Inhaltsübersicht
Eine Überraschung aus Frankreich
Vorgestern geschah etwas Unerwartetes. Die
MeToo-Kampagne läuft seit gut 10 Wochen nahezu
ungestört auf vollen Touren, sie hat bereits
3
Selbstmorde verursacht, und sie metastasiert
gerade erfolgreich in Form von Satelliten- und
Folge-Kampagnen - z.B.
TimesUp.
Kritik an der unübersehbaren
moralischen Panik, Aufgabe
rechtsstaatlicher Minimalstandards und Lynchjustiz
kam bisher nur von notorischen Lästermäulern wie
Brendan
O'Neill oder
Thomas Fischer. Deren
mediale Reichweite ist indes vernachlässigbar im Vergleich
zu den feministischen Medien, die
wie
üblich auch diese feministische Twitter-Kampagne
nach Kräften unterstützt haben.
Am 09.01.2018 erschien nun ein
offener Brief in Le Monde, unterzeichnet von 100
französischen Frauen, darunter sehr prominente wie
Catherine Deneuve.
Inhaltlich findet man, wenn man sich schon mit den
Wirkungen der
vielen feministischen Kampagnen befaßt hat, fast
nur altbekannte Argumente. Anders gesagt kann ich als
aufgeklärter Masku praktisch jedem Satz zustimmen, einige
sogar dick unterstreichen.
Während der Brief inhaltlich nichts Neues bringt, ist er
hinsichtlich seiner Medienwirksamkeit sozusagen ein
Kanonenschlag. Der mediale Widerhall war beträchtlich -
Catherine Deneuve ist so etwas wie eine Nationalheilige -,
fast alle großen Zeitungen berichteten darüber. Die
mediale Reichweite dieses Offenen Briefs dürfte größer
sein als die alle bisherigen Kritiken an der
MeToo-Kampagne zusammen.
Dies machte natürlich eine umgehende Antwort erforderlich.
Als eine der ersten und noch am gleichen Tag ging Barbara
Kostolnik vom hochfeministischen WDR zum Gegenangriff über
und titelt, damit auch gleich klar ist, wer hier recht
hat, auf tagesschau.de:
Der Irrtum der Madame Deneuve, und weiter:
Eine "Freiheit zu belästigen" fordern die
französische Schauspielerin Cathérine Deneuve und 99
weitere Frauen in der Zeitung "Le Monde".
Kostolnik benutzt den Begriff "belästigen" mehrfach.
Im Original heißt es:
nous défendons une liberté d'importuner,
indispensable à la liberté sexuelle.
Dass Verb importuner bedeutet lästig sein, lästig fallen,
jemandem auf die Nerven gehen, in Kontext dieses Briefs
kann man es auch mit "aufdringlich sein" übersetzen. Das
deutsche (sexuell) "belästigen" ist nach Dutzenden
Aufschrei- und Sexismus-Kampagnen eng mit dem Begriff
Sexuelle Belästigung verbunden, dieser wiederum deckt
ein Spektrum von Verhaltensformen ab, die zum Teil
Straftatbestand sind.
"importuner" hier mit "belästigen" zu übersetzen ist
eindeutig falsch, es denunziert die Autorinnen des Offenen
Briefs, Straftaten zu verharmlosen, obwohl sie in ihrem
Brief genau dies explizit ablehnen. Außerdem wird die
Textstelle "liberté d'importuner" sinnentstellend aus
ihrem Zusammenhang gerissen (
mehr dazu hier).
Bei jemandem, der aus dem ARD-Hörfunkstudio Paris
berichtet, sollte man genügend Französischkenntnisse
vermuten, um diesen Fehler zu vermeiden - sofern hier
nicht Absicht vorlag, denn die Falschübersetzung setzt die
metoo-Kritikerinnen in ein schlechtes Licht, und man
vermeidet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit deren
Thesen. Die findet im übrigen bei Kostolnik nicht statt,
sie scheint den eigentlichen Inhalt des Offenen Briefs
(der die
Kollateralschäden der MeToo-Hexenjagd und die
Selbständigkeit von Frauen thematisiert) gar nicht
verstanden zu haben.
Die falsche Übersetzung "Freiheit zu belästigen" kam bzw.
kommt auch bei anderen "Qualitätsmedien" vor, u.a.
im
Bayerischen
Rundfunk,
im
Focus,
im
Standard,
im
Stern
im
Tagesspiegel,
in der
Welt
und in der
ZEIT.
