Fake News gefährden unsere Demokratie, weil sie die
Weltwahrnehmung der Teilnehmer an den Debatten verfälschen.
Eine besondere Gefahr geht von einer Presse aus, die von
Vertretern einer Ideologie gekapert worden ist und die die
Öffentlichkeit systematisch desinformiert. Eine derartige
Desinformationskampagne erleben wir seit einiger Zeit im
Rahmen der Corona-Krise: diese gefährdet den bisher in der
öffentlichen Meinung verankerten Opferstatus von Frauen,
u.a. deren ständige Bedrohung durch häusliche Gewalt.
Daher werden z.B. viele Vermutungen und Prognosen
feministische Aktivisten veröffentlicht, daß der Umfang
häuslicher Gewalt im Lockdown ansteigen wird, verbunden mit
Forderungen, die Schutzangebote für Frauen umgehend
auszubauen. Dies, obwohl zahlreiche Berichte vorliegen, daß
entsprechende Notrufe weniger häufig als vor der Krise
genutzt werden.
Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik, Jahrbuch Band 1 - Fälle, Aufklärung, Schaden, Tabelle 1-2.2-T04, gab es im Jahr 2019 in Deutschland insg. 9426 Fälle der Kategorie 111000 "Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschl. mit Todesfolge". Wäre die Online-Befragung tatsächlich, wie behauptet, "hinsichtlich Alter, Bildungsstand, Einkommen, Haushaltsgröße und Wohnort repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung", wären innerhalb kurzer Zeit ca. 100 Mal mehr Fälle der Kategorie 111000 aufgetreten als im ganzen Jahr 2019. [2] Zur Motivation und Funktionsweise von Listenexperimenten: Bei Umfragen steht man vor dem Problem, daß "indiskrete" Fragen wie z.B. "Wurden Sie schon einmal vergewaltigt? [ja/nein]" aus Scham oder Angst nicht richtig beantwortet werden. Listenexperimente sind eine indirekte Fragetechnik, mit der versucht wird, dieses Problem zu umgehen. Hierzu wird aus der indiskreten Frage und einigen (typischerweise 3 - 4) anderen harmlosen Fragen eine Gruppe gebildet und es wird nur noch nach der Anzahl der Ja-Antworten gefragt. Bei 3 Ja-Antworten auf 5 Fragen weiß der Interviewer nicht, welche Fragen mit Ja beantwortet wurden. Um trotzdem herauszufinden, wieviele Interviewte die indiskrete Frage mit Ja beantwortet haben, werden zwei im Prinzip unabhängige Teilexperimente durchgeführt. Die gesamte verfügbare Stichprobe, z.B. 200 Teilnehmer, wird hierzu geteilt in zwei kleinere Stichproben, eine zufällig gewählte Referenzgruppe (ca. ein Viertel bis die Hälfte der verfügbaren Teilnehmer; wir nehmen 100) und den Rest, die Hauptgruppe (ebenfalls 100 Teilnehmer).
