Sonntag, 28. Januar 2018

Cat Man, Aziz Ansari und die Strafbarkeit von schlechtem Sex




Eine typische Eigenschaft von feministischen Twitter-Kampagnen besteht darin, einen beliebigen Anlaß zu haben, der nach einer bald folgenden thematischen Verallgemeinerung der Kampagne i.d.R. darauf hinausläuft, den immerwährenden Alltagssexismus, unter dem Frauen leiden, und deren Opferstatus zu beschwören.

So auch bei der MeToo-Kampagne: Nur eine winzige Minderheit von Frauen kommt in Kontakt mit einem kriminell agierenden Filmmogul. Alltäglicher sind hingegen Kontakte, bei denen Männer aufdringlich sind und/oder die nach einem brauchbaren Anfang im weiteren Verlauf unangenehm werden, oder kurz gesagt wo der Sex schlecht ist.

Dieses Problem war der Thema des kürzlich in die Schlagzeilen hochgeschwappten Skandals um Aziz Ansari. Diese Affäre hatte wiederum einen Vorläufer im Dezember 2017 in Form einer intensiven Debatte um die Kurzgeschichte "Cat Man", die hier kaum wahrgenommen wurde. Den enormen Presserummel um die Aziz-Ansari-Affäre versteht man wohl nur richtig vor dem Hintergrund der "Cat Man"-Debatte. Beide Debatten weisen viele Gemeinsamkeiten auf und behandeln unter der Oberfläche Themen, die seit 10 oder mehr Jahren im Rahmen der Title-IX-Gesetzgebung hitzig, um nicht zu sagen unversöhnlich debattiert werden.

Donnerstag, 11. Januar 2018

Was Catherine Deneuve wirklich sagte

Inhaltsübersicht

Eine Überraschung aus Frankreich

Vorgestern geschah etwas Unerwartetes. Die MeToo-Kampagne läuft seit gut 10 Wochen nahezu ungestört auf vollen Touren, sie hat bereits 3 Selbstmorde verursacht, und sie metastasiert gerade erfolgreich in Form von Satelliten- und Folge-Kampagnen - z.B. TimesUp.

Kritik an der unübersehbaren moralischen Panik, Aufgabe rechtsstaatlicher Minimalstandards und Lynchjustiz kam bisher nur von notorischen Lästermäulern wie Brendan O'Neill oder Thomas Fischer. Deren mediale Reichweite ist indes vernachlässigbar im Vergleich zu den feministischen Medien, die wie üblich auch diese feministische Twitter-Kampagne nach Kräften unterstützt haben.

Am 09.01.2018 erschien nun ein offener Brief in Le Monde, unterzeichnet von 100 französischen Frauen, darunter sehr prominente wie Catherine Deneuve.

Inhaltlich findet man, wenn man sich schon mit den Wirkungen der vielen feministischen Kampagnen befaßt hat, fast nur altbekannte Argumente. Anders gesagt kann ich als aufgeklärter Masku praktisch jedem Satz zustimmen, einige sogar dick unterstreichen.

Während der Brief inhaltlich nichts Neues bringt, ist er hinsichtlich seiner Medienwirksamkeit sozusagen ein Kanonenschlag. Der mediale Widerhall war beträchtlich - Catherine Deneuve ist so etwas wie eine Nationalheilige -, fast alle großen Zeitungen berichteten darüber. Die mediale Reichweite dieses Offenen Briefs dürfte größer sein als die alle bisherigen Kritiken an der MeToo-Kampagne zusammen.

Dies machte natürlich eine umgehende Antwort erforderlich. Als eine der ersten und noch am gleichen Tag ging Barbara Kostolnik vom hochfeministischen WDR zum Gegenangriff über und titelt, damit auch gleich klar ist, wer hier recht hat, auf tagesschau.de: Der Irrtum der Madame Deneuve, und weiter:

Eine "Freiheit zu belästigen" fordern die französische Schauspielerin Cathérine Deneuve und 99 weitere Frauen in der Zeitung "Le Monde".
Kostolnik benutzt den Begriff "belästigen" mehrfach. Im Original heißt es:
nous défendons une liberté d'importuner, indispensable à la liberté sexuelle.
Dass Verb importuner bedeutet lästig sein, lästig fallen, jemandem auf die Nerven gehen, in Kontext dieses Briefs kann man es auch mit "aufdringlich sein" übersetzen. Das deutsche (sexuell) "belästigen" ist nach Dutzenden Aufschrei- und Sexismus-Kampagnen eng mit dem Begriff Sexuelle Belästigung verbunden, dieser wiederum deckt ein Spektrum von Verhaltensformen ab, die zum Teil Straftatbestand sind.