Die Welt und die ZEIT haben indes nach ca. einem Tag den
Titel geändert, die Welt übersetzt "liberté d'importuner"
jetzt mit "Freiheit, aufdringlich werden zu dürfen", die
ZEIT mit "Freiheit, lästig zu sein", beides akzeptable
Übersetzungen.
Versuch einer brauchbaren Übersetzung
Der nächste Abschnitt enthält eine Übersetzung des
kompletten offenen Briefs, die auf dem Text beruht, der
hier publiziert
wurde. Das immer etwas gestelzt wirkende Französisch ist
nicht ganz einfach in flüssiges Deutsch zu übersetzen,
Fehler sind meine. Hinweise auf Übersetzungsfehler und
Verbesserungsvorschläge bitte
hier.
Kontext der "liberté d'importuner"
Die Textstelle "liberté d'importuner" steht meiner Meinung
nach in einem bestimmten textlichen Kontext, der
wesentlich für ihre Interpretation und die Botschaft der
Verfasserinnen ist. (Wer den Brief noch nicht kennt,
sollte ihn ggf. zunächst lesen, um sich eine eigene
Meinung zu bilden.)
"liberté d'importuner" erscheint - neben einem
Zwischentitel, der vermutlich von der Redaktion eingefügt
wurde - nur an zwei Textstellen. Bei der
ersten
Textstelle wird sie als Analogie zur Freiheit
eines Künstlers, mit seinen Werken und deren Aussage der
Öffentlichkeit lästig zu fallen, definiert. Diese
künstlerische Freiheit ist wesentlich für künstlerische
Kreativität, und eine sexuelle Begegnung zweier Personen
wird hier als etwas Kreatives und Experimentelles
verstanden, und nur unter dieser Grundannahme wird an
dieser Stelle die "liberté d'importuner" gefordert.
Bei der
zweiten Textstelle
wird die "liberté d'importuner" als Gegenpol der Freiheit,
Nein zu sexuellen Angeboten zu sagen, dargestellt.
Implizit wird hier ein Aushandlungsprozeß unter zwei
gleichberechtigten Personen unterstellt.
Implizit werden Frauen hier und an anderen Stellen als
starke, selbstverantwortliche Persönlichkeiten verstanden.
An keiner der beiden Textstellen wird Freiheit so
verstanden, daß eine der beteiligten Personen willkürlich
oder gewalttätig die andere, wehrlose Person belästigen
kann. Die Übersetzung "Freiheit zu belästigen" suggeriert
fälschlich das Gegenteil, nämlich ein Recht auf Willkür
und Belästigung auf der einen Seite und ein Verbot auf der
anderen Seite, sich dagegen zu wehren.
Die Freiheit der Frauen, lästig zu sein
Eine besondere Kuriosität der Debatte besteht darin, die
geschlechtsneutrale Formulierung der Freiheits-Forderung
zu übersehen.
Die "liberté d'importuner" muß
selbstverständlich auch für Frauen gelten, und man
kann durchaus davon ausgehen, daß Deneuve et al. diese
Freiheit auch für Frauen fordern.
Dies ist eine zwangsläufige Konsequenz daraus, daß Deneuve
et al. Frauen als starke Persönlichkeiten verstehen, die
nicht immer nur passive Opfer in sozialen Interaktionen
sind, sondern selber auch einmal offensiv sind und Risiken
eingehen und dabei Fehler machen. Diese Gleichrangigkeit
von Männern und Frauen war ein Ideal früherer
feministischer Wellen, ist aber bei dem heute
dominierenden Denken in
Identitätspolitiken
und Opferstatus-Hierarchien kaum noch vorstellbar.
Deutsche Übersetzung des Offenen Briefs von
Catherine Deneuve und 99 anderen Frauen
Vergewaltigung ist ein Verbrechen.
Aber hartnäckiges oder ungeschicktes Flirten ist kein
Verbrechen, und Galanterie ist keine Machismo-Aggression.
Die Weinstein-Affäre hat zu einer legitimen Bewußtmachung
sexueller Gewalt gegen Frauen geführt, besonders am
Arbeitsplatz, wo einige Männer ihre Macht mißbrauchen.
Dies war notwendig.
Aber diese offene Ansprache der Probleme verwandelt sich
heute in ihr Gegenteil:
Man macht uns Vorschriften, was wir sagen dürfen, wir
sollen schweigen über das, was uns wütend macht, und
diejenigen, die sich weigern, solchen Verfügungen zu
gehorchen, werden als Verräter, als Komplizen angesehen!
