Samstag, 23. Mai 2020

#DontBelieveAllWomen! Das neue feministische Hashtag


Kenner der Geschlechterdebatte werden vermutlich beim Lesen des Titels die Stirn runzeln und das starke Gefühl haben, hier stimmt irgendetwas nicht. Nun ja, dieses Hashtag existiert noch nicht, es drückt aber aus, was man - ebenfalls stirnrunzelnd - in führenden feministischen Outlets lesen kann. Diese beschäftigen sich, getriggert durch die aktuelle Affäre um Tara Reade, die Joe Biden sexueller Übergriffe beschuldigt, mit der Frage, ob die bekannten Hashtags #BelieveAllWomen und #BelieveWomen das gleiche bedeuten, nämlich daß man allen Frauen glauben soll. Diese Lesart, die implizit auch der MeToo-Kampagne zugrunde liegt, wird neuerdings strikt verneint. Mit anderen Worten gilt die Aussage "glaube allen Frauen" nicht, also - tertium non datur - gilt ihre Negation, und die ist "Glaube nicht allen Frauen".

Beweis: Susan Faludi schreibt in der New York Times, einer autoritativen Quelle für die feministische Ideologie:

This is why "Believe All Women" is not an amplification of "Believe Women," but its negation. [sic!]
und weiter:
... the preferred hashtag of the #MeToo movement is #BelieveWomen. It's different without the "all."

q.e.d.
Wenn Sie jetzt trotzdem immer noch Zweifel am Hashtag #DontBelieveAllWomen haben, ist das völlig in Ordnung. Erstens ist eine negative Aussage über Frauen politisch undenkbar, zweitens enthält die obige Argumentation einen versteckten Argumentationsfehler, der aber beim ersten Lesen nicht auffällt. Die Einleitung diente auch nur dazu, Sie als Leser mit Susan Faludi bekannt zu machen und zu motivieren, ihren Text auf versteckte Argumentationsfehler zu durchleuchten. Spoiler: ja, er enthält reichlich davon. Und: Vorsicht, Sie haben es mit einem professionellen Meinungsmanipulator zu tun.

Ähnliche Argumentationen und Fehler findet man z.B. auch bei Monica Hesse: Sie redet von three new letters, die in #BelieveWomen nachträglich (!) von reactionaries eingefügt wurden, womit der Sinn des Hashtags rückwirkend verändert wurde ("its original meaning is being retroactively altered"). Der ursprüngliche Sinn ist nach Hesse "a reminder, not an absolute rule", und sie hat immer gedacht

"Believe women" meant: "Treat women seriously, and don't automatically just believe the man."
Daß "Believe women" auch eine Aussage über Männer und deren exorbitante Glaubwürdigkeit (die frei erfunden und kontrafaktisch erscheint) beinhaltet, überrascht nun doch und deutet auf eine fixe Idee der Verfasserin hin.

"Glauben" bedeutet gemeinhin, Aussagen als wahr zu akzeptieren, ohne eine Begründung zu verlangen oder sie zu hinterfragen. "Ernst nehmen" kann bzw. sollte man auch einen Debattengegner, dem man kein Wort glaubt. Glauben und ernst nehmen bedeuten etwas sehr verschiedenes. Hesse versucht hier, mit einer heimlichen Begriffsverschiebung zu argumentieren. Wenn hier überhaupt jemand den Sinn des Hashtags rückwirkend verändert und Geschichtsklitterei betreibt, dann am ehesten sie selber.

Daß man Tara Reade nicht für besonders glaubwürdig hält, macht auch ein Text von Michelle Goldberg in der New York Times sehr deutlich. Den Vorwurf, Feministinnen würden im Gegensatz zu #Believe[All]Women in Wirklichkeit nicht allen Frauen glauben, kontert Goldberg mit der Feststellung, das sei nur ein durchtriebener Schachzug, mit dem man Feministinnen dazu zwingen will, ihre Ideale zu verraten und eine Gewißheit vorzutäuschen, die man gar nicht haben müsse ("... hector feminists into pretending to a certainty they have no reason to feel."). Der Vorwurf, Doppelstandards zu haben, diene nur dazu, die MeToo-Bewegung zu trollen. Grund genug für Goldberg, sich inhaltlich nicht weiter damit zu befassen.