"importuner" hier mit "belästigen" zu übersetzen ist eindeutig falsch, es denunziert die Autorinnen des Offenen Briefs, Straftaten zu verharmlosen, obwohl sie in ihrem Brief genau dies explizit ablehnen. Außerdem wird die Textstelle "liberté d'importuner" sinnentstellend aus ihrem Zusammenhang gerissen (mehr dazu hier). Bei jemandem, der aus dem ARD-Hörfunkstudio Paris berichtet, sollte man genügend Französischkenntnisse vermuten, um diesen Fehler zu vermeiden - sofern hier nicht Absicht vorlag, denn die Falschübersetzung setzt die metoo-Kritikerinnen in ein schlechtes Licht, und man vermeidet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit deren Thesen. Die findet im übrigen bei Kostolnik nicht statt, sie scheint den eigentlichen Inhalt des Offenen Briefs (der die Kollateralschäden der MeToo-Hexenjagd und die Selbständigkeit von Frauen thematisiert) gar nicht verstanden zu haben.

Die falsche Übersetzung "Freiheit zu belästigen" kam bzw. kommt auch bei anderen "Qualitätsmedien" vor, u.a. im Bayerischen Rundfunk, im Focus, im Standard, im Stern im Tagesspiegel, in der Welt und in der ZEIT. Die Welt und die ZEIT haben indes nach ca. einem Tag den Titel geändert, die Welt übersetzt "liberté d'importuner" jetzt mit "Freiheit, aufdringlich werden zu dürfen", die ZEIT mit "Freiheit, lästig zu sein", beides akzeptable Übersetzungen.

Versuch einer brauchbaren Übersetzung

Der nächste Abschnitt enthält eine Übersetzung des kompletten offenen Briefs, die auf dem Text beruht, der hier publiziert wurde. Das immer etwas gestelzt wirkende Französisch ist nicht ganz einfach in flüssiges Deutsch zu übersetzen, Fehler sind meine. Hinweise auf Übersetzungsfehler und Verbesserungsvorschläge bitte hier.

Kontext der "liberté d'importuner"

Die Textstelle "liberté d'importuner" steht meiner Meinung nach in einem bestimmten textlichen Kontext, der wesentlich für ihre Interpretation und die Botschaft der Verfasserinnen ist. (Wer den Brief noch nicht kennt, sollte ihn ggf. zunächst lesen, um sich eine eigene Meinung zu bilden.)

"liberté d'importuner" erscheint - neben einem Zwischentitel, der vermutlich von der Redaktion eingefügt wurde - nur an zwei Textstellen. Bei der ersten Textstelle wird sie als Analogie zur Freiheit eines Künstlers, mit seinen Werken und deren Aussage der Öffentlichkeit lästig zu fallen, definiert. Diese künstlerische Freiheit ist wesentlich für künstlerische Kreativität, und eine sexuelle Begegnung zweier Personen wird hier als etwas Kreatives und Experimentelles verstanden, und nur unter dieser Grundannahme wird an dieser Stelle die "liberté d'importuner" gefordert.

Bei der zweiten Textstelle wird die "liberté d'importuner" als Gegenpol der Freiheit, Nein zu sexuellen Angeboten zu sagen, dargestellt. Implizit wird hier ein Aushandlungsprozeß unter zwei gleichberechtigten Personen unterstellt.

