Montag, 18. Mai 2020

Grüne Gleichberechtigung und der Opferstatus von Frauen


Feministische Kreise unternehmen zur Zeit erhebliche Anstrengungen, den Opferstatus von Frauen zu verstärken, da dieser durch die Corona-Krise und die so entstandene Opferstatuskonkurrenz bedroht wird. Die Männerwelten-Aktion vor einigen Tagen ist ein Beispiel dafür. Ein weiteres aktuelles Beispiel sind Forderungen der Grünen, das Kurzarbeitergeld für Frauen zu erhöhen, weil Frauen durch diese Leistungen besonders "schlechtergestellt" werden bzw. ihnen eine "Katastrophe" droht. Näheres Hinsehen zeigt, daß die Katastrophenthese auf völlig hanebüchenen Argumenten basiert, daß die Grünen dabei mehrere ihnen ansonsten heilige Prinzipien aufgeben und mit deren Gegenteil argumentieren und daß es materiell nur darum geht, ihrer Klientel geldwerte Vorteile zu verschaffen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt äußert sich zur Sache wie folgt:
Die Frauen werden die großen Verliererinnen [der Covid-90-Pandemie] sein, wenn wir jetzt nicht gegensteuern und die richtige Abbiegung am Weg nehmen. Schon jetzt sind Frauen in verschiedener Hinsicht Verliererinnen: .... Kurzarbeit erweist sich jetzt als strukturelle Katastrophe für Frauen, denn das Kurzarbeitergeld wird nach dem Netto berechnet. Die Steuerklasse 5 schlägt jetzt voll rein: Wer 2000 Euro verdient und vorübergehend nicht mehr arbeiten darf, bekommt teilweise 260 Euro weniger im Monat als der Kollege in Steuerklasse 3. Diese finanzielle Schlechterstellung muss schleunigst behoben werden.
Die These, das Kurzarbeitergeld bei Steuerklasse 5 sei eine "strukturelle Katastrophe" (was auch immer das genau ist, der Philosoph Harry Frankfurt könnte eventuell helfen) und eine "Schlechterstellung von Frauen" ist völlig absurd - auf die Absurditäten gehen wir weiter unten ein.

Die Forderung, Frauen mit Steuerklasse V beim Kurzarbeitergeld aufgrund des Geschlechts zu bevorzugen, ist offensichtlich wieder einmal grundgesetzwidrig, aber bei den Grünen ist das wegen des Frauenstatuts, das Frauen systematisch in demokratischen Prozessen privilegiert, tägliche Praxis und fällt niemandem auf. Eine geschlechtsneutrale Formulierung, bei der für alle Personen mit Steuerklasse V das Kurzarbeitergeld erhöht wird, ist kaum mit elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen und angeblich ehernen Prinzipien der Grünen zu vereinbaren. Mehr dazu folgt weiter unten. So oder so ist es - auch wegen der absurden Begründung - schwer vorstellbar, daß die Forderung nach einem Zuschlag zum Kurzarbeitergeld erfüllt wird.

Welche Sinn kann dann die Forderung haben? Ganz einfach: Propaganda. Die Diskrimininierungsthese wird ohne Widerspruch von der FAZ und anderen Medien wiedergegeben, es ist schlicht kostenlose Reklame für die feministische Opferstatuskultur. Wie bei der Waschmittelreklame gilt auch hier: steter Tropfen höhlt den Stein. Aufgrund einer psychologischen Schwäche nehmen Menschen auch falsche Aussagen, wenn sie nur oft genug wiederholt werden, als wahr war.

Ein starkes Indiz für die Propagandathese ist, daß Frau Göring-Eckardt keine geschlechtsneutrale Formulierung wie "Arbeitnehmer mit Steuerklasse V" gewählt hat, obwohl geschlechtsneutrale Formulierungen in feministischen Kreisen sonst ein absolutes Muß sind. Insb. dank der Bemühungen der Grünen sind inzwischen ja vielfach die Frauen in einer Beziehung die Hauptverdiener, d.h. es gibt auch viele Männer mit Steuerklasse V, die genauso von der "Katastrophe" betroffen sind. Die Männer mitzuerwähnen oder eine geschlechtsneutrale Formulierung zu benutzen hätte aber das Hauptziel, den Opferstatus von Frauen zu beschwören, konterkariert.

