In den Zeiten von COVID-19 erregen Wissenschaftsskandale,
wenn sie nicht gerade einen Virologen betreffen, wenig
Aufmerksamkeit. Das dürfte der Grund sein, warum einer der
größten Wissenschaftsskandale in der deutschen
Forschungslandschaft in den letzten Jahren
fast
keine
Resonanz
in den Medien fand. Vordergründig handelt es sich ferner
"nur" um einen Plagiatsfall, denn Plagiate brachten den Fall
ins Rollen. Die eigentliche Bedeutung des Falls liegt aber
bei der Frage nach den wissenschaftlichen Standards in den
Gender Studies. Der offizielle Untersuchungsbericht zu dem
Fall bestätigt deutlich die dahingehenden, seit Jahren
geäußerten Zweifel.
Der Fall Cornelia Koppetsch
Cornelia Koppetsch ist seit 2009 Inhaber des Lehrstuhls
mit der Denomination Geschlechterverhältnisse, Bildung und Lebensführung am
Institut für Soziologie der TU Darmstadt. Der Lehrstuhl
gehört zu den rund 200 deutschsprachigen Genderprofessuren,
s. Datenbank der
Genderprofessuren. Gemessen an den publizistischen
Erfolgen zählt Koppetsch mit Sicherheit zu den oberen 10%
der Genderprofessuren. Laut Simone Schmollack ist
Koppetsch eine der wichtigsten Kennerinnen der
Geschlechtersoziologie (Geschlechtersoziologie ist ein
zentraler Bereich der Gender Studies, wenn nicht sogar damit
identisch).
Koppetsch veröffentlichte Mitte 2019 das Buch Die Gesellschaft des
Zorns, das den Aufstieg der neuen Rechtsparteien mit
den Verlierern des kulturellen, ökonomischen und politischen
Wandels der letzten Jahrzehnte - gemäß den herrschenden
Narrativen also vorwiegend Männern - erklärt. Es wurde im
Frühsommer 2019 von so gut wie allen deutschsprachigen
Feuilletons bejubelt.
Kurz danach wurden allerdings Plagiatsvorwürfe publik, die
zu einer zweiten, "durchgesehenen und korrigierten" Auflage
führten, die die Vorwürfe allerdings nicht zum Verstummen
brachte.
Der Fall eskalierte dann, als das Buch für den Bayerischen Buchpreis
nominiert wurde, man Koppetsch eine Rücknahme der
Nominierung nahelegte, Koppetsch die Vorwürfe i.w. abstritt
und die Jury dann selber das Buch in letzter Minute aus dem
Wettbewerb entfernte.
Da die Plagiate inzwischen gut dokumentiert waren, nahm der
Verlag das Buch aus dem Handel. In der Vorweihnachtszeit
schwappte dann eine Welle von Artikeln zu diesem Fall durch
die Presse, von denen einige die fehlenden Quellenangaben
damit entschuldigten, daß ein Sachbuch, das für ein breites
Leserpublikum geschrieben ist, nicht unbedingt jede einzelne
Quelle minutiös angeben muß.
Der Skandal führte als Nebeneffekt dazu, daß das 2013
erschienene Buch von Koppetsch Die Wiederkehr der
Konformität ebenfalls auf Plagiate untersucht wurde.
Man wurde auch dort in einem Ausmaß fündig, das den hier
betroffenen Verlag veranlaßte, das Buch aus dem Handel zu
nehmen.
Weiterhin beauftragte die TU Darmstadt eine interne
Kommission mit der Untersuchung des Falls.
Der Untersuchungsbericht der TU Darmstadt
Am 11.08.2020 veröffentlichte die TU Darmstadt eine
6-seitige Zusammenfassung des Berichts der Untersuchungskommission.
Optisch fallen an dem Bericht zunächst die zahllosen
Gendersterne auf, die keinerlei Zweifel an der
feministischen Grundhaltung der TU zulassen und insofern
auch eine antifeministische Voreingenommenheit beim
Untersuchungsgegenstand definitiv ausschließen. Für Leser,
die von den Gendersternen Augenschmerzen bekommen, findet
sich hier eine
augenschonende Version in amtlicher Rechtschreibung.