Implizit werden Frauen hier und an anderen Stellen als starke, selbstverantwortliche Persönlichkeiten verstanden. An keiner der beiden Textstellen wird Freiheit so verstanden, daß eine der beteiligten Personen willkürlich oder gewalttätig die andere, wehrlose Person belästigen kann. Die Übersetzung "Freiheit zu belästigen" suggeriert fälschlich das Gegenteil, nämlich ein Recht auf Willkür und Belästigung auf der einen Seite und ein Verbot auf der anderen Seite, sich dagegen zu wehren.

Die Freiheit der Frauen, lästig zu sein

Eine besondere Kuriosität der Debatte besteht darin, die geschlechtsneutrale Formulierung der Freiheits-Forderung zu übersehen. Die "liberté d'importuner" muß selbstverständlich auch für Frauen gelten, und man kann durchaus davon ausgehen, daß Deneuve et al. diese Freiheit auch für Frauen fordern.

Dies ist eine zwangsläufige Konsequenz daraus, daß Deneuve et al. Frauen als starke Persönlichkeiten verstehen, die nicht immer nur passive Opfer in sozialen Interaktionen sind, sondern selber auch einmal offensiv sind und Risiken eingehen und dabei Fehler machen. Diese Gleichrangigkeit von Männern und Frauen war ein Ideal früherer feministischer Wellen, ist aber bei dem heute dominierenden Denken in Identitätspolitiken und Opferstatus-Hierarchien kaum noch vorstellbar.



Deutsche Übersetzung des Offenen Briefs von Catherine Deneuve und 99 anderen Frauen

Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Aber hartnäckiges oder ungeschicktes Flirten ist kein Verbrechen, und Galanterie ist keine Machismo-Aggression.

Die Weinstein-Affäre hat zu einer legitimen Bewußtmachung sexueller Gewalt gegen Frauen geführt, besonders am Arbeitsplatz, wo einige Männer ihre Macht mißbrauchen. Dies war notwendig. Aber diese offene Ansprache der Probleme verwandelt sich heute in ihr Gegenteil: Man macht uns Vorschriften, was wir sagen dürfen, wir sollen schweigen über das, was uns wütend macht, und diejenigen, die sich weigern, solchen Verfügungen zu gehorchen, werden als Verräter, als Komplizen angesehen!

Nun ist es typisch für den Puritanismus, im Namen eines vermeintlichen Allgemeinwohls Argumente für den Schutz der Frauen und ihrer Emanzipation zu übernehmen, um sie besser an den Status des ewigen Opfers zu fesseln, bzw. von armen kleinen Dingern, die unter dem Einfluß dämonischer Phallokraten stehen, wie in den guten alten Zeiten der Hexerei.

Denunziationen und Anklagen

Tatsächlich hat #metoo in der Presse und in den sozialen Netzwerken zu einer Kampagne öffentlicher Denunziationen und Anklagen von Einzelpersonen geführt, die, ohne die Möglichkeit zu haben, zu reagieren oder sich zu verteidigen, genau auf die gleiche Stufe gestellt wurden wie Sexualstraftäter. Diese Schnellgerichtsbarkeit hat bereits ihre Opfer, Männer, die in Ausübung ihres Berufes bestraft wurden, zum Rücktritt gezwungen wurden usw., deren ganzes Unrecht darin bestand, ein Knie berührt zu haben, versucht zu haben, einen Kuß zu erhaschen, bei einem professionellen Abendessen über "intime" Dinge gesprochen zu haben oder sexuelle Botschaften an eine Frau geschickt zu haben, die sich umgekehrt nicht von dem Mann angezogen fühlte.

Dieses Fieber, die "Schweine" in den Schlachthof zu schicken, ist weit davon entfernt, Frauen dabei zu helfen, sich zu ermächtigen und selbst zu stärken. Es dient in Wirklichkeit den Interessen der Feinde sexueller Freiheit, den religiösen Extremisten, den schlimmsten Reaktionären und denjenigen, die meinen, im Namen einer im Kern viktorianischen Vorstellung vom Guten und von Moral, daß Frauen "besondere" Wesen sind, Kinder mit Gesichtern von Erwachsenen, die verlangen, beschützt zu werden.