Die These von der "strukturellen Katastrophe für Frauen" mit Steuerklasse V durch das Kurzarbeitergeld ist absurd

Eventuell fehlen bei den Grünen Grundkenntnisse über die Steuerklassen und das Kurzarbeitergeld, auf die Gefahr, einige Leser zu langweiligen, seien die wichtigsten Punkte vorab zusammengefaßt.

Ein Paar kann zweimal die Steuerklasse IV oder die Kombination Steuerklasse III + V wählen. Letztere wählt man typischerweise bei einem deutlichen Gehaltsunterschied, also einem Besserverdiener mit Klasse III und einem Schlechterverdiener mit Klasse V, egal wer von beiden der Mann und die Frau ist. Die Steuerlast des Besserverdieners verlagert sich hier teilweise auf den Schlechterverdiener. Die Steuerreduktion beim Besserverdiener ist dabei größer als die Steuererhöhung bei Schlechterverdiener. In der Summe wird daher im laufenden Monat weniger Steuer gezahlt, es bleibt also netto mehr übrig. Das "mehr Netto" ist der eigentliche Grund, die Steuerklassen III + V zu wählen.

Beim späteren Lohnsteuerjahresausgleich kommt eine dementsprechend kleinere Steuerrückzahlung, im Endeffekt besteht danach kein Unterschied zwischen den beiden Steuerklassenkombinationen.

Durch Kurzarbeit reduziert sich der Arbeitszeit und proportional dazu das Bruttogehalt, nach Abzug der Einkommensteuer auch das Nettogehalt. So entsteht ein Verlust an Nettogehalt. Das Kurzarbeitergeld kompensiert diesen Nettogehaltsverlust teilweise. Es beträgt bei Kinderlosen 60% des Nettogehaltverlusts, bei Eltern 67%. Es hängt also linear von diesem Verlust ab.

Wechsel der Steuerklassen

Die simpelste Methode, die erhöhte Steuerbelastung in Steuerklasse V und das folglich kleinere Kurzarbeitergeld zu vermeiden, ist ein Wechsel in Steuerklasse IV! Auf diesen epochalen Einfall kommt man nach 5 Minuten Nachdenken oder etwas Blättern in Steuerratgebern im Internet (hier z.B.).

Der Partner muß dann zwar monatlich mehr Steuern zahlen, dies sind aber nur Abschlagszahlungen auf die Jahressteuer, die unabhängig von der Steuerklassenkombination ist, es ist also keine echte Mehrbelastung. Im Gegensatz dazu wird das Kurzarbeitergeld monatlich endgültig bestimmt und nicht später verrechnet, d.h. die Reduktion des Kurzarbeitergelds in Steuerklasse V ist ein endgültiger Verlust.

Randbemerkung: der Wechsel zu Steuerklasse IV hat ferner den Vorteil, das Problem unerwarteter Steuernachzahlungen beim Lohnsteuerjahresausgleich zu reduzieren. Das Kurzarbeitergeld wird zwar einkommensteuerfrei ausgezahlt, es führt aber über den sog. Progressionsvorbehalt zu einer höheren Steuerlast bei den normalen, steuerpflichtigen Einkünften, die man erst beim Lohnsteuerjahresausgleich genau kennt.

Zusammengefaßt: der Verlust an Kurzarbeitergeld durch Steuerklasse V (im Vergleich zu Steuerklasse IV, der Vergleich mit Steuerklasse III ist unseriös) kann mit geringem, zumutbarem Aufwand vermieden werden. Die von Frau Göring-Eckardt vertretene These von der "strukturellen Katastrophe für Frauen" zeugt allenfalls von völliger Unkenntnis des Steuerrechts.

