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Als postfaktische Politik wird schlagwortartig ein politisches Denken und Handeln bezeichnet, bei dem Fakten nicht im Mittelpunkt stehen. Die Wahrheit einer Aussage tritt dabei hinter den emotionalen Effekt der Aussage vor allem auf die eigene Interessengruppe zurück.Die Tagesschau berichtet heute über die zentralen konkreten Vorhaben, die SPD-Kanzlerkandidat Schulz in den ersten 100 Tagen angehen will, sollte er denn Kanzler werden: "Managergehälter begrenzen, Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern abbauen, die EU stärken". Daß sich Herr Schulz Sorgen um die Einkünfte "seiner Töchter" macht, hat er schon vor kurzem tiefbewegt und sorgenschwer auf Twitter verlautbart:
https://de.wikipedia.org/wiki/Postfaktische_Politik
Unsere Töchter bekommen im Schnitt 21 % weniger Gehalt als unsere Söhne. Wir brauchen Lohngerechtigkeit! Das ist eine Frage des Respekts.Diesem Appell an die Menschlichkeit und GG Art. 1 könnte man jetzt auf der Sachebene antworten und Herrn Schulz darauf hinweisen, daß seine Aussage objektiv falsch ist, sofern er nicht schon mit ca. 18 Jahren Vater geworden ist. Nach einer auch von der SPD vielzitierten Publikation des Statistischen Bundesamts beträgt selbst das unbereinigte Gender Pay Gap (GPG) für die Altersklassen
18. März 2017
- 24 Jahre und jünger: 2,0 %,
- 25 bis 29 Jahre 8,5 %,
- 30 bis 34 Jahre 14,2 %
Die Botschaften von Martin Schulz
Gemäß dem Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun
dient Kommunikation nicht nur der Nachrichtenübermittlung,
sondern auch der Selbstoffenbarung, also der
Selbstdarstellung des Sprechers. In Wahlkampfzeiten ist
das womöglich der einzige Sinn von Kommunikation. Was
offenbart Martin Schulz also mit seinem Tweet und seinem
100-Tage-Programm über sich?
- daß er gemäß dem üblichen männlichen Beschützerinstinkt als edler Ritter immer auf Seiten der Frauen kämpfen wird
- daß ihm seine Söhne suspekt sind, weil sie zuviel verdienen
- daß er ein guter Feminist ist und jegliche feministische Propaganda kritiklos übernimmt
- daß er ein sog. mathematischer Analphabet ist; als Zahlenanalphabetismus (bzw. Innumeracy) bezeichnet man das Unvermögen, zahlenmäßig dargestellte Sachverhalte zu verstehen
- daß er die jahrelange Diskussion um die Ursachen des GPGs nicht mitbekommen und/oder verstanden hat und ähnlich wie Kreationisten nicht mehr zugänglich für rationale Argumente ist.
- Der Zahlenanalphabetismus und das Argumentieren mit dem unbereinigten GPG gilt in vielen Kreisen als dümmstmöglicher Populismus, mit dem man sich nur blamieren kann.
- Bei anderen Innumeraten kann es hingegen ein Gefühl der Gemeinsamkeit und des liebevollen Verständnisses erzeugen.
Postfaktische Politik
... ist, wie schon erwähnt, politisches Denken und Handeln,
bei dem Fakten nicht im Mittelpunkt stehen.
Womöglich sind auch die Selbstoffenbarungen von Herrn
Schulz nicht ganz faktengetreu, es ist alles andere als
klar, daß Herr Schulz wirklich so mathematisch unbegabt
ist, wie er sich darstellt. Zumal wir uns in der Ära eines
Donald Trump befinden, dessen Erfolgsrezepte gerne kopiert
werden.
An der medialen Kunstfigur "Martin Schulz" wirkten laut
Focus
schon in Brüssel fünf Pressesprecher, zwei
Protokollanten und ein Redenschreiber aus einem Team von
insg. 33 persönlichen Assistenten mit. Die SPD-Zentrale
dürfte auch noch mitgeholfen haben.
Es ist schwer vorstellbar, daß die aktuellen Äußerungen
von Schulz nicht mit der Parteizentrale abgesprochen sind
und man sich keine Gedanken über den erhofften
Gesamteffekt auf die Wählerstimmen gemacht hat. Unter
dieser Annahme geht die SPD offenbar davon aus,
überwiegend Zahlenanalphabeten und masochistisch
veranlagte Söhne, die es gut finden, weniger zu verdienen,
in ihrer Wählerschaft zu haben. Das ist ein politisches
Denken und Handeln, bei dem so einige Fakten in der aktuellen
politischen Landschaft verdrängt werden und das sozusagen
in einer anderen Dimension postfaktisch ist:
- Die SPD scheint davon auszugehen, daß ihr die Benutzung von Fake-Statistiken und der erwünschte männliche Masochismus von den anderen Parteien nicht vorgehalten und als Wahlkampfmunition gegen sie verwendet wird. Bei den Grünen ist diese Annahme sicher richtig, mit den Grünen tritt sie eher in eine Bieterkonkurrenz bzgl. feministischer Wohltaten. Bei allen anderen Parteien ist dies sehr fraglich. Zumindest die FDP hat schon in NRW heftig gegen die feministische Politik opponiert, wenn auch erfolglos. Die AfD wird sich erst recht nicht diese Steilvorlage entgehen lassen, Martin Schulz als Heilsbringer zu dekonstruieren.
- Schwer einzuschätzen ist die Wirkung der nicht-mainstream Medien, darunter die Blogosphäre und die großen Zeitschriften-Foren. Dort wird der Populismus von Schulz bzw. der SPD mit Sicherheit benannt und scharf angegriffen werden. Eventuell versucht die SPD auch hier, von Trump zu lernen, der seinen Wahlkampf weitgehend auf das reichweitenstarke TV konzentriert hatte und der in den neuen Medien mit Ausnahme von Twitter wenig präsent war. Wenn Herr Maas es noch rechtzeitig hinbekommt, per Gesetz jegliche Feminismuskritik im Internet als Haßsprech zu kriminalisieren, wäre das Problem sogar aus der Welt geschafft. Wir sind hier aber nicht in den USA. Mit feministischen Wohltaten kann man allenfalls in unserer gutbürgerlichen sozialen Mitte punkten, die ist anders zusammengesetzt als die Wählerschaft von Trump. In dieser Wählerschicht ist es gefährlich, als Imitator von Trump, Linkspopulist und Diskursverweigerer dazustehen.
- Wenn man sich die Tweets von Martin Schulz ansieht und dort diejenigen mit programmatischen Aussagen herausfischt (neben Grüßen an liebe Parteigenossinnen), dann dominieren mit Abstand zwei Themen: mehr Gewerkschaften und mehr Feminismus, dort speziell der Kampf gegen das GPG. Dabei ist die "Entgeltgleichstellung" (im lex Schwesig) de facto ein Trojanisches Pferd, das in erster Linie die Macht von Betriebsräten und Gewerkschaften stärken soll. Das GPG ist nur ein Vorwand, es kann mit der lex Schwesig prinzipiell nicht reduziert werden. Dazu passend sollen als allererstes die Managergehälter begrenzt werden. Die SPD macht sich damit zumindest auf Twitter optisch zu einer ein-Thema-Partei: Gewerkschaftsmacht und Umverteilung. Ob sie mit diesem Themenschwerpunkt die aktuellen Sorgen und Interessen der breiten Bevölkerung trifft, wage ich zu bezweifeln.