Umgekehrt wird den Männern befohlen, sich an die Brust zu schlagen und in den Tiefen ihres retrospektiven Bewußtseins ein "Fehlverhalten" zu finden, das sie vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren gehabt haben könnten und das sie nun bereuen sollten. Die öffentliche Beichte, das Eindringen selbsternannter Staatsanwälte in die Privatsphäre, ist die Art und Weise, wie man ein Klima totalitärer Gesellschaften erzeugt.

Die Säuberungswelle scheint keine Grenzen zu kennen. Mal wird ein Akt von Egon Schiele auf einem Plakat zensiert; ein ander Mal fordert man die Entfernung eines Balthus-Gemäldes aus einem Museum mit der Begründung, es sei eine Rechtfertigung für Pädophilie. Indem man Mensch und Werk verwechselt, fordert man ein Verbot der Roman Polanski-Retrospektive in der Cinémathèque und eine Verschiebung derjenigen, die Jean-Claude Brisseau gewidmet ist. Ein Akademiker beurteilt Michelangelo Antonionis Film Blow-Up als "frauenfeindlich" und "inakzeptabel". Angesichts dieses Revisionismus bekommen es John Ford (La Prisonnière du désert) und sogar Nicolas Poussin (The Sabine Kidnapping) mit der Angst zu tun.

Schon jetzt fordern einige Verlage einige von uns auf, unsere männlichen Charaktere weniger "sexistisch" zu machen, mit weniger Exzessen über Sexualität und Liebe zu sprechen oder die "Traumata weiblicher Charaktere" offensichtlicher zu machen! Hart am Rande der Lächerlichkeit will ein Gesetzentwurf in Schweden jeden, der einen Geschlechtsverkehr beabsichtigt, zur Einholung einer ausdrücklichen Zustimmung zwingen! Noch so ein Geniestreich, und zwei Erwachsene, die miteinander Sex haben wollen, müssen vorher mit einer "App" auf ihrem Telefon ein Dokument abhaken, in dem sie die Praktiken, die sie akzeptieren und bzw. ablehnen, genau auflisten.

Die unverzichtbare Freiheit, lästig zu sein

Der Philosoph Ruwen Ogien verteidigte die Freiheit, lästig zu sein, als unverzichtbar für die künstlerische Kreativität. Ebenso verteidigen wir eine Freiheit, lästig zu sein, als unverzichtbar für die sexuelle Freiheit. Wir sind heute ausreichend informiert, um zu wissen, daß der Sexualtrieb von Natur aus offensiv und ungesittet ist. Wir sind aber auch scharfsichtig genug, um ungeschicktes Flirten nicht mit sexueller Aggression zu verwechseln.

Uns ist vor allem bewußt, daß die menschliche Person nicht monolithisch ist: eine Frau kann am selben Tag ein professionelles Team führen und es genießen, sexuelles Objekt eines Mannes zu sein, ohne eine "Schlampe" oder ein abscheulicher Komplize des Patriarchats zu sein. Sie kann sicherstellen, daß ihr Lohn dem von Männern entspricht, sie wird sich aber nicht für immer traumatisiert fühlen, weil sie in der U-Bahn betatscht wurde, selbst wenn dies als ein Vergehen betrachtet wird. Sie kann einen solchen Vorfall sogar als Ausdruck extremen sexuellen Elends oder gar als Nicht-Ereignis betrachten.

Als Frauen erkennen wir uns selbst nicht in diesem Feminismus wieder, der über die Verurteilung von Machtmißbrauch den Eindruck erweckt, generell Männer und Sexualität zu hassen. Wir sind der Meinung, daß die Freiheit, Nein zu einem sexuellen Angebot zu sagen, nicht ohne die Freiheit möglich ist, jemandem lästig zu sein. Und wir sind der Meinung, daß wir imstande sein müssen, auf diese Freiheit, lästig zu sein, anders zu reagieren, als uns in der Rolle des Opfers zu verkriechen.

Für diejenigen von uns, die sich entschieden haben, Kinder zu bekommen, halten wir es für sinnvoller, unsere Töchter so zu erziehen, daß sie informiert und bewußt genug sind, um das Leben in vollen Zügen zu leben, ohne eingeschüchtert zu werden oder sich schuldig zu fühlen.