Nun ist es typisch für den Puritanismus, im Namen eines
vermeintlichen Allgemeinwohls Argumente für den Schutz der
Frauen und ihrer Emanzipation zu übernehmen, um sie besser
an den Status des ewigen Opfers zu fesseln, bzw. von armen
kleinen Dingern, die unter dem Einfluß dämonischer
Phallokraten stehen, wie in den guten alten Zeiten der
Hexerei.
Denunziationen und Anklagen
Tatsächlich hat #metoo in der Presse und in den sozialen
Netzwerken zu einer Kampagne öffentlicher Denunziationen
und Anklagen von Einzelpersonen geführt, die, ohne die
Möglichkeit zu haben, zu reagieren oder sich zu
verteidigen, genau auf die gleiche Stufe gestellt wurden
wie Sexualstraftäter.
Diese Schnellgerichtsbarkeit hat bereits ihre Opfer,
Männer, die in Ausübung ihres Berufes bestraft wurden, zum
Rücktritt gezwungen wurden usw., deren ganzes Unrecht
darin bestand, ein Knie berührt zu haben, versucht zu
haben, einen Kuß zu erhaschen, bei einem professionellen
Abendessen über "intime" Dinge gesprochen zu haben oder
sexuelle Botschaften an eine Frau geschickt zu haben, die
sich umgekehrt nicht von dem Mann angezogen fühlte.
Dieses Fieber, die "Schweine" in den Schlachthof zu
schicken, ist weit davon entfernt, Frauen dabei zu helfen,
sich zu ermächtigen und selbst zu stärken. Es dient in
Wirklichkeit den Interessen der Feinde sexueller Freiheit,
den religiösen Extremisten, den schlimmsten Reaktionären
und denjenigen, die meinen, im Namen einer im Kern
viktorianischen Vorstellung vom Guten und von Moral, daß
Frauen "besondere" Wesen sind, Kinder mit Gesichtern von
Erwachsenen, die verlangen, beschützt zu werden.
Umgekehrt wird den Männern befohlen, sich an die Brust zu
schlagen und in den Tiefen ihres retrospektiven
Bewußtseins ein "Fehlverhalten" zu finden, das sie vor
zehn, zwanzig oder dreißig Jahren gehabt haben könnten und
das sie nun bereuen sollten.
Die öffentliche Beichte, das Eindringen selbsternannter
Staatsanwälte in die Privatsphäre, ist die Art und Weise,
wie man ein Klima totalitärer Gesellschaften erzeugt.
Die Säuberungswelle scheint keine Grenzen zu kennen.
Mal wird ein Akt von Egon Schiele auf einem Plakat
zensiert; ein ander Mal fordert man die Entfernung eines
Balthus-Gemäldes aus einem Museum mit der Begründung, es
sei eine Rechtfertigung für Pädophilie. Indem man Mensch
und Werk verwechselt, fordert man ein Verbot der Roman
Polanski-Retrospektive in der Cinémathèque und eine
Verschiebung derjenigen, die Jean-Claude Brisseau gewidmet
ist.
Ein Akademiker beurteilt Michelangelo Antonionis Film
Blow-Up als "frauenfeindlich" und "inakzeptabel".
Angesichts dieses Revisionismus bekommen es John Ford (La
Prisonnière du désert) und sogar Nicolas Poussin (The
Sabine Kidnapping) mit der Angst zu tun.
Schon jetzt fordern einige Verlage einige von uns auf,
unsere männlichen Charaktere weniger "sexistisch" zu
machen, mit weniger Exzessen über Sexualität und Liebe zu
sprechen oder die "Traumata weiblicher Charaktere"
offensichtlicher zu machen!
Hart am Rande der Lächerlichkeit will ein Gesetzentwurf in
Schweden jeden, der einen Geschlechtsverkehr beabsichtigt,
zur Einholung einer ausdrücklichen Zustimmung zwingen!
Noch so ein Geniestreich, und zwei Erwachsene, die
miteinander Sex haben wollen, müssen vorher mit einer
"App" auf ihrem Telefon ein Dokument abhaken, in dem sie
die Praktiken, die sie akzeptieren und bzw. ablehnen,
genau auflisten.
Die unverzichtbare Freiheit, lästig zu sein
Der Philosoph Ruwen Ogien verteidigte die Freiheit, lästig
zu sein, als unverzichtbar für die künstlerische
Kreativität.
