Dienstag, 21. Juli 2020

Zur Interpretation von Artikel 3 GG (Gemeinsame Verfassungskommission: starre Frauenquoten sind unzulässig)


Auf Laien wirkt die Juristerei oft wie schwarze Magie, weil aus scheinbar eindeutigen juristischen Texten genau das Gegenteil dessen abgeleitet wird, was man mit gesundem Menschenverstand dort liest. Ein Musterbeispiel ist Artikel 3 GG, der die rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen fordert und aus dem abgeleitet wird, Männer in Dutzenden Gesetzen rechtlich zu diskriminieren und eine gigantische Gleichstellungsindustrie staatlich zu finanzieren, die einseitig Frauen beim Kampf gegen "die Männer" unterstützt. Das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zur Nichtigkeit des Paritätsgesetzes hat kürzlich zumindest eine weitere Pervertierung des Inhalts von Art. 3 GG verhindert.

Von der sehr ausführlichen Begründung des Urteils sind insb. die Teile lesenswert, sich mit dem Sinn und Wesensgehalt der Bestimmungen zur Gleichberechtigung im Grundgesetz und in der Thüringer Verfassung befassen. Methodisch bemerkenswert ist hier, daß das Urteil in zentralen Punkten auf die Entstehungsgeschichte der Thüringer Verfassung Bezug nimmt - man könnte sich etliche Debatten sparen, wenn man dies auch bei der Interpretation von Art 3 GG befolgen würde.

Gesetzestexte arbeiten mehr oder weniger zwangsläufig mit dehnbaren Begriffen, die schon zum Zeitpunkt der Formulierung der Gesetze unterschiedlich interpretiert wurden oder sogar Gegenstand von Begriffskriegen waren. Welche Bedeutungen gemeint oder auch explizit nicht gemeint waren, ergibt sich z.T. aus den Protokollen und Berichten der Kommissionen, die die Gesetzestexte entworfen haben. Das Thüringer Urteil hat die Bedeutung derartiger Protokolle bzw. Kommissionsberichte sehr deutlich gemacht.

In diesem Sinne scheint es notwendig, auf die scheinbar in Vergessenheit geratenen Debatten in der Gemeinsamen Verfassungskommission hinzuweisen. Diese Kommission hat die bis heute hochumstrittene Formulierung in Artikel 3 Abs. 2 GG "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." vorgeschlagen. Im Bericht der Kommission behandelt der Abschnitt 3.1, 1.Teil, den Artikel 3 Abs. 2 GG. Dieser Teil ist unten vollständig mit einigen farblichen Hervorhebungen wiedergegeben. Mehrere Aussagen, wie der neue Artikel 3 Abs. 2 GG zu verstehen ist, lassen an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig:

