Dienstag, 10. April 2018

Pseudo-Debatten in der Wagenburg (von Jens Jessen, Bernd Ulrich et al.)

Inhaltsübersicht

Thesen

Am 04.04.2018 erschien in der ZEIT ein als Hauptbeitrag prominent plazierter Essay von Jens Jessen "Der bedrohte Mann". Die Bedrohung liegt laut Jessen darin, daß Männer systematisch von der Geschlechterdebatte ausgeschlossen würden und stattdessen ein radikalisierter Feminismus totalitäre Strukturen realisiert habe, die jede substantielle Kritik unterdrücke. Der Leitartikel erzeugte ein erhebliches Blätterrauschen in den Feuilletons und den zu erwartenden aggressiven Shitstorm von Feministen gegen Jessen in den "sozialen" Netzen (der unfreiwillig Jessens Thesen bestätigt). Thesen zum Artikel:
  1. Der Artikel ist sehr gut geschrieben. Seine Thesen als solche sind prinzipiell richtig, aber für jemanden, der außerhalb der feministischen Filterblase lebt, nichts neues, sondern eher Standardwissen.
  2. Die Thesen von Jessen sind aufgrund des Feuilleton-Formats nicht explizit und präzise formuliert, insbesondere soweit es sich eigentlich um empirische Aussagen über "die Feministinnen", "die Männer" o.ä. handelt. Qualitativ belegt er die Existenz der postulierten Phänomene mit vielen guten Beispielen, dies sagt aber nichts über die quantitative Relevanz der Phänomene aus. Kurz gesagt behandelt er ein soziologisches Problem mit dem Handwerkzeug eines Literaturwissenschaftlers, das funktioniert nicht.
  3. Aufgrund der in b. genannten Defizite bietet der Essay zahllose Angriffspunkte für Falschinterpretationen und Unterstellungen, die auch prompt en masse bei den feministischen Kommentatoren zu beobachten waren (sofern sie den Essay überhaupt gelesen haben) und die dort das etablierte Wagenburg-Denken nur verstärkt haben.
  4. In Rahmen der Publikationsstrategie der ZEIT bzw. von ZEIT Online betrachtet ist der Jessen-Essay der durchschaubare Versuch, so etwas wie eine offene Debatte über den Feminismus vorzutäuschen. Unter hunderten Artikeln, die jährlich feministische Propaganda verbreiten, befinden sich pro forma immer 2 - 5% feminismuskritische, dies ist einer davon. In 4 Wochen wird er vergessen sein.
  5. Das eigentlich Interessante an diesem Fall ist das geschickte Empörungsmanagement der ZEIT und die scheinbare Unmöglichkeit, auch 5 Jahre nach der Aufschrei-Kampagne männliche, feminismuskritische Standpunkte in der Öffentlichkeit zu vertreten. Der Essay ist ein Aufreger mit einigen für Feministinnen ziemlich provokanten Wahrheiten. Auf Kosten von 2 oder 3 vor Wut gekündigten Abonnements feuert er den feministischen Aktivismus an und gibt der ZEIT in der Replik, die sie mit dem Artikel zusammen angekündigt hat, die Chance, sich als Hüter der feministischen Ideologie zu präsentieren und die Wagenburg wieder nach außen abzudichten.