Deckelung der Besserstellung von Frauen

Bei der von Göring-Eckardt geforderten Privilegierung von Frauen mit Steuerklasse V scheint unterstellt zu sein, daß nur Frauen Opfer von Kurzarbeit sein können, Männer als unterstellte Hauptverdiener hingegen nicht. Diese Annahme ist natürlich falsch, auch der Hauptverdiener kann von Kurzarbeit betroffen sein, wegen der flächendeckenden Lahmlegung der Wirtschaft ist dieser Fall sogar gut denkbar.

Wenn nun beide Ehepartner kurzarbeiten, stellt sich die Frage, wieso es bei der Steuerklassenkombination III und V einen Bonus geben soll, bei der Steuerklassenkombination IV und IV hingegen nicht, und ob dieser Bonus sogar zu einer höheren Gesamtsumme der Kurzarbeitergelder im Vergleich zur Steuerklassenkombination IV und IV führt. Letzteres wäre wiederum in gewisser Weise ungerecht (oder würde zu entsprechenden Wechseln der Steuerklassenkombinationen führen). D.h. der Bonus kann, wenn man die Systematik der Steuerklassen und des Kurzarbeitergeld einigermaßen unbeschadet lassen und keine neuen Ungerechtigkeiten schaffen will, nicht höher sein als die Differenz der Gesamtsummen der Kurzarbeitergelder.

Der Anhang enthält hierzu ein Beispiel, das zeigt, daß wir bei dieser Differenz von mittleren zweistelligen Summen reden. Zur Behebung einer "strukturellen Katastrophe" erscheinen diese Summen nachgerade lächerlich. Es kann sich also kaum um echte Katastrophen handeln, die Frau Göring-Eckardt beschwört, der Begriff Katastrophe ist reine Panikmache.

Widerspruch zum Ehegattensplitting

Das Ehegattensplitting ein Reizthema des Grünen bzw. der feministischen Ideologie. Unter Ehegattensplitting versteht man das Prinzip, ein Ehepaar als steuerliche Einheit zu betrachten, die Einkünfte beider zusammenzuziehen, von dieser Summe mental jedem Ehepartner die Hälfte zuzuordnen und diese Hälfte wie bei einem Single nach Steuerklasse I (bzw. damit identisch Steuerklasse IV) zu versteuern.

Das Ehegattensplitting macht Ehen mit einem Haupt- und einem Zuverdiener praktikabel, bei dem der Zuverdiener die Hauptlast der Haushaltsführung und Erziehung der Kinder, sofern vorhanden, übernimmt. Das Ehegattensplitting wird seit langem von Feministen schärfstens abgelehnt, weil überwiegend die Frau die Rolle des Zuverdieners hat und daher in der feministischen Denkwelt durch eine schlechte Machtposition in der Ehe diskriminiert wird.

Das Ehegattensplitting ist Basis für die Kombination der Steuerklassen III und V (der Transfer der Steuerbelastung geht nicht ohne die Zusammenveranlagung), diese Steuerklassenkombination wird daher ebenfalls üblicherweise strikt abgelehnt.

Die Forderung von Frau Göring-Eckardt, Frauen mit Steuerklasse V zu bevorzugen, belohnt diese eigentlich verteufelte Steuerklassenkombination aber zusätzlich! Auch wenn diese Förderung ggf. nur vorübergehend ist und nur Kurzarbeiter betrifft, ist sie argumentativ ein diametraler Widerspruch zu jahrelangen Forderungen nach Abschaffung des Ehegattensplittings.

Offenbar spielen Argumente plötzlich keine Rolle mehr, sobald sie bei der Forderung nach Privilegien für Frauen stören.

Die geplante tatsächliche Ungleichberechtigung von Männern

Ein Zuschlag zum Kurzarbeitergeld nur für Frauen, wie von Frau Göring-Eckardt gefordert, würde eklatant gegen die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und das Grundgesetz verstoßen und hat praktisch keine Chancen, Gesetz zu werden.