Ebenso verteidigen wir eine Freiheit, lästig zu sein,
als unverzichtbar für die sexuelle Freiheit.
Wir sind heute ausreichend informiert, um zu wissen, daß
der Sexualtrieb von Natur aus offensiv und ungesittet
ist. Wir sind aber auch scharfsichtig genug, um
ungeschicktes Flirten nicht mit sexueller Aggression zu
verwechseln.
Uns ist vor allem bewußt, daß die menschliche Person
nicht monolithisch ist:
eine Frau kann am selben Tag ein professionelles Team
führen und es genießen, sexuelles Objekt eines Mannes zu
sein, ohne eine "Schlampe" oder ein abscheulicher Komplize
des Patriarchats zu sein.
Sie kann sicherstellen, daß ihr Lohn dem von Männern
entspricht, sie wird sich aber nicht für immer
traumatisiert fühlen, weil sie in der U-Bahn betatscht
wurde, selbst wenn dies als ein Vergehen betrachtet wird.
Sie kann einen solchen Vorfall sogar als Ausdruck extremen
sexuellen Elends oder gar als Nicht-Ereignis betrachten.
Als Frauen erkennen wir uns selbst nicht in diesem
Feminismus wieder, der über die Verurteilung von
Machtmißbrauch den Eindruck erweckt, generell Männer und
Sexualität zu hassen.
Wir sind der Meinung, daß die Freiheit, Nein zu einem
sexuellen Angebot zu sagen, nicht ohne die Freiheit
möglich ist, jemandem lästig zu sein.
Und wir sind der Meinung, daß wir imstande sein müssen,
auf diese Freiheit, lästig zu sein, anders zu reagieren,
als uns in der Rolle des Opfers zu verkriechen.
Für diejenigen von uns, die sich entschieden haben, Kinder
zu bekommen, halten wir es für sinnvoller, unsere Töchter
so zu erziehen, daß sie informiert und bewußt genug
sind, um das Leben in vollen Zügen zu leben, ohne
eingeschüchtert zu werden oder sich schuldig zu fühlen.
Zwischenfälle, die sich auf den Körper einer Frau
auswirken können, beeinträchtigen nicht unbedingt ihre
Würde und sollten sie nicht, so hart sie manchmal sein
mögen, zwangsläufig zu einem ewigen Opfer machen.
Weil wir nicht auf unseren Körper reduzierbar sind.
Unsere innere Freiheit ist unantastbar.
Und diese Freiheit, die wir schätzen, ist nicht ohne
Risiken und Verantwortlichkeiten.
Nachträge
- Ein sehr lesenswertes Interview von
Catherine Millet, eine der Autorinnen des offenen Briefs, ist
in der FAZ vom
14.01.2018 erschienen.
-
Catherine Deneuve weist in
einer Stellungnahme am
14.01.2018 in der Zeitschrift Liberation die
Kritik zurück, der offene Brief bzw. sie persönlich
würde sexuelle Gewalt verharmlosen. Übersetzung s.u.
-
Die am meisten kontroverse Forderung des offenen Briefs
ist die nach der "liberté d'importuner". Wenn man die
Mißverständnisse durch die falschen
Übersetzungen, die nicht überall auftraten oder
teilweise vorgeschoben waren, einmal beiseite läßt, hat
diese Forderung immer noch erstaunlich viel Protest
erzeugt. Erstaunlich deswegen, weil diese Forderung
eigentlich zwingend ist, wenn man Frauen grundsätzlich als
starke, selbstverantwortliche Persönlichkeiten versteht
(s.o.), ein zentraler Standpunkt der
Autorinnen.
Genau diesem Verständnis widersprechen relevante
feministische Strömungen vehement. Diese Strömungen
verstehen Frauen als eher asexuelle, antriebslose Wesen,
die ihre Ablehnung von sexuellen Kontakten nicht klar
verbalisieren können und dies auch nicht müssen,
stattdessen verpflichtet bereits eine "nicht
enthusiastische" Zustimmung einer Frau den Mann in der
aktiven Rolle, seine Bemühungen zur Anbahnung sexueller
Kontakte sofort abzubrechen, eine Fortsetzung wird genauso
wie eine Vergewaltigung verurteilt. Dieses Verständnis war
Grundlage der sozialen Hinrichtung von Aziz Ansari, die
wenige Tage nach dem offenen Brief stattfand, Details s.