(a) der Anzahl der Ja-Antworten zu allen harmlosen Fragen SBH und
(b) der Anzahl der Ja-Antworten auf die indiskrete Frage SBI,
also:
Wir können aber das Ergebnis des Teilexperiments A, SA, als Schätzer für SBH benutzen, also SBH = SA annehmen, denn beide Gruppen sind repräsentative Stichproben der gleichen Population und hier im Beispiel gleich groß. Dabei spielt keine Rolle, ob einzelne Fragen viele oder wenige Ja-Antworten bekommen, wie die einzelnen Zahlenangaben der Teilnehmer verteilt sind und wie sich die Ja-Antworten auf die harmlosen Fragen in den beiden Experimenten verteilen. Entscheidend ist nur die Gesamtanzahl aller Ja-Antworten, hierfür und nur hierfür liefert uns Teilexperiment A eine Prognose. Die harmlosen Fragen müssen natürlich so gestaltet sein, daß ihre Beantwortung nicht durch die indiskrete Frage mental beeinflußt wird. In unserem Beispiel schätzen wir also im Teilexperiment B SBH = 236 und somit SBI = 239 - 236 = 3. Die 3 zusätzlichen Ja-Antworten ordnen wir der zusätzlichen indiskreten Frage zu und schlußfolgern, daß 3 von 100 Personen aus Teilexperiment B die indiskrete Frage mit Ja beantwortet haben. Bei stichprobenbasierten Untersuchungen steht man indes prinzipiell immer vor dem Problem, daß man nicht weiß, ob die Stichprobe wirklich repräsentativ ist (eine zufällige Auswahl ist keine Garantie hierfür) und ob man ihre Ergebnisse auf eine Gesamtpopulation oder andere Stichproben übertragen kann. Dies gilt insb. für Teilexperiment A. SA ist nur ein Schätzwert bzw. eine Prognose für SBH. Daß die Teilnehmer in Teilexperiment B exakt genausoviele Ja-Antworten auf die harmlosen Fragen gegeben haben wie die Teilnehmer in Teilexperiment A, ist zwar wahrscheinlich, aber unsicher. Als Unsicherheitsbereich einer Prognose bezeichnet man den Bereich, in dem die eigentlich interessierende wahre Ergebnisgröße für die Gesamtpopulation liegt. Es gibt Methoden, wie man solche Unsicherheitsbereiche schätzen kann, auf diese gehen wir hier nicht näher ein. Angenommen, der Unsicherheitsbereich von SA sei in unserem Beispiel +/-4 Ja-Antworten pro 100 Personen (oder ca. +/-1.5% bezogen auf 236 Ja-Antworten) bzw. das Intervall [232,240]. Dann läge die Beobachtung in Teilexperiment B, der Wert 239, in diesem Unsicherheitsbereich. Man könnte also nicht ausschließen, daß das Beobachtungsergebnis 239 reiner Zufall ist und keine einzige Person in Teilexperiment B die indiskrete Frage bejaht hat. Das Endergebnis SBI = 3 hat hier einen Unsicherheitsbereich [-1,7] und ist vollkommen unbrauchbar. Hinzu kommt eine weitere Unsicherheit, weil man letztlich eine Aussage über die Gesamtpopulation machen will. Hierzu muß man das Ergebnis von Teilexperiment B, also die Quote von 3%, auf die Gesamtpopulation verallgemeinern. Der Gesamtunsicherheitsbereich wird dadurch noch größer. Das Beispiel illustriert die generelle Erkenntnis, daß Listenexperimente (ohne zusätzliche Maßnahmen) keine genauen numerischen Werte liefern können und ungeeignet sind, kleine Effekte im Bereich weniger Prozent zu nachzuweisen.
Die Studie bzw. ihre Ankündigung
Die vielen inständigen Warnungen vor einer epidemischen
Gewaltwelle gegen Frauen haben jetzt scheinbar eine
wissenschaftliche Rechtfertigung erhalten, und zwar in Form
einer Studie, die an der TU München erstellt wurde. Mediale
Merkmale dieser Studie sind:
- Sie ist bisher noch nicht veröffentlicht worden oder in irgendeiner Weise für Außenstehende einsehbar. Dies gilt natürlich erst recht für die Daten, die der Studie zugrundeliegen.
- Sie war bisher offenbar keinerlei wissenschaftlicher Qualitätskontrolle unterworfen, sondern scheint nur den Status eines noch einzureichenden und zu begutachtenden Preprints zu haben.
- Veröffentlicht worden ist bisher eine Zusammenfassung der Ergebnisse und eine Pressenotiz der TU München, in der die Studie als "Erste große Studie zu Erfahrungen von Frauen und Kindern in Deutschland - Häusliche Gewalt während der Corona-Pandemie" angepriesen wird.
