, daher auch die Empörung von Baerbock und Co.

Es bleibt nur zu hoffen, daß die Gerichte diesen Fall öffentlich klären. Um über einen nicht explizit ausformulierten Grenzfall zu entscheiden, müßte nämlich der normative Gehalt des Frauenstatuts - die Diskriminierung von Männern - ausformuliert werden. Dann würde aber endlich in einem offiziellen Kontext die Frage diskutiert werden, ob die Aufhebung von Grundrechten (z.B. passives Wahlrecht) und die eklatante Verletzung von Art. 3 GG mit Art. 21 (1) GG vereinbar sind. Nach Art. 21 (1) GG muß die innere Ordnung einer Partei demokratischen Grundsätzen entsprechen, das ist hier eindeutig nicht der Fall.

Welcher Flügel der saarländischen Grünen bei dem Streit gewinnt, ist egal. Hauptgewinner könnte die Demokratie sein, wenn die Verfassungswidrigkeit des Frauenstatuts endlich offiziell festgestellt wird.


Nachtrag 1: Auch bei der BTW 2017 ein Mann an der Spitze der grünen Landesliste

Keine der Journalist*Innen, die die aktuell die Nichteinhaltung des Frauenstatuts beklagen, scheint bemerkt zu haben bzw. hat es kommentiert, daß auch bei der letzten Bundestagswahl ein Mann (Markus Stefan Tressel) auf Platz 1 der Landesliste der Grünen stand und seitdem Abgeordneter im Bundestag ist. Zumindest im Saarländischen Rundfunk sollte dies nicht unbekannt sein. Die Wahl von Tressel war indes konform zur damals geltenden Satzung des Landesverbands. Weil das Saarland ein sehr kleines Bundesland ist und realistischerweise nur eine Person eine Chance hat, über die Landesliste in den Bundestag zu kommen, konnten für Platz 1 Männer und Frauen kandidieren. Die folgenden Plätze wurden geschlechterseparierend vergeben. Diese Satzung war nicht konform zum bundesweiten Frauenstatut, daher wurde dagegen geklagt. Das grüne Bundesschiedsgericht war nicht der Meinung der Landesspitze, daß hier eventuell Männer diskriminiert werden, und verbot die geschlechtsneutrale Regelung.

Nachtrag 2: Turbulenzen um die Zweitplazierte, Iryna Gaydukova

In der Wahlversammlung, in der Hubert Ulrich auf Platz 1 der Landesliste für die Bundestagswahl 2021 gewählt wurde, wurde Iryna Gaydukova auf Platz 2 dieser Liste gewählt. Wenn Ulrich den Aufforderungen zurückzutreten gefolgt wäre, wäre sie voraussichtlich über die Landesliste Mitglied des Bundestags geworden. Ferner wurde Gaydukova zur stellvertretenden Vorsitzenden des Landesverbandes gewählt. (Zum Vorsitzenden wurde Ralph Rouget gewählt.)

Am 24.06.2021 kursierte ein zweiminütiges Video in den sozialen Netzwerken, das vermutlich aus der Wahlversammlung stammt. Es zeigt Gaydukova, der Fragen zu Kernthemen der Grünen gestellt werden (CO2-Emissionshandel, Fahrradpolitik und Klimaschutz vs. soziale Gerechtigkeit). Sie kann auf keine der drei Fragen auch nur ansatzweise antworten und blickt überwiegend hilflos in die Kamera. Unklar ist, ob neben diesen drei Fragen Dutzende weitere Fragen gestellt wurden, bei denen sie einen kompetenteren Eindruck hinterlassen hat. Die Reaktionen auf dieses Video kann man sich denken. Als Folge davon trat Gaydukova mit sofortiger Wirkung aus der Partei aus.

Die völlige Überforderung von Gaydukova ist ein Musterbeispiel für die Folgen von Frauenquoten. Gaydukova ist erst 2018 politisch aktiv geworden und in die Partei eingetreten. M.a.W. war und ist sie ein politischer Anfänger. Ein Mann hätte nicht den Hauch einer Chance, in diesem Reifestadium so hohe Positionen zu erreichen. Wegen ihrer massiven Privilegierung fallen Frauen hingegen "die Treppe hinauf". Gaydukova litt womöglich unter starker Selbstüberschätzung, man muß dies allerdings damit relativieren, daß die sexistischen Strukturen bei den Grünen eine solche Selbstüberschätzung regelrecht provozieren.

Neben Gaydukova sind inzwischen weitere Personen von Ämtern zurückgetreten, u.a. aufgrund der massiven Einflußnahme des Bundesvorstands der Grünen gibt es erhebliche Turbulenzen.

Bemerkenswert ist auch hier wieder die Berichterstattung im ÖRR: Der Rücktritt von Gaydukova wird nur im Kontext der Klagen gegen Ulrich erwähnt, das Skandalvideo wird mit keinem Wort erwähnt. Ein uninformierter Leser kann nur schlußfolgern, daß Ulrich bzw. seine Unterstützter (sozusagen das Patriarchat) Ursache von Gaydukovas Rücktritt war.


Anmerkungen

(1) Der Artikel von Constanze von Bullion in der Süddeutschen ist extrem lesenswert. Nach von Bullion konnte die "Nervensäge" bzw. der "Trickser" Ulrich, den ja eigentlich niemand kennt und der auch sonst eine Unperson ist, das "grüne Frauenstatut ausmanövrieren", weil sich "das Patriarchat im Saarland offenbar besonderer Ausdauer erfreut". Mit Journalismus hat das nichts mehr zu tun. Den Text als Hit piece zu bezeichnen wäre eine Untertreibung, es ist eher eine Art Tobsuchtsanfall aufgrund parteipolitischer Frustration.

Quellen