Montag, 1. Juni 2020

Rezos Erkenntnistheorie


Der mittlerweile politisch systemrelevante Youtuber Rezo hat wieder einmal zugeschlagen. Diesmal hat es "die Presse" getroffen, sein neuestes Video heißt "Die Zerstörung der Presse", zur Zeit knapp über 1 Mio. Aufrufe. Ich warne ja ebenfalls seit Jahren vor unserer angeblich seriösen Presse, weil sie Männer systematisch denunziert und eine Haßreligion namens Feminismus unterstützt, die auf einer populistischen Verschwörungstheorie von einem angeblich alles durchdringenden Patriarchat basiert und eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Insofern war ich hochgespannt, wie sehr ich durch das neue Video unterstützt werde und ob dort vielleicht sogar die zahllosen feministischen Fake-News der Zeit, Süddeutschen und anderer feministischer Outlets dekonstruiert werden.

Die Analogie zur "Zerstörung der CDU" ließ immerhin darauf hoffen. Diese Hoffnung erhielt indes nach 2:47 Minuten einen starken Dämpfer, als der Autor bekannte:

Also ich zerstöre in diesem Video gar nichts, sondern möchte Mißstände herausarbeiten.
Schade, aber immerhin, das Aufzeigen von Mißständen ist ja schon einmal ein Anfang. Allerdings fühlte ich mich jetzt desorientiert, weil mir nicht ganz klar war, was denn nun genau mit "die Presse" gemeint ist und was das Lernziel des Videos sein soll.

Meine Desorientierung wurde mir aber später im Video (nach ca. 28 Minuten) erklärt. Dort weist Rezo ausführlich mit vielen Beispielen (darunter recht gute) auf den Mißstand irreführender Titel von Publikationen hin, die unzutreffende implizite Aussagen beinhalten, um unterbewußt das Verständnis des Lesers zu lenken, und die nur Klicks erzeugen wollen. Das naheliegendste Beispiel, den Titel seines Videos, hat er leider ausgelassen. Man könnte hier noch einen philosophischen Exkurs über den Unterschied von Wissen und Erkenntnis einfügen, das würde aber den Rahmen sprengen.

Nach der Einleitung geht das Video u.a. wortreich auf die Lügen und unseriösen Methoden der Boulevard- und Skandalpresse und auf einige völlig durchgedrehte Verschwörungstheoretiker ein, die wegen ihrer Abstrusität schon von allen heute-Shows der letzten Wochen vorgeführt worden sind. Solche Mißstände gibt es tatsächlich, sind aber seit Jahrzehnten bestens bekannt und für jeden, der sich auch nur Ansatz mit "der Presse" beschäftigt hat, nichts neues.

Es könnte natürlich sein, daß hier beim Zielpublikum (U25) noch Informationsdefizite bestehen. Wenn man diese ehrenrührige Annahme ausschließt und nach Rezos Gründen für die langatmigen Darstellungen fragt, kommt einem umgehend auf das Vier-Seiten-Modell von Friedemann Schulz von Thun in den Sinn. Hiernach dient Kommunikation nicht nur der Nachrichtenübermittlung, sondern auch der Selbstoffenbarung bzw. Selbstdarstellung. Die im Video dargestellte Person ähnelt in etwa dem, was ich mir unter einem Pastor in einer katholischen Kirche in den 1950er Jahren bei der Predigt vorstelle. Die moralische Flughöhe liegt nur knapp unter der des amtierenden Papstes. Dieser pastorale Eindruck wird im weiteren Verlauf mehrfach bestätigt. Ein finales Crescendo bilden die letzten ca. drei Minuten des Videos, in denen er vor den teuflischen Gefahren falscher Informationen eindringlich warnt und an das Gute im Menschen appelliert, bei den Journalisten, den Zuhörern und der ganzen Welt. Es fehlt nur der Segen urbi et orbi.