Wenn überhaupt kommt also nur ein Zuschlag zum Kurzarbeitergeld auf Basis der Steuerklasse oder der Höhe des Kurzarbeitergelds infrage. In diesem Fall würden vermutlich weit überwiegend Frauen von dem Zuschlag profitieren. Diese Annahme dürfte auch hinter der oben schon diskutierten, überraschenderweise nicht geschlechtsneutralen Formulierung stecken. Diese Formulierung kann man auch als Absicht interpretieren, daß weit überwiegend Frauen von dem Zuschlag profitieren sollen, dies folgt direkt aus ihrem Opferstatus, der im gleichen Atemzug beschworen wird.

Obwohl ein entsprechendes Gesetz geschlechtsneutral formuliert wäre, ist die Absicht dahinter, daß es sich in der Praxis nicht geschlechtsneutral auswirkt. Dies verstößt direkt gegen die von Grünen und anderen feministischen Akteuren immer wieder vehement geforderte tatsächliche Gleichberechtigung, die teilweise auch als "Gleichstellungsgebot" bezeichnet wird. Hierunter wird verstanden, daß Frauen und Männer nach diversen sozialen Metriken als Kollektive gleichgestellt werden, z.B. gleich viele Aufsichtsratsposten, Professuren oder Sitze im Bundestag bekommen. Die diversen Frauenquotengesetze sind direkte Folge des Leitprinzips der "tatsächlichen Gleichberechtigung".

Auch hier ist man erstaunt über den plötzlichen Gedächtnisverlust bzw. über die Willkürlichkeit, wie Gerechtigkeitsbegriffe, die angeblich grundlegend für eine Demokratie sind, zur Disposition gestellt werden. An die hier beabsichtigte "tatsächliche Ungleichberechtigung" von Männern wird man die Grünen bei Gelegenheit erinnern dürfen.

Als solcher ist der Begriff "tatsächliche Gleichberechtigung" ein Kampfbegriff, der nicht im Grundgesetz vorkommt und nur durch eine dreiste Änderung der Passage "tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung" in Art. 3 GG entsteht. Verhindern kann man also die tatsächliche Ungleichberechtigung von Männern nicht, wenn die Grünen sich mit ihren Plänen durchsetzen.

Fazit

Wir sind hier Zeuge eines dreisten Versuchs, mit völlig hanebüchenen Argumenten den Opferstatus von Frauen zu verbessern, indem eine "strukturelle Katastrophe" ausgerufen wird. Bei näherem Hinsehen erweist sich die Katastrophe als leicht vermeidbar und die Panikmache als Bluff. Materiell betrachtet ist offensichtlich die Hauptintention, Frauen Vorteile zuzuschanzen. Argumentativ werden dabei eherne moralischer Grundsätze vergessen und das Gegenteil jahrzehntealter Forderungen gefordert, man reibt sich nur noch die Augen bei so viel Prinzipienlosigkeit.

Quellen

Anhang: Beispiele für Summen von Kurzarbeitergeldern

Beispiel:
  • Besserverdiener: 4000 Euro Bruttoeinkommen
  • Schlechterverdiener: 2000 Euro Bruttoeinkommen
  • keine Kinder
Gemäß der Tabelle zur Berechnung des Kurzarbeitergelds (Kug) der Bundesagentur für Arbeit beträgt das Kug
  • bei 4000 Euro / Steuerklasse IV: 1665.76 Euro
    bei 2000 Euro / Steuerklasse IV: 949.13 Euro
    zusammen also: 2614.89 Euro
  • bei 4000 Euro / Steuerklasse III: 1882.47 Euro
    bei 2000 Euro / Steuerklasse V: 782.55 Euro
    zusammen also: 2665.02 Euro
  • Nachteil bei Steuerklassenkombination IV und IV: 50.13 Euro
Die Summen entsprechen 100 % Lohnausfall, bei einem teilweisen Lohnausfall sinkt das Kug proportional.