Donnerstag, 20. April 2017

Glauben statt denken

Norddeutsche Propaganda

Vor Jahren, als ich mit diesem Blog angefangen habe, interessierten mich vor allem die wissenschaftlichen Grundlagen, die eine Geschlechterpolitik haben kann. Das war kindlich. In der Zeit habe ich gelernt, daß Wissenschaft und Fakten in der Politik keine wesentliche Rolle spielen, sondern nur Medienmacht, Desinformation, Propaganda und Faktenresistenz. Das Erkennen von medialer Meinungsmanipulation und Propagandatechniken gehört daher heutzutage zu den intellektuellen Grundfähigkeiten. Die natürlich trainiert werden müssen, deswegen werfen wir heute einen Blick auf DIE ZEIT und deren Osterausgabe.

Ostern ist bekanntlich die Zeit der inneren Einkehr und der Erneuerung des Glaubens. Dies dürfte der Grund gewesen sein, warum die ZEIT in ihrer Osterausgabe dem Thema Feminismus gleich 7 Artikel (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7) gewidmet hat. Das ist selbst für die ZEIT eine ungewöhnliche hohe Anzahl, üblich ist einer pro Heft. Günstig erschien der Zeitpunkt womöglich auch deshalb, weil das unermeßliche Leid, das die deutsche Frau, speziell wenn feministisch, täglich erleidet, nur an einem Tag wie dem Karfreitag richtig verstanden werden kann.

Einige der Artikel aus der Druckausgabe sind inzwischen auch auf ZEIT ONLINE publiziert worden (dort neben ca. 5 zusätzlichen Artikeln, die für mehr Feminismus werben), Frei zugänglich ist der Artikel von Carolin Würfel: "Feministin, ich? Ja! Aber wie?"

Frau Würfel darf ihre Meinung häufiger in der Zeit verbreiten. Sie schreibt nach einer Selbstdarstellung "viel über Kunst und Kultur, aber auch über fremde Länder, Feminismus oder Crystal Meth." Ob sie selber schon einmal Methamphetamin ausprobiert hat und in diesem Zustand ihren Artikel geschrieben hat, weiß man nicht. Der Artikel entführt den Leser und besonders die Leserin jedenfalls immer wieder in eine Traumwelt, die mit der mir bekannten Realität nicht viel zu tun hat.

Die österliche Beichte

Würfels Text beginnt mit einer Beichte.
Ich zweifle an mir. .... Ich zweifle daran, ob ich eine gute Feministin bin.
Und zwar deshalb, weil sie der Versuchung nicht restlos widerstanden hat, darüber nachzudenken, ob der Feminismus nicht mehr notwendig sei. Sie fragt sich, wo sie steht, auf der Seite des Guten oder des Bösen? Sie grübelt, warum sie sich davon entmutigen ließ, daß am "Women's March" in Berlin nur US-amerikanische Parolen nachgebetet wurden. Das Leben in einer feministischen Diaspora wie Deutschland ist deprimierend, wenn man die natürlich nicht paradiesischen, aber immerhin Mut machenden Zuständen in den USA zum Vergleich heranzieht. Dort bekennen sich viele feministische Prediger öffentlich und lautstark zu ihrem Glauben, manchmal so laut, daß man ihre Stimmen auch in Deutschland hören kann. Die deutsche Gemeinde nimmt den Glauben erschreckend unernst, wie einen Karneval der Kulturen, irgendwie politisch, aber eigentlich ein großes Familienfest, auf dem viele lustige Selfies entstehen. Frau Würfel durchschaut die Gefahr, daß so dem Feminismus die Ernsthaftigkeit abgesprochen werden kann, und enttarnt die Selfies-Produzentinnen als Wankelmütige im Glauben.

Im weiteren Verlauf widerlegt sie kenntnisreich die Argumente derjenigen, die "Nö." auf die Frage "Brauchen wir den Feminismus überhaupt?" antworten. Sie warnt eindringlich vor den geistigen Sünden, zu denen die Antichristfeministen verführen möchten. Die Antis sind Menschen, die den Irrglauben verbreiten, Feminismus sei eine Art geisteswissenschaftliches Nischenfach mit sehr eigenwilligen, sehr weltfremden Theorien [wahrscheinlich verwechselt sie hier Feminismus mit den Gender Studies, das kann einem leicht passieren], konstruiert von Frauen, die Männer nicht besonders mögen.

Sie versäumt es nicht, anschließend das profunde Wissen der "Unbedingt!"-Antwortenden zu preisen, die die sehr realen Ungerechtigkeiten wie die die Dreifachbelastung durch Job, Kinder und Pflege, die Altersarmut von Frauen, das um 21 Prozent höhere Einkommen von Männern und vor allem die subjektiven Ungerechtigkeiten, die zu den objektiven hinzukommen, korrekt erkennen.