Die Kommission untersuchte die beiden schon genannten Bücher
von Koppetsch sowie vier Aufsätze, deren bibliographische
Daten nicht angegeben werden. Sie kommt zu einem
unmißverständlichen Urteil:
Die dokumentierten, ungekennzeichneten oder missverständlich nachgewiesenen Übernahmen und Verwertungen fremder Textpassagen stellen in Qualität und Umfang einen gravierenden Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis dar. Das Lagebild weist auf eine durchgehend verfehlte Arbeitsweise von C. Koppetsch hin. ..... Es ist in hohem Maße unwahrscheinlich, dass die gelisteten Verstöße gegen die Regeln der Zitatkennzeichnungen und des Umgangs mit Literatur, das Weglassen von Nachweisen in übernommenen Stellen sowie die vielfach inhaltsneutralen Wortlaut-Veränderungen von übernommenen Stellen gänzlich unabsichtlich (i.S.v. 'versehentlich') geschehen sind. .....Auch wenn der Untersuchung nur wenige wichtige Werke von Koppetsch zugrundeliegen, ist diese Beurteilung eine komplette Demontage der wissenschaftlichen Reputation von Koppetsch, geschrieben von Autoren bzw. Insidern, die wissen, was dieser Text bedeutet.
Die wissenschaftspolitische Brisanz des Berichts
Der Bericht bestätigt zum einen die bekannten
Plagiatsvorwürfe. Nun sind Plagiierungen "nur" ein Diebstahl
geistigen Eigentums, ggf. auch Erschleichung von Einnahmen
aus Buchverkäufen. Sie sind aber inhaltlich, wenn die
plagiierte Quelle selber korrekt ist, keine Fehler. In
diesem Kontext ist die eigentlich viel brisantere Aussage
des Gutachtens folgende Passage (Hervorhebung von mir):
Schließlich bleibt auch das Verhältnis zur Empirie, auf welche C. Koppetsch in ihren Schriften aufsetzt, unklar. In Die Wiederkehr der Konformität (2013) fehlen, wo ausdrücklich eigene empirische Daten herangezogen werden, Angaben zur Fallauswahl, zum Befragungsinstrument und zur Auswertungsmethode. Dieses Fehlen verhindert, die methodische Herangehensweise und Verlässlichkeit beurteilen zu können. Auch diese mangelnde Dokumentation entspricht nicht guter wissenschaftlicher Praxis. In Die Gesellschaft des Zorns setzt sich diese Arbeitsweise fort. Das Buch enthält keine Verweise auf eigene oder von anderen erstellte empirische Forschungen, deren Ergebnisse in die Argumente und Interpretationen eingegangen sind. Gleichwohl haben auch hier laut Aussagen von Koppetsch gegenüber der Kommission Ethnographien und Lehrforschungsprojekte Eingang gefunden, weswegen es fachlich unerlässlich gewesen wäre, das Vorgehen genauer zu dokumentieren und die gewonnenen Daten kritisch daraufhin zu reflektieren, wie belastbar sie sind. ... Vor allem fällt eine Gemeinsamkeit mit den Plagiaten auf: ein äußerst sorgloser Umgang zum einen mit Texten und Ideen anderer, zum anderen mit eigenen empirischen Daten.Unter "Lehrforschungsprojekten" dürften von Studenten verfaßte Seminar-, Haus-, Studien- oder Bachelor-Arbeiten zu verstehen sein, die in kleinem Umfang empirische Forschung betreiben. Die in solchen Lehrforschungsprojekten gewonnenen Daten sind - ohne die Leistungen der Studenten im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten herabsetzen zu wollen - unbedingt kritisch daraufhin zu reflektieren, wie belastbar sie sind. Ferner werden so erhobene Daten noch schlechter als in großen Projekten erhobene Daten dokumentiert und archiviert, sind also später nicht mehr auffindbar und überprüfbar. Sie sind daher grundsätzlich ungeeignet als Begründung wissenschaftlicher Aussagen. Die Qualität der wissenschaftlichen Argumentationen wird auch von dem Plagiatsexperten Gerhard Dannemann in einem Interview des Deutschlandfunks angezweifelt:
Koppetsch habe Aussagen verwendet und diese aus historischen Kontexten in andere Zusammenhänge übertragen, sodass diese dann nicht mehr so haltbar waren.Die Argumentationen in den Studien von Koppetsch sind also zum Teil nicht haltbar und die damit "bewiesenen" Aussagen sind ggf. nicht zutreffend. Diese Feststellungen haben eine ganz andere Qualität als der Diebstahl geistigen Eigentums. Wenn die Kommission einen flächendeckenden äußerst sorglosen Umgang ... mit eigenen empirischen Daten moniert, dann sind wir ziemlich genau bei dem immer wieder geäußerten Vorwurf an die Gender Studies, interessengetriebene Pseudowissenschaft zu betreiben.