Die Aziz-Ansari-Affäre.
Übersetzung der
Stellungnahme von Catherine Deneuve zur Kritik am Offenen
Brief
Anmerkungen: einige Stellen der Stellungnahme von Deneuve am
14.01.2018 sind mehr oder weniger
unverständlich. Diese Stellungnahme ist weniger sauber
fomuliert als der offene Brief, der von mehreren
Autorinnen gemeinsam redigiert worden war. Mit [*]
markierte Stellen sind mit einiger Wahrscheinlichkeit
nicht richtig übersetzt.
Ja, ich liebe die Freiheit.
Ich liebe nicht die Eigenschaft unserer Zeit, daß jeder
das Recht zu haben glaubt, zu urteilen, zu schlichten,
zu verurteilen.
Eine Zeit, in der einfache Denunziationen in sozialen
Netzwerken zu Bestrafung, Entlassung und manchmal und oft
zu medialer Hinrichtung führen.
Ein Schauspieler kann digital aus einem Film gelöscht
werden, der Regisseur einer großen New Yorker Institution
kann gezwungen werden zurückzutreten, weil er vor dreißig
Jahren mit seinen Händen jemanden an den Hintern gefaßt
hat, das alles ohne irgendeine andere Form von Anklage und
Prozeß.
Ich entschuldige nichts.
Ich urteile nicht über die Schuld dieser Männer, weil ich
dafür nicht qualifiziert bin.
Und nur wenige sind dies.
Nein, ich mag diese Treibjagden [*] nicht, die heute allzu häufig
vorkommen.
Daher meine Vorbehalte, schon ab Oktober zu diesem Hashtag
"Balance ton porc".
Es gibt, ich bin nicht naiv, viel mehr Männer, die diesen
Verhaltensweisen ausgesetzt sind als Frauen.
Aber warum ist dieser Hashtag keine Einladung zur
Denunziation? [*]
Wer kann mir versichern, daß es keine Manipulationen oder
Schläge unter die Gürtellinie geben wird?
Daß es keine Selbstmorde von Unschuldigen geben wird?
Wir müssen zusammenleben, ohne "Schweine" oder
"Hündinnen", und ich gestehe, daß ich diesen Text "Wir
verteidigen die Freiheit ..." energisch, wenn nicht sogar vollkommen richtig
gefunden habe.
Ja, ich habe diese Petition unterzeichnet, und ich halte
es heute für absolut notwendig, darauf hinzuweisen, daß
ich nicht einverstanden bin mit der Art und Weise, in der
sich einige Unterzeichner individuell das Recht nehmen,
sich in den Medien zu verbreiten, in einer Weise, die den
Geist dieses Textes verfälscht.
Im Fernsehen zu sagen, daß man eine Vergewaltigung
genießen kann, ist schlimmer, als all jenen ins Gesicht zu
spucken, die dieses Verbrechen erlitten haben.
Diese Worte suggerieren denjenigen, die daran gewöhnt
sind, Gewalt anzuwenden oder Menschen mit Hilfe der
Sexualität zu zerstören, daß das alles nicht so schlimm
ist, denn es kommt ja vor, daß das Opfer das genießt.
Aber wenn man ein Manifest unterschreibt, das andere
Menschen anspricht, hält man sich zurück und vermeidet es,
sie mit der eigenen verbalen Inkontinenz zu behelligen.
[*]
Es ist unwürdig.
Und offensichtlich behauptet nichts in diesem Text, daß
Belästigung gut ist, sonst hätte ich ihn nicht
unterschrieben.
Ich bin Schauspielerin, seit ich 17 bin.
Ich könnte natürlich sagen, daß ich Situationen erlebt
habe, die mehr als unfein sind, oder daß ich von anderen
Schauspielerinnen weiß, daß Filmemacher ihre Macht niederträchtig
mißbraucht haben.
Es ist aber ganz einfach nicht meine Aufgabe, an der Stelle meiner
Kolleginnen zu reden.
Was traumatisierende und unhaltbare Situationen schafft, ist
immer Macht, eine hierarchische Position oder eine Form von Einfluß.
Die Falle schließt sich, wenn es unmöglich wird, Nein zu
sagen, ohne seinen Job zu riskieren, oder
Demütigungen und erniedrigenden Sarkasmus zu erleiden.
Deshalb glaube ich, daß die Lösung darin besteht, unsere
Jungen und Mädchen gleichermaßen zu erziehen.