Wir überspringen hier aus Platzgründen einige Ausführungen, die von hervorragender Kenntnis weiterer alternativer feministischer Fakten zeugen, und leiten zum finalen Schuldbekenntnis über,

dass nämlich der Feminismus in Deutschland so vor sich hinwabert, ... weil wir immer noch wie Duckmäuserinnen leben. ... Und weil wir selbst Schuld daran haben, dass sich in den letzten 40 Jahren so wenig verändert hat.

Die Buße

Dieses schonungslose Schuldbekenntnis macht den Weg frei zur Katharsis, Buße und Besserung. Die Besserung besteht offensichtlich darin, den vielen früheren Sünden - Frau Würfel zählt eine lange Liste auf - abzuschwören, z.B. sich den propagierten Körperidealen anzunähern, und kläglich zu scheitern ... so sein zu wollen, wie mich die anderen haben wollen usw.usw. Männer machen so etwas nie. Der gute Vorsatz lautet mithin:
Die falschen Fragen, sie müssen aufhören. Sie animieren uns zum Zweifeln. Die Frage, ob wir Feminismus brauchen, muss aufhören. Es ist doch klar, warum wir ihn brauchen.
Das ist mit Sicherheit jedem Leser völlig und restlos klar geworden.
Weil es nur logisch und sinnvoll und gerecht ist, dass jeder Mensch - egal welchen Geschlechts - die gleichen Rechte genießt.
Wer würde da nicht von ganzem Herzen zustimmen?
Und: Es gibt auch keine guten und keine schlechten Feministinnen. Es gibt nur Frauen, die jeden Tag Wege nach vorn suchen.
Denn Gott, die allmächtige, wird jede Gläubige bei sich aufnehmen und den Verzweifelten Trost spenden!

Die 20 Gebote oder das Mutterunser

Eine Buße besteht ja üblicherweise darin, das Vaterunser 5* aufzusagen oder die 10 Gebote 10 Mal abzuschreiben. Frau Würfel entscheidet sich für letzteres, kommt aber auf 20 feministische Gebote, die sie nur einmal aufschreibt, was lesefreundlicher ist. Mehrere Gebote ordnen an, beliebig viel zu essen und Dicke schön zu finden, verbieten Rechtfertigungen, Selbstzweifel oder Vergleiche mit intrasexuellen Konkurrentinnen, beziehen auch Männer mit ein, denen zu erklären ist, daß Feminismus sie aus ihren Käfigen befreit, setzen der notorischen weiblichen Neigung, die Männlichkeit des Partners zu beschützen, ein Ende usw.usw. Damit das hier kein Katechismus wird, sei auf die zur Gänze lesenswerte Originalliste verwiesen. Den fulminanten Abschluß bildet Gebot Nr. 20:
20. Hör nicht auf, den Begriff Feminismus zu benutzen. Oder an Feminismus zu glauben.
Besser kann man das Glaubensbekenntnis der Ersatzreligion Feminismus nicht auf den Punkt bringen. Du sollst glauben, und nicht denken. Wann immer Du an Deinem Glauben zweifelst, ist dies eine Prüfung, die ein maskulistischer Wiedertäufer Dir auferlegt!

Die Absolution

Der letzte Satz des Artikels führt die Eucharistiefeier zu ihrem logischen Ende:
Ich bin eine Feministin!
Genaugenommen wußten wir das schon vorher, diese Annahme ist Voraussetzung für die Eingangsfrage "Bin ich eine gute (oder schlechte) Feministin?" Daß sie gar keine Feministin ist, stand nie zur Debatte. Der letzte Satz bedeutet daher in Wirklichkeit: Ich bin eine gute Feministin! (auch wenn das zwischendurch egal war).

Daß sie sich hier selber die Absolution erteilt und keine Priesterin, mag vordergründig ungewohnt erscheinen, ist aber nur eine optische Täuschung. Denn unsichtbar mit anwesend ist die ZEIT-Redaktion, die den Artikel mitverantwortet und vermutlich dieser schonungslosen mentalen Selbstkasteiiung und der erfolgreichen Festigung im Glauben ergriffen gefolgt ist.

Amen.

Quellen

  1. Judith E. Innerhofer: Mit Jesus in der Pop-up-Bar. DIE ZEIT (Politik Österreich), 12.04.2017
  2. Joachim Riedl: Auf den Spuren der Fraugott. DIE ZEIT (Politik Österreich), 12.04.2017
  3. Joachim Riedl: Ist Gott eine Frau? DIE ZEIT (Politik Schweiz), 12.04.2017
  4. Susanne Mayer: Voll die Opfer. DIE ZEIT (Feuilleton), 12.04.2017
  5. Lars Weisbrod: "Du Nutte". DIE ZEIT (Feuilleton), 12.04.2017
  6. Carolin Würfel: Feministin, ich? Ja! Aber wie? DIE ZEIT (zeitmagazin), 12.04.2017 http://www.zeit.de/zeit-magazin/2017/16/feminismus-2017 ... wortung
  7. Sascha Chaimowicz: Der lange Weg zur Gleichberechtigung: Wir zeigen Frauen, die vorangehen. DIE ZEIT (zeitmagazin), 12.04.2017