  • Direkte Interpretationshinweise aus Abschnitt IV. Begründung:
    Die neue Verfassungsbestimmung soll auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene eine sachgerechte Förderungspolitik zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung bewirken. Es bestand Übereinstimmung darüber, daß diese Bestimmung eine Frauenförderung in Gestalt sog. starrer Quoten nicht gestattet.
    Sinn der Neuregelung sei es, die Wirksamkeit des Grundrechts der Gleichberechtigung der Geschlechter zu stärken, nicht aber dieses Grundrecht einzuschränken.
    Eine vom Nachteil losgelöste Kompensation durch einen mit der konkreten Benachteiligung sachlich nicht verbundenen Vorteil soll hingegen nicht zulässig sein.
  • Abgelehnt wurde folgender Änderungsantrag der SPD:
    "Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat gewährleistet die Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen."
    Als Begründung wird ausgeführt:
    Es könne nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, daß der Staat in alle Bereiche einwirken dürfe oder gar müsse. Darüber hinaus sei der Staat keinesfalls in der Lage, dies verbindlich für alle Lebensbereiche zu "gewährleisten", da er dann in die Freiheitsrechte anderer Bürger eingreifen würde. Es wäre eine Form sachlich ungerechtfertigten Dirigismus, wenn der Staat festlegen würde, daß in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Anteil von 50 v. H. Frauen vorhanden sein müßte.
  • Abgelehnt wurde auch die Verwendung des Kampfbegriffs Teilhabe, den die CDU-Frauenunion ins Spiel bringen wollte:
    Der Begriff der Teilhabe entstamme den sozialen Grundrechten, also einem Bereich, der die volle unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte einfordere. Eine solche Drittwirkung könne aber vom Staat nicht garantiert werden, da wiederum auf alle gesellschaftlichen Lebensbereiche eingewirkt werden müsse.
Die Begründung der Änderung in Artikel 3 GG ist zur Gänze lesenswert. In gewisser Weise ist dieser Bericht ein Zeitdokument, dies betrifft insb. den universellen Opferstatus der Frauen, den schon damals die feministischen Parteien als Realistätswahrnehmung durchsetzen und zum dogmatischen Ausgangspunkt aller Überlegungen machen wollten. Rund drei Jahrzehnte Frauenförderung und -Privilegierung haben zu einer Bildungskatastrophe bei Jungen und zahllosen unfairen Behandlungen von Männern mit willkürlichen "Gleich"stellungsmaßnahmen geführt, während sich die geförderten Frauen partout nicht von ihren beruflichen und privaten Präferenzen, die für professionelle Feministinnen nicht akzeptabel sind, abbringen lassen.

Ob und inwieweit die Grundannahmen der damaligen Debatten hinsichtlich der universellen Benachteiligung von Frauen heute noch vertretbar sind, ist daher fraglich, aber ein separates Thema. Festhalten kann man, daß selbst bei den damaligen, offenbar von den 1950er bis 1980er Jahren geprägten Annahmen z.B. starre Frauenquoten als eindeutig nicht verfassungsgemäß angesehen wurden.



Auszug aus dem Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 12/6000


I. Empfehlung
II. Problemstellung
III. Verfahrensablauf
IV. Begründung

3.1. Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen und Männern

1. Teil - Artikel 3 Abs. 2 GG

I. Empfehlung

An Artikel 3 Abs. 2 GG wird folgender Satz 2 angefügt:
"Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."

II. Problemstellung

Bei der Schaffung des Grundgesetzes ist der allgemeine Gleichheitssatz in Artikel 3 Abs. 1 GG durch Artikel 3 Abs. 2 GG ergänzt worden, der ausdrücklich darauf hinweist, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Gegenüber der Weimarer Reichsverfassung, in der nur festgehalten war, daß Männer und Frauen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten haben, bedeutete dies eine wichtige Verbesserung. Der Lebenswirklichkeit im Nachkriegsdeutschland entsprechend, in dem Männer und Frauen auf vielen Gebieten nicht rechtlich gleichbehandelt wurden, wurde Artikel 3 Abs. 2 GG anfangs nur im Sinne einer Gleichheit vor dem Gesetz verstanden. Erst in jüngerer Zeit hat das Bundesverfassungsgericht auch auf eine weitergehende Bedeutung des Artikel 3 Abs. 2 GG hingewiesen. Hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 28. Januar 1987 (BVerfGE 74, 163, 179 f.) noch offengelassen, "ob und inwieweit der Gesetzgeber aus Artikel 3 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet sein könnte, die Voraussetzungen für eine faktische Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen zu schaffen, ..." so führte es in seinem Urteil vom 28. Januar 1992 (BVerfGE 85, 191, 207) aus: "Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, dürfen wegen des Gleichberechtigungsgebots des Artikel 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden." Die Urteile der Fachgerichte hingegen verfolgen keine einheitliche Richtung. Die Garantie allein normativer Gleichheit kann naturgemäß keine solche faktische Gleichberechtigung bewirken, vielmehr sind auch heute noch Benachteiligungen von Frauen festzustellen. Eine Unterrepräsentanz von Frauen in verantwortungsvollen und einflußreichen Positionen zeigt sich sowohl im privatwirtschaftlichen als auch im öffentlichen Bereich. Wie in dem Bericht der Bundesregierung über die Berufung von Frauen in Gremien, Ämter und Funktionen, auf deren Besetzung die Bundesregierung Einfluß hat (BT-Drucksache 12/594), dargestellt wird, beträgt der durchschnittliche Frauenanteil in den untersuchten Gremien nur 7,2 v. H. In 53,2 v. H. der überprüften Gremien wirkte zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Frau mit. Auch von den Schwierigkeiten, Berufs- und Familienaufgaben miteinander zu vereinbaren, sind in erster Linie Frauen betroffen. Daraus resultierend verfügen sie im Alter wegen der durch Erziehungszeiten unterbrochenen Erwerbstätigkeit häufig nur über geminderte oder abgeleitete Renten.