Zwischenfälle, die sich auf den Körper einer Frau auswirken können, beeinträchtigen nicht unbedingt ihre Würde und sollten sie nicht, so hart sie manchmal sein mögen, zwangsläufig zu einem ewigen Opfer machen. Weil wir nicht auf unseren Körper reduzierbar sind. Unsere innere Freiheit ist unantastbar. Und diese Freiheit, die wir schätzen, ist nicht ohne Risiken und Verantwortlichkeiten.



Nachträge

  1. Ein sehr lesenswertes Interview von Catherine Millet, eine der Autorinnen des offenen Briefs, ist in der FAZ vom 14.01.2018 erschienen.
  2. Catherine Deneuve weist in einer Stellungnahme am 14.01.2018 in der Zeitschrift Liberation die Kritik zurück, der offene Brief bzw. sie persönlich würde sexuelle Gewalt verharmlosen. Übersetzung s.u.
  3. Die am meisten kontroverse Forderung des offenen Briefs ist die nach der "liberté d'importuner". Wenn man die Mißverständnisse durch die falschen Übersetzungen, die nicht überall auftraten oder teilweise vorgeschoben waren, einmal beiseite läßt, hat diese Forderung immer noch erstaunlich viel Protest erzeugt. Erstaunlich deswegen, weil diese Forderung eigentlich zwingend ist, wenn man Frauen grundsätzlich als starke, selbstverantwortliche Persönlichkeiten versteht (s.o.), ein zentraler Standpunkt der Autorinnen.

    Genau diesem Verständnis widersprechen relevante feministische Strömungen vehement. Diese Strömungen verstehen Frauen als eher asexuelle, antriebslose Wesen, die ihre Ablehnung von sexuellen Kontakten nicht klar verbalisieren können und dies auch nicht müssen, stattdessen verpflichtet bereits eine "nicht enthusiastische" Zustimmung einer Frau den Mann in der aktiven Rolle, seine Bemühungen zur Anbahnung sexueller Kontakte sofort abzubrechen, eine Fortsetzung wird genauso wie eine Vergewaltigung verurteilt. Dieses Verständnis war Grundlage der sozialen Hinrichtung von Aziz Ansari, die wenige Tage nach dem offenen Brief stattfand, Details s. Die Aziz-Ansari-Affäre.



Übersetzung der Stellungnahme von Catherine Deneuve zur Kritik am Offenen Brief

Anmerkungen: einige Stellen der Stellungnahme von Deneuve am 14.01.2018 sind mehr oder weniger unverständlich. Diese Stellungnahme ist weniger sauber fomuliert als der offene Brief, der von mehreren Autorinnen gemeinsam redigiert worden war. Mit [*] markierte Stellen sind mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht richtig übersetzt.

Ja, ich liebe die Freiheit. Ich liebe nicht die Eigenschaft unserer Zeit, daß jeder das Recht zu haben glaubt, zu urteilen, zu schlichten, zu verurteilen. Eine Zeit, in der einfache Denunziationen in sozialen Netzwerken zu Bestrafung, Entlassung und manchmal und oft zu medialer Hinrichtung führen. Ein Schauspieler kann digital aus einem Film gelöscht werden, der Regisseur einer großen New Yorker Institution kann gezwungen werden zurückzutreten, weil er vor dreißig Jahren mit seinen Händen jemanden an den Hintern gefaßt hat, das alles ohne irgendeine andere Form von Anklage und Prozeß. Ich entschuldige nichts. Ich urteile nicht über die Schuld dieser Männer, weil ich dafür nicht qualifiziert bin. Und nur wenige sind dies.

Nein, ich mag diese Treibjagden [*] nicht, die heute allzu häufig vorkommen. Daher meine Vorbehalte, schon ab Oktober zu diesem Hashtag "Balance ton porc".

Es gibt, ich bin nicht naiv, viel mehr Männer, die diesen Verhaltensweisen ausgesetzt sind als Frauen. Aber warum ist dieser Hashtag keine Einladung zur Denunziation? [*] Wer kann mir versichern, daß es keine Manipulationen oder Schläge unter die Gürtellinie geben wird? Daß es keine Selbstmorde von Unschuldigen geben wird? Wir müssen zusammenleben, ohne "Schweine" oder "Hündinnen", und ich gestehe, daß ich diesen Text "Wir verteidigen die Freiheit ..." energisch, wenn nicht sogar vollkommen richtig gefunden habe.