Beurteilung der Studie auf
Basis der Zusammenfassung der Ergebnisse
Auf Basis der Zusammenfassung der Ergebnisse kann die
kommende vollständige Studie aber zumindest vorläufig
inhaltlich begutachtet werden. Hierbei sind deutliche
Anzeichen auf gravierende Mängel der Studie unübersehbar:
- Für die Studie wurden ausschließlich Frauen befragt und um ihre subjektive Wahrnehmung gebeten. D.h. schon im Design der Studie steckt die Annahme. daß die Eigenschaft, Frau zu sein, der einzige Grund dafür ist, Ziel von Gewalt zu sein. Andere, ggf. wichtigere Gründe können prinzipiell nicht gefunden werden. Die Rolle der Frau bei Auseinandersetzungen bleibt unbekannt. Eine Frau, die ihren Mann schlägt und dann zurückgeschlagen wird, ist in dieser Umfrage Opfer des Mannes. Die Studie kann daher keine Evidenz für ihre Vorannahme liefern. Sie tut aber so, u.a. bei den politischen Forderungen, als Konsequenz der Ergebnisse mehr Hilfsangebote für Frauen zu schaffen. Schon vor daher ist sie als Fake Studie zu bezeichnen.
- Angeblich wurden 3,6% der befragten Frauen von ihrem (Ehe-)Partner zum Geschlechtsverkehr gezwungen, aber nur 3,1% der befragten Frauen berichten von körperlichen Auseinandersetzungen mit ihrem (Ehe-)Partner. Selbst wenn die 3,1% der Frauen eine echte Teilmenge der 3,6% sind (unter der kuriosen Annahme, daß jede körperliche Auseinandersetzung mit einem erzwungenen Geschlechtsverkehr einhergeht), stellt sich die Frage, mit welchen nichtkörperlichen Methoden die restlichen 0,5% zum Geschlechtsverkehr "gezwungen" wurden. Im übrigen sind Zahlen von 3 - 4% Vergewaltigungen (zudem in einem kurzen Zeitraum) extrem hoch und passen nicht zur geringen Nutzung der Hilfsangebote während des Lockdown. Auf die komplette weibliche Erwachsenenbevölkerung hochgerechnet wären dies in der Größenordnung von 1 Mio. Vergewaltigungen; diese würden zu einem Massenansturm bei den Beratungsstellen führen. Eine solche Zahl ist vollkommen unplausibel (s.a. Fußnote 1).
- Die Zusammenfassung behauptet prominent auf der ersten Seite, die befragten Frauen hätten die erwähnten Prozentsätze "berichtet": "3,1% der befragten Frauen berichten von körperlichen Auseinandersetzungen". (Auf Seite 2 der Zusammenfassung wird als sogar Tatsache formuliert: "3,6% der befragten Frauen wurden innerhalb des letzten Monats von ihrem (Ehe-)Partner zum Geschlechtsverkehr gezwungen.") Diese Aussage ist falsch, die Studie widerlegt sich hier selber. Die Antworten der Frauen auf die entsprechende Frage wurden nämlich gar nicht direkt erfaßt. Stattdessen wurden diese Prozentzahlen nur geschätzt, und zwar mit einer indirekten Meßmethode, einem "Listenexperiment" (s.a. Fußnote 2). Wie u.a. in der Dissertation Gosen gezeigt wird, sind die Ergebnisse von Listenexperimenten sehr unsicher und nicht geeignet, genaue Zahlenangaben zu produzieren. Es erscheint ausgeschlossen, daß relativ kleine Anteile von 3 - 4 % mit dieser Methode korrekt gemessen werden können. So zu tun, als ginge dies, ist Irreführung der Öffentlichkeit. Überflüssig zu erwähnen ist, daß in der Zusammenfassung der Studie keine Angaben über die Unsicherheitsbereiche oder andere Zuverlässigkeitsmaße zu finden sind. Eine ausführliche Diskussion der Defizite der Studie findet sich hier.
Immer wieder haben Experten gewarnt: Die Gewalt in Familien könnte steigen, wenn Menschen wegen Corona nicht aus dem Haus dürfen und existenzielle Probleme dazu kommen. Nun zeigt sich: Die Befürchtungen dürften sich bewahrheiten.
Rezeption der Studie
Innerhalb von nur ca. 2 Tagen nach Publikation der
Pressenotiz der TUM erschienen rund 30
Presseartikel über diese Studie, s.u.
Ein kleiner Teil der Artikel zitiert die TUM-Pressenotiz
mehr oder weniger vollständig wörtlich.