Befehl und Gehorsam

Das zentrale Defizit des Faludi-Texts (und analog dem von Hesse), besteht darin, komplett am Thema vorbeizugehen. Der Text arbeitet sich lang und breit daran ab, wer welches Hashtag mit welcher Intention wie oft benutzt hat und was die Aufforderung "Believe Women!" semantisch bedeutet (die vielen Fehler dabei werden von Traldi sehr gründlich analysiert).

Der eigentliche Vorwurf in der aktuellen Debatte um feministische Doppelstandards ist aber, es tatsächlich getan zu haben, also tatsächlich massenhaft Frauen, die Männer angeklagt haben und die ggf. sogar anonym blieben, blind geglaubt und dementsprechend gehandelt zu haben und ein paar dabei unschuldig ruinierte Leben von Männer billigend als Kollateralschaden inkauf genommen zu haben. Der Befehl in #BelieveWomen wurde als #BelieveAllWomen verstanden und gehorsam befolgt.

Der Vorwurf des Doppelstandards bezieht sich auf das tatsächliche Handeln und indirekt natürlich auch auf die Appelle, so zu handeln. Es kommt daher nicht alleine darauf an, wie #BelieveWomen von manchen Feministinnen gemeint war, sondern wie es verstanden und befolgt wurde (und was damit angerichtet wurde: Femegerichte an amerikanischen Universitäten, eine Frauenministerin Schwesig, die im TeamGinaLisa Druck auf Gerichte ausübt, einer Falschbeschuldigerin blind zu glauben usw.usw.).

Ganz zufälligerweise geht Faludi überhaupt nicht darauf ein, wie die Aufforderung "Believe Women!" verstanden und gehorsam befolgt wurde. Ihr ganzer Text ist eine Ansammlung von Ausweichmanövern um diesen eigentlichen Vorwurf.

Fragen an Faludi

Kurioserweise findet man in Faludis Text auch keinen Versuch zu definieren, was #BelieveWomen denn nun konkret bedeutet (wir erfahren nur, was es nicht bedeutet). Wenn man nicht immer allen Frauen glauben soll, stellt sich die Frage, welchen Frauen man wann glauben soll. Fast allen Frauen? Nur den Blonden? Nur Feministinnen? Der Eindruck, mit "Women" seien bestimmte Frauen nicht mitgemeint, ist nicht ganz neu, er veranlaßte schon vor einiger Zeit die Satireseite Babylon Bee zu einem bissigen Kommentar.

Selbst wenn man Faludi abnimmt, sie und andere Feministinnen hätten nicht "alle Frauen" gemeint, bleiben ein paar Fragen offen:

  • Wie kommt es passieren, daß ein Hersteller ein Geschäft wittert, wenn er Anstecker mit dem Text BELIEVE ALL WOMEN herstellt und verkauft? Wie kann man Dutzende weitere Beispiele erklären, wo Feministinnen, Journalisten und normale Menschen das alles so falsch verstanden haben?
  • Sind feministische Autorinnen wie Bari Weiss, die schon vor Jahren den Appell "Believe All Women" kritisierten, ihn also auch benutzten, jetzt auch Rechtsradikale?
  • Warum ist man nicht eingeschritten, als unübersehbar wurde, daß der Appell dermaßen falsch verstanden wurde? Spätestens nach den ersten Selbstmorden, die von den feministischen Mobs verursacht wurden (im Rahmen der MeToo-Kampagne, die "believe all women" real gnadenlos praktiziert hat), hätten doch die Alarmglocken klingeln müssen.
  • Wenn "women" nicht "all women" bedeutet, sondern "some women", wie hat man das fast identische Hashtag bzw. die Kampagne #BelieveSurvivors (mit alternativen Bezeichnungen wie #IBelieveSurvivors und #WeBelieveSurvivors) zu verstehen? Ist das etwas anderes als #BelieveAllSurvivors? Muß man nicht allen "Überlebenden" glauben bzw. sie ernst nehmen? Das war zumindest bisher ein feministisches Dogma. Die Kampagnen #BelieveSurvivors und #BelieveWomen liefen während des Kavanaugh-Prozesses fast synchron, d.h. sie waren in dem Zeitraum praktisch bedeutungsgleich. (Ähnliche Fragen stellen sich bei Kampagnen wie #QuestionsForMen oder #ToTheGirls, wo auch das "all" fehlt, aber eigentlich alle gemeint sind.)
Zusammengefaßt sind Faludis semantische Spitzfindigkeiten und andere Argumentationen völlig inkonsistent mit klassischen feministischen Standpunkten und Handlungen.