Aber auch evtl. Vorschriften in Unternehmen, die
bewirken, daß bei Belästigung sofort eine Strafverfolgung
eingeleitet wird.
Ich glaube an die Gerechtigkeit.
Ich habe diesen Text letztlich aus einem Grund unterschrieben, der meiner
Meinung nach essentiell ist:
die Gefahr der Säuberung [Zensur] in den Künsten.
Sollen wir Sade in Plejade verbrennen?
Leonardo da Vinci als pädophilen Künstler bezeichnen und seine Gemälde
vernichten?
Die Gauguins aus den Museen abholen?
Egon Schieles Zeichnungen zerstören?
Die Platten von Phil Spectors verbieten?
Dieses Klima der Zensur macht mich sprachlos
und besorgt über die Zukunft unserer Gesellschaften.
Ich wurde manchmal beschuldigt, nicht feministisch zu sein.
Muß ich daran erinnern, daß ich einer der 343 Schlampen
war, neben Marguerite Duras und Françoise Sagan, die das
Manifest "Ich habe abgetrieben" unterschrieben haben, das
Simone de Beauvoir geschrieben hat?
Abtreibung wurde damals strafrechtlich verfolgt und mit
Gefängnis bestraft.
Deshalb möchte ich den Ewiggestrigen, den Rassisten und
den Traditionalisten aller Art, die es strategisch
geschickt finden, mir ihre Unterstützung anzudienen,
sagen, daß sie mich nicht täuschen können.
Sie werden weder meine Dankbarkeit noch meine Freundschaft
gewinnen, ganz im Gegenteil.
Ich bin eine freie Frau und werde es auch bleiben.
Ich grüße brüderlich alle Opfer von abscheulichen Taten,
die sich eventuell von dem offenen Brief, der in der Monde
erschienen ist, angegriffen fühlen. Bei ihnen, und nur bei
ihnen, entschuldige ich mich.
Mit freundlichen Grüßen.
Catherine Deneuve
Quellen
-
Catherine Deneuve: «Rien dans le texte ne prétend que le harcèlement a du
bon, sans quoi je ne l'aurais pas signé». Liberation, 14.01.2018. http://www.liberation.fr/debats/2018/01/14/catherine-de ... 1622399
-
Antwort auf #metoo: Catherine Deneuve und andere
fordern "Freiheit zu belästigen". Focus, 09.01.2018. https://www.focus.de/kultur/kino_tv/antwort-auf-metoo-c ... 85.html
-
Des femmes libèrent une autre parole. Kassataya, 09.01.2018. https://kassataya.com/2018/01/09/femmes-liberent-parole/
-
Barbara Kostolnik: Der Irrtum der Madame Deneuve. Tagesschau, 09.01.2018. https://web.archive.org/web/20180109231809/https://www. ... 01.html
-
Beate Meierfrankenfeld: Catherine Deneuve verteidigt die "Freiheit, zu
belästigen". Bayerischer Rundfunk, 10.01.2017. https://web.archive.org/web/20180111135126/https://www. ... 00.html
-
Martina Meister: "Wir fordern die Freiheit, aufdringlich werden zu
dürfen" (ursprünglich: "Wir fordern die Freiheit, zu
belästigen". Welt, 10.01.2018. https://www.welt.de/politik/ausland/article172335715/Fr ... en.html
-
Catherine Millet / Annabelle Hirsch (Interview): Nicht alle sind Opfer. FAZ, 14.01.2018. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/catherine-millet- ... le=true
-
« Nous défendons une liberté d'importuner,
indispensable à la liberté sexuelle ». Le Monde, 09.01.2018. http://www.lemonde.fr/idees/article/2018/01/09/nous-def ... 32.html
-
Nach #MeToo: Catherine Deneuve und andere fordern
"Freiheit zu belästigen". Der Standard, 09.01.2018. https://derstandard.at/2000071793539/Catherine-Deneuve- ... estigen
-
Frankreichs Promi-Frauen gegen #MeToo: Catherine
Deneuve fordert: Männer müssen belästigen dürfen. Stern, 10.01.2018. https://www.stern.de/neon/magazin/catherine-deneuve-geg ... 98.html
-
Catherine Deneuve fordert "Freiheit zu belästigen". Tagesspiegel, 09.01.2018. http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/reaktion-auf-met ... 34.html
-
Catherine Deneuve wirbt für "Freiheit, lästig zu
sein". ZEIT, 09.01.2017. http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-01/m ... exismus