Ca. drei Viertel der Presseartikel basieren indes auf einer
Meldung der Nachrichtenagenturen RND und dpa, darunter sehr viele Provinzblätter,
aber auch reichweitenstarke Medien wie Süddeutsche oder
ZDF.
In den meisten Fällen wird die dpa/RND-Meldung komplett
unverändert wiedergegeben. D.h. die zentrale Verantwortung
für diese Verbreitung von Fake News, die vermutlich mehrere
Millionen Leser erreicht haben, liegt bei den beiden
Nachrichtenagenturen.
Nur in sehr wenigen Fällen, z.B. beim Stern,
wurde ein eigener Text formuliert, wobei die TUM-Studie der
Anlaß war, deren suspekte Angaben auszugsweise wiedergegeben
wurden und um Angaben aus anderen, älteren
Veröffentlichungen ergänzt wurden.
In keinem Fall wurde trotz der auffälligen Mängel der Studie
auch nur ansatzweise Kritik an der Studie geübt. Bei den
Kopien der dpa/RND-Meldung ist dies nicht weiter
verwunderlich, weil diese vollautomatisch in die Auftritte
der Zeitungen übernommen werden. Peinlicher ist es schon bei
den Übernahmen der Pressenotiz der TUM und den
"handgeschriebenen" Artikeln, denn dort müßten im Prinzip
reale Redakteure einen Blick auf den Text vor seiner
Veröffentlichung geworfen haben.
Fazit
Über die Studie und ihre Defizite wird man erst dann genau
urteilen können, wenn sie vorliegt. Zum derzeitigen
Zeitpunkt bietet sie jedenfalls keine belastbare Basis für
die zahlreichen Presseartikel und deren weitreichende
Aussagen.
Die zentrale bittere Erkenntnis aus diesem Vorfall ist, daß
die Presse völlig dabei versagt hat, erkennbar zweifelhafte
Meldungen zu prüfen und auf deren Defizite hinzuweisen oder
sogar eine Veröffentlichung der Falschnachrichten zu
unterlassen. Dieses Versagen dürfte wiederum stark daran
liegen, daß hier feministisch erwünschte "Fakten"
präsentiert werden.
Anmerkungen
[1]
Die grobe Schätzung von ca. 1 Mio. Vergewaltigungen beruht
auf der Annahme von ca. 30 Mio. Frauen im Alter zwischen 18
und 65 Jahren, von denen 3,6% zum Geschlechtsverkehr
gezwungen, also vergewaltigt werden.
Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik, Jahrbuch Band 1 - Fälle, Aufklärung, Schaden, Tabelle 1-2.2-T04, gab es im Jahr 2019 in Deutschland insg. 9426 Fälle der Kategorie 111000 "Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschl. mit Todesfolge". Wäre die Online-Befragung tatsächlich, wie behauptet, "hinsichtlich Alter, Bildungsstand, Einkommen, Haushaltsgröße und Wohnort repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung", wären innerhalb kurzer Zeit ca. 100 Mal mehr Fälle der Kategorie 111000 aufgetreten als im ganzen Jahr 2019. [2] Zur Motivation und Funktionsweise von Listenexperimenten: Bei Umfragen steht man vor dem Problem, daß "indiskrete" Fragen wie z.B. "Wurden Sie schon einmal vergewaltigt? [ja/nein]" aus Scham oder Angst nicht richtig beantwortet werden. Listenexperimente sind eine indirekte Fragetechnik, mit der versucht wird, dieses Problem zu umgehen. Hierzu wird aus der indiskreten Frage und einigen (typischerweise 3 - 4) anderen harmlosen Fragen eine Gruppe gebildet und es wird nur noch nach der Anzahl der Ja-Antworten gefragt. Bei 3 Ja-Antworten auf 5 Fragen weiß der Interviewer nicht, welche Fragen mit Ja beantwortet wurden. Um trotzdem herauszufinden, wieviele Interviewte die indiskrete Frage mit Ja beantwortet haben, werden zwei im Prinzip unabhängige Teilexperimente durchgeführt. Die gesamte verfügbare Stichprobe, z.B. 200 Teilnehmer, wird hierzu geteilt in zwei kleinere Stichproben, eine zufällig gewählte Referenzgruppe (ca. ein Viertel bis die Hälfte der verfügbaren Teilnehmer; wir nehmen 100) und den Rest, die Hauptgruppe (ebenfalls 100 Teilnehmer).