Apropos Journalisten: Rezo gendert fast immer und nimmt auch das nervtötende "Journalistinnen und Journalisten" (10 Silben!) ohne Wimpernzucken inkauf, hat aber den Gender-Aussetzer noch nicht für sich entdeckt und ist insofern nur mittel-woke, verhält sich also insgesamt milieugerecht.

Nach der Schundpresse nimmt sich Rezo die sogenannte seriöse Presse zur Brust und untersucht die These, ob Falschnachrichten und Verschwörungstheorien auch dort auftreten und, wenn ja, wie häufig. Hierzu untersucht er die Berichterstattung in einem Themengebiet, in dem er sich besonders gut auskennt und zuverlässig beurteilen kann, was erkenntnistheoretisch als wahr und falsch anzusehen ist, nämlich die Berichterstattung über ihn selber! Seine Analyse (ab 41:20) erstreckte sich über 1700 Artikel. Größter Übeltäter ist die FAZ: in 67% der FAZ-Artikel über ihn ist ein Fehler enthalten. Spitzenreiter ist der Spiegel mit nur 14% Fehlerquote, trotz Faktencheckabteilung. Mit der FAZ scheint ihn eine ganz besondere Haßliebe zu verbinden, er wiederholt mehrfach eine falsche Aussage von Jasper von Altenbockum, die er als eine Verschwörungstheorie gegen ihn selber ansieht.

Mit seriöser Medien- bzw. Medienwirkungsforschung oder sogar Soziologie hat das ganze auch nicht ansatzweise etwas zu tun. Auch ein Youtuber mit 1,35 Mio. Abonnenten ist nicht so wichtig, daß die Fehlerquote in der Berichterstattung über ihn irgendeine Aussagekraft über die Qualität einer Zeitschrift haben könnte. Die Hitparade der Wahrheitstreue der Zeitschriften und seine Pauschalisierungen sind lächerlich. Insofern sind auch die dramatischen Appelle an die seriösen Zeitschriften, bei dieser Fehlerquote gäbe es noch Luft nach oben, deplaziert und haben vor allem mit Selbstbeweihräucherung zu tun.

Rezo benutzt selber einen Trick, den er unseriöser Berichterstattung vorwirft: er stellt eine sehr pauschale Behauptung über Defizite der Presse auf, die er pseudowissenschaftlich, aber nicht seriös belegen kann, und relativiert seine Behauptung im nächsten Augenblick. Hier damit, nicht alle Journalisten seien schlecht, man könne von schlechten Journalisten nicht auf die guten schließen und solle die "seriöse Presse" nicht pauschal verdammen. Damit auch alle wissen, wer die Guten sind, zählt er übrigens (nach 24:26) als Beispiele für "seriöse Presse" die Süddeutsche, Spiegel, taz und Zeit auf - die notorisch die Verschwörungstheorie verbreiten, wir würden von einem Patriarchat oder wahlweise Männerbünden regiert. Der Name Relotius ist ihm eventuell auch unbekannt.

Rezos Ausflug in die Erkenntnistheorie erweist sich aber in noch einem viel wichtigeren Punkt als Rohrkrepierer: Politisch relevante Informationen betreffen nicht nur einfache Fakten wie z.B., was er selber studiert hat oder irgendwann gesagt oder nicht gesagt hat, sondern Bewertungen der aktuellen Lage, Prognosen (ketzerisch gesagt Spekulationen) darüber, welche politischen Maßnahmen was bewirken werden, und moralische Bewertungen der Alternativen. Bei solchen Fragen gibt es leider keine einfachen Wahrheiten. Das Problem der Desinformation der Öffentlichkeit auf einige krasse Fälle von falschen Faktenbehauptungen und offensichtlichen Verschwörungstheorien zu reduzieren ist selber eine Art Desinformation, auf die höchstens simple Gemüter hereinfallen. Er hat sich am Problem der Desinformation der Öffentlichkeit dermaßen verhoben, daß er sich als Quelle zu diesem Thema selbst zerstört hat, da hilft auch kein korrektes Gendern.

Quellen