Dienstag, 26. Januar 2021

Joe Bidens wokes Come Out


Im Rahmen des Freudentaumels über die Inthronisation von Joe Biden als POTUS scheint bisher übersehen worden zu sein, daß er nur Stunden später und noch am Tag 1 erste Wahlversprechen umsetzte, die weitreichende Auswirkungen haben dürften. Das Weiße Haus verkündete zwei "Executive Orders" (Erlasse):
  1. Joseph R. Biden: Executive Order On Advancing Racial Equity and Support for Underserved Communities Through the Federal Government. The White House, 20.01.2021. https://www.whitehouse.gov/briefing-room/presidential-a ... rnment/
  2. Joseph R. Biden: Executive Order on Preventing and Combating Discrimination on the Basis of Gender Identity or Sexual Orientation. The White House, 20.01.2021. https://www.whitehouse.gov/briefing-room/presidential-a ... tation/
Erlaß (a) richtet, soweit ich das beurteilen kann, in Form eines Domestic Policy Council (DPC) eine neue, zusätzliche Gleichstellungsbürokratie ein, die alle Behörden, die zur Bundesregierung gehören, auf Möglichkeiten für mehr Gleichstellung durchforsten und entsprechende Maßnahmen konzipieren soll.

Erlaß (b) verpflichtet alle Leiter existierender Behörden, nach Diskriminierungen wegen Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung zu suchen, die vorhandenen Maßnahmen zur Gleichstellung zu überprüfen und weitere im Sinne von Herrn Biden vorzuschlagen.

Das eigentlich Interessante an den beiden Erlassen sind die einleitenden Abschnitte, in denen Herr Biden seine Weltwahrnehmung - die ab sofort auch für viele andere gültig ist, auch wenn sie markant von der Realität abweicht - und seine Handlungsgrundsätze verkündet.

Beide Erlasse haben eine Section 1. Policy (am besten mit Strategie bzw. Grundsätze übersetzbar). In beiden wird generell von Chancengleichheit (equal opportunity), Fairness, und equity geredet - equity kommt im Erlaß (a) 21 Mal vor und kann schon von daher als einer der wichtigsten Begriffe von Herrn Biden angesehen werden. Equity entspricht unserem Begriff Gleichstellung [1]. Dem deutschen Gegensatzpaar Gleichstellung vs. Gleichberechtigung entspricht im Englischen das Gegensatzpaar equity vs. equality. In den beiden Erlassen von Biden ist nirgends von equality oder von equal rights als Politikziel die Rede, Das ist kein Zufall, Gleichberechtigung ist kein Politikziel für Herrn Biden.

Equity nach Biden
Erlaß (a) enthält einen Abschnitt 2. Definitions, der Bidens Begriff equity definiert:
The term "equity" means the consistent and systematic fair, just, and impartial treatment of all individuals, including individuals who belong to underserved communities that have been denied such treatment, such as Black, Latino, and Indigenous and Native American persons, Asian Americans and Pacific Islanders and other persons of color; members of religious minorities; lesbian, gay, bisexual, transgender, and queer (LGBTQ+) persons; persons with disabilities; persons who live in rural areas; and persons otherwise adversely affected by persistent poverty or inequality.
(Der Begriff "Gerechtigkeit" bedeutet, alle Personen konsequent und systematisch fair, gerecht und unparteiisch zu behandeln, einschließlich Personen, die benachteiligten Gemeinschaften angehören, denen eine solche Behandlung bisher verweigert wurde, wie zum Beispiel Schwarze, Latinos, Ureinwohner und amerikanische Ureinwohner, asiatische Amerikaner und Pazifikinsulaner und andere farbige Personen; Mitglieder religiöser Minderheiten; lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle und queere (LGBTQ+) Personen; Personen mit Behinderungen; Personen, die in ländlichen Gebieten leben, und Personen, die anderweitig von anhaltender Armut oder Ungleichheit betroffen sind.)
Die Liste der Opferstatusgruppen ist beeindruckend lang, und deren Opferstatus wird an anderer Stelle zusätzlich eindringlich beschworen [2]. Die Mitglieder dieser Gruppen werden sich sicher freuen, daß ihr Status nun von allerhöchster Stelle bestätigt wurde. Je nach Definition der darin verwendeten Begriffe dürften die nun akkreditierten Opferstatusgruppen merklich über 50 % der Bevölkerung ausmachen. Man fragt sich, ob es statistisch überhaupt möglich ist, die Mehrheit einer Bevölkerung ungerecht zu benachteiligen, und wer die Täter sind. Übrig sind - also keinen Opferstatus besitzen - scheinbar nur noch heterosexuelle Weiße, besonders wenn sie nicht in ländlichen Gebieten leben und nicht arm sind.