- Im Teilexperiment A wird die Referenzgruppe
befragt. Die Fragenliste enthält hier nur die harmlosen
Fragen. Jeder Teilnehmer liefert die Zahl seiner
Ja-Antworten. Sei SA die Summe dieser Zahlen aller
Teilnehmer. In unserem Beispiel nehmen wir an, daß wir in
Teilexperiment A die Summe SA = 236 bei 100
Teilnehmern (bzw. 2.36 pro Teilnehmer) beobachten. Die
Anzahl der harmlosen Fragen spielt hier keine Rolle, es geht
nur um die Gesamtzahl der Ja-Antworten.
Teilexperiment A dient nur dazu, eine Schätzformel für die Häufigkeit der Ja-Antworten auf die harmlosen Fragen zu gewinnen. Diese Schätzformel wird innerhalb des Listenexperiments bei der Auswertung von Teilexperiment B benötigt, sie ist kein Teil des Endergebnisses. - Im Teilexperiment B wird die Hauptgruppe befragt, hier enthält die Fragenliste zusätzlich die indiskrete Frage. Sei SB die Summe der Anzahlen der Ja-Antworten. In unserem Beispiel nehmen SB = 239 an, bei ebenfalls 100 (anderen) Teilnehmern, also 2.39 pro Teilnehmer.
(a) der Anzahl der Ja-Antworten zu allen harmlosen Fragen SBH und
(b) der Anzahl der Ja-Antworten auf die indiskrete Frage SBI,
also:
SB = SBH + SBI = 239Wir wissen beim Teilexperiment B grundsätzlich nicht, wie groß die Zahlen SBH und SBI sind.
Wir können aber das Ergebnis des Teilexperiments A, SA, als Schätzer für SBH benutzen, also SBH = SA annehmen, denn beide Gruppen sind repräsentative Stichproben der gleichen Population und hier im Beispiel gleich groß. Dabei spielt keine Rolle, ob einzelne Fragen viele oder wenige Ja-Antworten bekommen, wie die einzelnen Zahlenangaben der Teilnehmer verteilt sind und wie sich die Ja-Antworten auf die harmlosen Fragen in den beiden Experimenten verteilen. Entscheidend ist nur die Gesamtanzahl aller Ja-Antworten, hierfür und nur hierfür liefert uns Teilexperiment A eine Prognose. Die harmlosen Fragen müssen natürlich so gestaltet sein, daß ihre Beantwortung nicht durch die indiskrete Frage mental beeinflußt wird. In unserem Beispiel schätzen wir also im Teilexperiment B SBH = 236 und somit SBI = 239 - 236 = 3. Die 3 zusätzlichen Ja-Antworten ordnen wir der zusätzlichen indiskreten Frage zu und schlußfolgern, daß 3 von 100 Personen aus Teilexperiment B die indiskrete Frage mit Ja beantwortet haben. Bei stichprobenbasierten Untersuchungen steht man indes prinzipiell immer vor dem Problem, daß man nicht weiß, ob die Stichprobe wirklich repräsentativ ist (eine zufällige Auswahl ist keine Garantie hierfür) und ob man ihre Ergebnisse auf eine Gesamtpopulation oder andere Stichproben übertragen kann. Dies gilt insb. für Teilexperiment A. SA ist nur ein Schätzwert bzw. eine Prognose für SBH. Daß die Teilnehmer in Teilexperiment B exakt genausoviele Ja-Antworten auf die harmlosen Fragen gegeben haben wie die Teilnehmer in Teilexperiment A, ist zwar wahrscheinlich, aber unsicher. Als Unsicherheitsbereich einer Prognose bezeichnet man den Bereich, in dem die eigentlich interessierende wahre Ergebnisgröße für die Gesamtpopulation liegt. Es gibt Methoden, wie man solche Unsicherheitsbereiche schätzen kann, auf diese gehen wir hier nicht näher ein. Angenommen, der Unsicherheitsbereich von SA sei in unserem Beispiel +/-4 Ja-Antworten pro 100 Personen (oder