III. Verfahrensablauf

Die Diskussionen über die Ergänzung des Gleichberechtigungssatzes in Artikel 3 Abs. 2 GG nahmen breiten Raum in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission ein. Auch in der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates sind die Themen mit spezifischer Frauenrelevanz eingehend erörtert worden.

Wenn das Thema der Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch in Artikel 5 des Einigungsvertrages nicht ausdrücklich erwähnt ist, so gehört es doch im Zusammenhang mit den Erörterungen zur Aufnahme von Staatszielen zu den originären Beratungsgegenständen der Gemeinsamen Verfassungskommission. Darüber hinaus ist die Befassung mit diesem Thema auch in Artikel 31 Abs. 1 des Einigungsvertrages angelegt, da es danach Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers ist, die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen weiter zu entwickeln.

Die Gemeinsame Verfassungskommission hat über die Frage der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in ihrer 12. Sitzung am 24. September 1992 erstmals beraten. Am 5. November 1992 wurde die 5. Öffentliche Anhörung durchgeführt. Gegenstand dieser Anhörung war indes noch nicht die empfohlene Formulierung. Vielmehr wurden die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Vorstellungen der in der Gemeinsamen Verfassungskommission vertretenen Parteien einer kritischen Überprüfung unterzogen. Die vorgeschlagene Ergänzung des Artikel 3 Abs. 2 GG ist in zahlreichen Berichterstattergesprächen entwickelt worden. Bei der Abstimmung in der 23. Sitzung am 27. Mai 1993 wurde diese Formulierung bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung mit großer Mehrheit angenommen. In der gleichen Sitzung wurde der Antrag der PDS/LL zur Neufassung des Artikel 3 GG (Kommissionsdrucksache Nr. 20) bei 2 Ja-Stimmen mit großer Mehrheit abgelehnt.

IV. Begründung

Ziel dieser Änderung ist es, dem bereits bestehenden Grundsatz des Grundgesetzes, "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", zur stärkeren Durchsetzung in der Lebenswirklichkeit zu verhelfen. Durch die Ergänzung des Artikel 3 Abs. 2 GG wird ein Staatsziel normiert, durch das die zuständigen staatlichen Organe angehalten werden, Maßnahmen zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung zu ergreifen. Dabei geht es nicht nur darum, Rechtsnormen zu beseitigen, die Vor- oder Nachteile an die Geschlechtszugehörigkeit knüpfen, sondern darum, die Lebensverhältnisse von Männern und Frauen auch real anzugleichen. Es handelt sich insoweit weniger um den Versuch der Lösung eines rechtlichen als eines gesellschaftlichen Problems. Die positive Formulierung "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung" soll gegenüber anderen, schwächeren Formulierungen einen verbindlichen Auftrag deutlich machen und klarstellen, daß es darum geht, eine faktische Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern zu erreichen. Dabei wird durch die Formulierung als Staatsziel deutlich, daß kein Individualanspruch auf ein bestimmtes staatliches Handeln eingeräumt werden soll. Die Wortwahl "Beseitigung bestehender Nachteile" weist darüber hinaus darauf hin, daß Benachteiligungssituationen vorhanden sind, die beseitigt werden sollen.