Die Begriffe "fair und just" lassen keine Position beim zentralen Gegensatz Gleichstellung vs. Gleichberechtigung erkennen, sie sind beliebig interpretierbar. Bei der Verwendung von impartial scheint Herrn Biden ein performativer Widerspruch nicht aufgefallen zu sein: Gut die Hälfte der Bevölkerung zum Opfer und implizit ca. 40% zum Täter zu erklären sieht in hohem Maße parteiisch aus.

Das neue Opferstatusregime
Bemerkenswert beim neuen Opferstatusregime ist ferner, daß die Opferstatuslosen zur Hälfte Frauen sind. Dazu paßt, daß die Worte woman/women und female in beiden Erlassen nicht vorkommen. Dafür, daß Frauen ihren bisher universellen Opferstatus verloren haben, spricht ein weiteres Zitat aus Erlaß (b):
... transgender Black Americans face unconscionably high levels of workplace discrimination, homelessness, and violence, including fatal violence.
(Transgender schwarze Amerikaner sind in unerhört hohem Ausmaß von Diskriminierung am Arbeitsplatz, Obdachlosigkeit und Gewalt, einschließlich tödlicher Gewalt, betroffen.)
Damit sollte geklärt sein, wer ab sofort an der Spitze der Opferstatuspyramide steht: transgender Schwarze. Daß sie in besonderem Maße von tödlicher Gewalt bedroht sein sollen, überrascht mich [3]. Zu Beginn von Erlaß (b) lesen wir ferner:
Children should be able to learn without worrying about whether they will be denied access to the restroom, the locker room, or school sports. Adults should be able to earn a living and pursue a vocation knowing that they will not be fired, demoted, or mistreated because of whom they go home to or because how they dress does not conform to sex-based stereotypes.
(Kinder sollten lernen können, ohne sich sorgen zu müssen, ob ihnen der Zugang zur Toilette, zur Umkleide oder zum Schulsport verwehrt wird. Erwachsene sollten in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und einem Beruf nachzugehen in dem Wissen, dass sie nicht gefeuert, degradiert oder schlecht behandelt werden wegen der Person, mit der sie nach Hause gehen, oder weil ihre Kleidung nicht den geschlechtsspezifischen Stereotypen entspricht.)
Biden schlägt sich hiermit in dem seit einiger Zeit hochkochenden Streit zwischen biologisch orientierten Feministinnen (a.k.a. TERFs) und Transaktivisten eindeutig auf die Seite der Transaktivisten.
"A president for all Americans"
Herr Biden sagte in seiner Antrittsrede:
And I pledge this to you: I will be a President for all Americans.
(Und das verspreche ich Ihnen: Ich werde ein Präsident für alle Amerikaner sein.)
Er hat seine öffentliche Bewerbung um das Amt mit A Presidency for All Americans überschrieben.

Mit seinen Erlassen hat er sich gegen ca. 40% aller Amerikaner gestellt und knallharte Klientelpolitik für die Demokraten gemacht. Er hat sich sehr deutlich zur Critical Race Theory (CRT) bekannt - die CRT ist als Steigerungsform des Feminismus seit Jahren der schlimmste Spaltpilz der Gesellschaft. Dieser eklatante Bruch seines Versprechens ist auch anderen sauer aufgestoßen. Andrew Sullivan bezeichnete es als die Erklärung eines Kulturkriegs und meinte, Bidens woker Amoklauf könne nicht lange dauern, sofern die Verfassung der USA noch irgendeine Bedeutung hat. Hoffentlich.

Anmerkungen

[1] Das englische equity hat viele Bedeutungen. In sozialen Kontexten bedeutet (social) equity Gerechtigkeit und Fairness, wobei aber historical and current inequalities among groups berücksichtigt werden. Eine typische Maßnahme zum Erreichen von mehr equity ist die Affirmative action, also die rechtliche Privilegierung von bestimmten Gruppen. Gerechtigkeit wird also auf Gruppen, nicht auf Individuen bezogen.

[2] Entrenched disparities in our laws and public policies, and in our public and private institutions, have often denied that equal opportunity to individuals and communities. - Daß die Gesetze und "die Politik" der USA Ungleichheiten aufweisen, die bestimmten Gruppen die Chancengleichheit verweigern, trifft allenfalls auf Männer zu - das kann Biden aber unmöglich gemeint haben. Man fragt sich, was Biden hier wirklich gemeint hat und ggf. in welcher alternativen Realität er lebt.

[3] Nach einer Nachricht vom 08.20.2020 wurden 2020 in den USA ca. 40 transgender oder nichtbinäre Personen ermordet. Dies entspricht ca. 2.4 Promille der rund 16.000 Morde p.a. in den USA. Der Anteil der transgender Personen in den USA wird sehr unterschiedlich geschätzt. Eine Studie von 2016 kommt auf einen Anteil von 6 Promille, andere Zahlen sind deutlich kleiner. Jedenfalls liegt der Anteil der transgender Personen bei den Morden in der gleichen Größenordnung wie der Bevölkerungsanteil. Die Meinung von Herrn Biden paßt nicht so richtig dazu.

Quellen