ca. +/-1.5% bezogen auf 236 Ja-Antworten) bzw. das Intervall [232,240]. Dann läge die Beobachtung in Teilexperiment B, der Wert 239, in diesem Unsicherheitsbereich. Man könnte also nicht ausschließen, daß das Beobachtungsergebnis 239 reiner Zufall ist und keine einzige Person in Teilexperiment B die indiskrete Frage bejaht hat. Das Endergebnis SBI = 3 hat hier einen Unsicherheitsbereich [-1,7] und ist vollkommen unbrauchbar. Hinzu kommt eine weitere Unsicherheit, weil man letztlich eine Aussage über die Gesamtpopulation machen will. Hierzu muß man das Ergebnis von Teilexperiment B, also die Quote von 3%, auf die Gesamtpopulation verallgemeinern. Der Gesamtunsicherheitsbereich wird dadurch noch größer. Das Beispiel illustriert die generelle Erkenntnis, daß Listenexperimente (ohne zusätzliche Maßnahmen) keine genauen numerischen Werte liefern können und ungeeignet sind, kleine Effekte im Bereich weniger Prozent zu nachzuweisen.
Quellen
- Janina Steinert, Cara Ebert: Gewalt an Frauen und Kindern in Deutschland während COVID-19-bedingten Ausgangsbeschränkungen: Zusammenfassung der Ergebnisse. drive.google.com, 01.06.2020. https://drive.google.com/file/d/19Wqpby9nwMNjdgO4_FCqqlfYyLJmBn7y/view
- Erste große Studie zu Erfahrungen von Frauen und Kindern in Deutschland - Häusliche Gewalt während der Corona-Pandemie. TU München, 02.06.2020. https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/36053/
- Stefanie Gosen: Social desirability in survey research: Can the list experiment provide the truth? Dissertation, Philipps-Universität Marburg, 01.2014. https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2014/0228/
Zitierungen von Steinert (2020)
- Studie: Häusliche Gewalt steigt in Quarantäne. Abendzeitung München, 02.06.2020. https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.deutschland ... 71.html
- Häusliche Gewalt steigt in Quarantäne und in finanzieller Not. Ärzteblatt, 02.06.2020. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/113412/Haeuslich ... ler-Not
- Studie: Mehr häusliche Gewalt in Quarantäne. Antenne Niederrhein, 02.06.2020. https://www.antenneniederrhein.de/artikel/studie-haeusl ... 37.html
- Studie: Mehr häusliche Gewalt in Quarantäne. Badisches Tagblatt, 02.06.2020. https://www.badisches-tagblatt.de/Nachrichten/Studie-Ha ... 61.html
- Mehr häusliche Gewalt in Quarantäne und finanzieller Not. Bayerische Staatszeitung, 02.06.2020. https://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/l ... ot.html
- Mehr häusliche Gewalt in Quarantäne und finanzieller Not. Berchtesgadener Anzeiger, 03.06.2020. https://www.berchtesgadener-anzeiger.de/startseite_arti ... 94.html
- Besorgniserregende Studie : Häusliche Gewalt steigt in Quarantäne. Bild, 02.06.2020. https://www.bild.de/regional/muenchen/muenchen-aktuell/ ... ld.html
- Alarmierende Studie: In Quarantäne erlebte jedes 10. Kind Gewalt. Focus, 02.06.2020. https://www.focus.de/familie/eltern/familie-heute/wisse ... 36.html
- Studie: Häusliche Gewalt steigt in Quarantäne. Frankenpost, 02.06.2020. https://www.frankenpost.de/region/bayern/Studie-Haeusli ... 7265666
- Studie: Mehr häusliche Gewalt in Quarantäne und finanzieller Not. General Anzeiger Bonn, 03.06.2020. https://www.general-anzeiger-bonn.de/ratgeber/familie/m ... 1456487
- Häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder steigt in Corona-Quarantäne - Stadt München liefert Kontakte zu Hilfe und Beratung. Hallo München, 02.06.2020. https://www.hallo-muenchen.de/muenchen/muenchen-gewalt- ... 20.html
- Lisa McMinn: Häusliche Gewalt im Lockdown: Mehr Therapieangebote könnten Frauen schützen. Vice, 03.06.2020. https://www.vice.com/de/article/5dzg3d/hausliche-gewalt ... chutzen
- Häusliche Gewalt während der Corona-Pandemie. Medmix, 02.06.2020. https://www.medmix.at/haeusliche-gewalt-waehrend-der-corona-pandemie/
- Bayern Studie: Häusliche Gewalt steigt in Quarantäne. n-tv, 02.06.2020. https://www.n-tv.de/regionales/bayern/Studie-Haeusliche ... 47.html
- Studie: Mehr häusliche Gewalt in Quarantäne. x, 02.06.2020. https://www.noz.de/deutschland-welt/vermischtes/artikel ... antaene
- Mehr häusliche Gewalt in Quarantäne und finanzieller Not. Neue Presse Coburg, 02.06.2020. https://www.np-coburg.de/leben/familie/dpa/frauen_famil ... 7266716
- Lisa Vogel: Häusliche Gewalt eskaliert in Quarantäne schneller. Netdoktor, 02.06.2020. https://www.netdoktor.de/news/haeusliche-gewalt-eskalie ... neller/
- Studie: Häusliche Gewalt steigt in Quarantäne. Onetz, 02.06.2020. https://www.onetz.de/deutschland-welt/studie-haeusliche ... 18.html
- Studie: Quarantäne und finanzielle Sorgen verstärken häusliche Gewalt. RND/dpa, 02.06.2020. https://www.rnd.de/familie/hausliche-gewalt-quarantane- ... 6I.html
- Studie: Mehr häusliche Gewalt in Quarantäne. Rhein-Neckar-Zeitung, 02.06.2020. https://www.rnz.de/panorama/aus-aller-welt_artikel,-onl ... 58.html
- Mehr häusliche Gewalt in Corona-Quarantäne und finanzieller Not. RP Online, 02.06.2020. https://rp-online.de/panorama/coronavirus/mehr-haeuslic ... 1442961
- Studie: Mehr häusliche Gewalt in Quarantäne. Radio RST, 02.06.2020. https://www.radiorst.de/artikel/studie-mehr-haeusliche- ... 37.html
- Corona-Pandemie: Häusliche Gewalt steigt in Quarantäne. Regensburger Nachrichten, 02.06.2020. https://www.regensburger-nachrichten.de/news/88036-coro ... antaene
- Studie: Mehr häusliche Gewalt in Quarantäne. x, 02.06.2020. https://www.rheinpfalz.de/panorama_artikel,-studie-mehr ... 80.html
- Studie: Frauen in häuslicher Quarantäne vermehrt Gewalt ausgesetzt. Stern, 02.06.2020. https://www.stern.de/panorama/stern-crime/studie--fraue ... 04.html
- Studie: Häusliche Gewalt steigt in Quarantäne. Süddeutsche, 02.06.2020. https://www.sueddeutsche.de/wissen/wissenschaft-studie- ... -273395
- Studie: Häusliche Gewalt steigt in Quarantäne. t-online, 02.06.2020. https://www.t-online.de/region/id_87983512/studie-haeus ... ne.html
- Studie: Häusliche Gewalt steigt in Quarantäne. Welt, 02.06.2020. https://www.welt.de/regionales/bayern/article208754211/ ... ne.html
- Studie: Häusliche Gewalt nimmt in Quarantäne und finanzieller Not zu. Westdeutsche Zeitung, 02.06.2020. https://www.wz.de/panorama/haeusliche-gewalt-nimmt-in-q ... 1439827
- Viel Gewalt während des Lockdown. taz, 02.06.2020. https://taz.de/Studie-zu-Auswirkungen-der-Coronakrise/!5690324/
- Corona-Krise führt zu mehr häuslicher Gewalt. ZDF, 02.06.2020. https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-gewalt-gegen-frauen-100.html