Wissenschaftspolitische Bedeutung des Falls
Der Fall Koppetsch fügt sich nahtlos in die vielen anderen
Wissenschaftsskandale der Gender Studies ein.
Während es dort aber meist "nur" um einzelne Papiere und
weniger bekannte Autoren geht, geht es hier um eine der
wichtigsten Kennerinnen der Geschlechtersoziologie und
deren öffentlichkeitswirksamste Bücher.
Es wirkt schon fast peinlich, darauf hinzuweisen, daß die
Soziologie seit gut einem Jahrzehnt mit einer gravierenden
Glaubwürdigkeits- und
Replikationskrise kämpft - wenn empirische
Untersuchungen überhaupt nicht dokumentiert werden, braucht
man über deren Replikation gar nicht erst nachzudenken.
Man fragt sich auch, wieso die offenbar gravierenden Mängel
in dem 2013 erschienenen, durchaus erfolgreichen Buch rund 7
Jahre lang nicht bemerkt wurden. Man kann dies als weiteres
Indiz dafür werten, daß die Gender Studies und Teile der
Soziologie nicht über ein wirksames Qualitätssicherungssystem
verfügen.
Man darf gespannt sein, ob und wie der Fall Koppetsch die
Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Weiterentwicklung der Gender
Studies in Deutschland beeinflussen wird.
Diese Wissenschaftsevaluation wurde von der Hamburger
Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung
Katharina Fegebank (Grüne) beantragt, vermutlich um dem verbreiteten
Eindruck entgegenzuwirken, die Gender Studies dienten als
Kaderschule für
die Grünen und andere feministische Parteien.
Die Kommissionen des Wissenschaftsrats bestehen großenteils
aus Vertretern der Bundes- und Landesregierungen, d.h. der
Wissenschaftsrat hat die delikate Aufgabe, die
Wissenschaftspolitik seiner "Auftraggeber" zu beurteilen.
Genaugenommen kennt man die Empfehlungen schon jetzt: Kai
Gehring, Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule
der Grünen, hat das Ergebnis bereits verkündet, als die Untersuchung gerade beschlossen
wurde: Der Wissenschaftsrat kann laut Gehring nur eine
"Stärkung der Geschlechterforschung" empfehlen, denn
"hierzulande wird Geschlechterforschung auf Spitzenniveau
betrieben".
q.e.d.
Quellen
- Bayerischer Buchpreis für David Wagner und Jan-Werner Müller. Börsenblatt, 08.11.2019. https://www.boersenblatt.net/archiv/1756366.html
- Amory Burchard: Wissenschaftsrat sieht TU Nürnberg weiter kritisch. tagesspiegel, 20200203. https://www.tagesspiegel.de/wissen/uni-neugruendung-in- ... 88.html
- Gerhard Dannemann / Eckhard Roelcke (Interview): Aus fremden Texten kopieren, um Zeit zu sparen. Fazit, Deutschlandfunk Kultur, 11.08.2020. https://www.deutschlandfunkkultur.de/plagiatsvorwuerfe- ... =482190
- Cornelia Koppetsch: Die Wiederkehr der Konformität: Streifzüge durch die gefährdete Mitte. Campus Verlag, 09.03.2013. https://www.amazon.de/gp/product/3593399024
- Cornelia Koppetsch: Die Gesellschaft des Zorns: Rechtspopulismus im globalen Zeitalter. transcript Verlag; 2. durchgesehene und korrigierte Auflage, 10.10.2019. https://www.amazon.de/Die-Gesellschaft-Zorns-Rechtspopu ... 7648389
- Dirk Peitz: Kein Urteil, aber eine Anklage. ZEIT Online, 12.08.2020. https://www.zeit.de/kultur/2020-08/cornelia-koppetsch-p ... ansicht
- Simone Schmollack: Soziologin vor Disziplinarverfahren. taz, 13.08.2020. https://taz.de/Cornelia-Koppetsch-hat-plagiiert/!5707129/
- Gegen gute wissenschaftliche Praxis verstoßen. Medieninformation, Technische Universität Darmstadt, 11.08.2020. https://www.tu-darmstadt.de/media/daa_responsives_desig ... sch.pdf
- Arbeitsprogramm des Wissenschaftsrats Januar bis Juli 2020, Arbeitsbereich Evaluation. Wissenschaftsrat, 2019. https://www.wissenschaftsrat.de/download/2020/Arbeitsprogramm_EVA.html
- Jochen Zenthöfer: Disziplinarverfahren gegen Cornelia Koppetsch. FAZ, 11.08.2020. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/plagiat ... 25.html