Ja, ich habe diese Petition unterzeichnet, und ich halte es heute für absolut notwendig, darauf hinzuweisen, daß ich nicht einverstanden bin mit der Art und Weise, in der sich einige Unterzeichner individuell das Recht nehmen, sich in den Medien zu verbreiten, in einer Weise, die den Geist dieses Textes verfälscht. Im Fernsehen zu sagen, daß man eine Vergewaltigung genießen kann, ist schlimmer, als all jenen ins Gesicht zu spucken, die dieses Verbrechen erlitten haben. Diese Worte suggerieren denjenigen, die daran gewöhnt sind, Gewalt anzuwenden oder Menschen mit Hilfe der Sexualität zu zerstören, daß das alles nicht so schlimm ist, denn es kommt ja vor, daß das Opfer das genießt. Aber wenn man ein Manifest unterschreibt, das andere Menschen anspricht, hält man sich zurück und vermeidet es, sie mit der eigenen verbalen Inkontinenz zu behelligen. [*] Es ist unwürdig. Und offensichtlich behauptet nichts in diesem Text, daß Belästigung gut ist, sonst hätte ich ihn nicht unterschrieben.

Ich bin Schauspielerin, seit ich 17 bin. Ich könnte natürlich sagen, daß ich Situationen erlebt habe, die mehr als unfein sind, oder daß ich von anderen Schauspielerinnen weiß, daß Filmemacher ihre Macht niederträchtig mißbraucht haben. Es ist aber ganz einfach nicht meine Aufgabe, an der Stelle meiner Kolleginnen zu reden. Was traumatisierende und unhaltbare Situationen schafft, ist immer Macht, eine hierarchische Position oder eine Form von Einfluß. Die Falle schließt sich, wenn es unmöglich wird, Nein zu sagen, ohne seinen Job zu riskieren, oder Demütigungen und erniedrigenden Sarkasmus zu erleiden. Deshalb glaube ich, daß die Lösung darin besteht, unsere Jungen und Mädchen gleichermaßen zu erziehen. Aber auch evtl. Vorschriften in Unternehmen, die bewirken, daß bei Belästigung sofort eine Strafverfolgung eingeleitet wird. Ich glaube an die Gerechtigkeit.

Ich habe diesen Text letztlich aus einem Grund unterschrieben, der meiner Meinung nach essentiell ist: die Gefahr der Säuberung [Zensur] in den Künsten. Sollen wir Sade in Plejade verbrennen? Leonardo da Vinci als pädophilen Künstler bezeichnen und seine Gemälde vernichten? Die Gauguins aus den Museen abholen? Egon Schieles Zeichnungen zerstören? Die Platten von Phil Spectors verbieten? Dieses Klima der Zensur macht mich sprachlos und besorgt über die Zukunft unserer Gesellschaften.

Ich wurde manchmal beschuldigt, nicht feministisch zu sein. Muß ich daran erinnern, daß ich einer der 343 Schlampen war, neben Marguerite Duras und Françoise Sagan, die das Manifest "Ich habe abgetrieben" unterschrieben haben, das Simone de Beauvoir geschrieben hat? Abtreibung wurde damals strafrechtlich verfolgt und mit Gefängnis bestraft. Deshalb möchte ich den Ewiggestrigen, den Rassisten und den Traditionalisten aller Art, die es strategisch geschickt finden, mir ihre Unterstützung anzudienen, sagen, daß sie mich nicht täuschen können. Sie werden weder meine Dankbarkeit noch meine Freundschaft gewinnen, ganz im Gegenteil. Ich bin eine freie Frau und werde es auch bleiben. Ich grüße brüderlich alle Opfer von abscheulichen Taten, die sich eventuell von dem offenen Brief, der in der Monde erschienen ist, angegriffen fühlen. Bei ihnen, und nur bei ihnen, entschuldige ich mich.

Mit freundlichen Grüßen.

Catherine Deneuve



Quellen