#BelieveWomen bedeutet #DontBelieveMen

Nun könnte man sagen, Faludi, Hesse und andere leben in den USA, die sind weit weg, und die New York Times ist eine feministische Kampfpostille, also nicht ernst zu nehmen. Das verkennt, daß #BelieveWomen ein Frontalangriff auf den Rechtsstaat und die Demokratie und Teil einer langfristigen Strategie ist, und zwar seit Jahren und auch hier bei uns.

Wenn Faludi sagt, mit "Women" seien nicht alle Frauen gemeint, dann hat sie durchaus recht. Ein Hashtag wird i.d.R. in bestimmten Kontexten benutzt und bezieht sich dann auf konkrete Personen oder abgegrenzte Personengruppen. #BelieveWomen wird vor allem in Kontexten benutzt, wo eine Frau einen Mann anklagt und Aussage gegen Aussage steht. #BelieveWomen verlangt, der Frau blind zu glauben und dem Mann nichts zu glauben. Es verlangt, zwei Arten von Menschen zu unterscheiden, moralisch hochstehende, die nie lügen, und moralisch minderwertige. Als Konsequenz braucht man auch keine fairen Prozesse, Täter und Opfer stehen vorher fest. Deswegen ist #BelieveWomen untrennbar verbunden mit der klassischen feministischen Ablehnung der Rechtsstaatlichkeit.

Feministische Aktivisten hätten auch gerne, daß man ihre ständige Denunziation von Männern unhinterfragt glaubt. #BelieveWomen bezieht sich interessanterweise sozusagen rekursiv auf sich selbst. Es steht für einen antidemokratischen Debattenstil, in dem nicht mehr Sachargumente die Hauptrolle spielen, sondern die moralische Herabsetzung des Meinungsgegners, den man an seinen Genitalien erkennt.

Das alles weiß Frau Faludi natürlich, und es geht in ihrem Text nicht nur um die Doppelzüngigkeit, die im konkreten Fall Joe Biden unübersehbar ist, sondern auch darum, die Verfassungsfeindlichkeit des #BelieveWomen-Konzepts als solchem vor Kritik zu schützen. Sie benutzt dafür eine inzwischen schon fast klassische feministische Argumentationsstrategie, die als motte and bailey bezeichnet wird. Das eigentliche Ziel der #BelieveWomen-Kampagne ist, die Hierarchie von höherwertigen und minderwertigen Menschen argumentativ durchzusetzen und die Machtpositionen professioneller Feministinnen zu sichern bzw. auszubauen. Diese Ziele kann man schlecht offen formulieren und argumentativ verteidigen. Also wird das Wort "Frauen" zu einem diffusen "manche Frauen" umdefiniert und das implizite #DontBelieveMen hinter einem Nebel von Unklarheiten versteckt. Die Aussage des Hashtags wird auf diese Weise so trivialisiert, daß man ihr kaum noch ernsthaft widersprechen kann. Sobald die Debatte auf Basis der entkernten Bedeutung gewonnen und das Hashtag als unhinterfragbares Allgemeinwissen etabliert ist, kann man die Aussage wieder in der schärferen Bedeutung interpretieren und politisch verwerten.

Fazit

#DontBelieveFeminists, vor allem, wenn sie in der New York Times publizieren dürfen.

Quellen