Die neue Verfassungsbestimmung soll auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene eine sachgerechte Förderungspolitik zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung bewirken. Es bestand Übereinstimmung darüber, daß diese Bestimmung eine Frauenförderung in Gestalt sog. starrer Quoten nicht gestattet. Im übrigen gingen die Auffassungen auseinander:

So ist teilweise darauf hingewiesen worden, sinnvolle Förderungsmaßnahmen seien bereits auf Grund der bisherigen Regelung des Artikel 3 Abs. 2 GG zulässig, jedoch ist diese Auslegung nicht unumstritten. Auch nach dieser Ansicht ist eine Klarstellung zur eindeutigen Interpretation des Artikel 3 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch geboten.

Von einer Seite wurde der Überzeugung Ausdruck verliehen, daß das Grundgesetz nunmehr die Zulässigkeit bevorzugender Ungleichbehandlungen zur Förderung von Frauen klarstelle und insbesondere sicherstelle, daß Frauen, die die gleiche Eignung und Befähigung aufweisen wie vergleichbare Männer, bevorzugt behandelt werden dürfen, wenn die Gruppe der Frauen in dem jeweiligen Bereich unterrepräsentiert sei.

Von anderer Seite wurde dies bestritten und hervorgehoben, daß die vorgeschlagene Formulierung nur die Chancengleichheit - die Gleichheit der Ausgangschancen - einräume, aber keine Ergebnisgleichheit vorgebe. Deshalb sei das Wort "Gleichstellung" bewußt vermieden worden. Sinn der Neuregelung sei es, die Wirksamkeit des Grundrechts der Gleichberechtigung der Geschlechter zu stärken, nicht aber dieses Grundrecht einzuschränken.

Es ist auch erörtert worden, folgende Formulierung vorzuschlagen: "Der Staat fördert die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung ..." Diese Formulierungsvariante wurde indes als nicht interessengerecht verworfen. Es biete sich nicht an, in Artikel 3 Abs. 2 GG zwei verschiedene Begriffsvarianten des Wortes "Gleichberechtigung" aufzunehmen. Der Begriff der Gleichberechtigung, der von der Rechtsprechung bereits von der ausschließlich normativen Gleichberechtigung in Richtung einer faktischen Gleichberechtigung (vgl. BVerfGE 74, 163, 179 f und BVerfGE 85, 191, 207) ausgedehnt worden ist, solle nicht tangiert werden. Wenn nunmehr zwei verschiedene Gleichberechtigungsbegriffe (Gleichberechtigung und tatsächliche Gleichberechtigung) in Artikel 3 Abs. 2 GG verankert würden, bestünde die Gefahr, daß Artikel 3 Abs. 2 Satz 1 GG auf die rein normative Gleichberechtigung zurückgeführt würde, sobald man in Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG den Begriff der tatsächlichen Gleichberechtigung aufnähme.

Der zweite Halbsatz beschreibt auch die Aufgabe des Staates, auf die Beseitigung geschlechtsbedingter gesellschaftlicher Nachteile hinzuwirken. Mit dem Auftrag zur Nachteilsbeseitigung wird der Auftrag zur Durchsetzung der Gleichberechtigung weiter verstärkt. Die Beseitigung eines bestehenden Nachteils selbst soll dabei das Ziel des staatlichen Handelns darstellen. Eine vom Nachteil losgelöste Kompensation durch einen mit der konkreten Benachteiligung sachlich nicht verbundenen Vorteil soll hingegen nicht zulässig sein. Der Staat soll vielmehr auf die Beseitigung von Nachteilen hinwirken, also etwa berufliche Nachteile durch berufliche Vorteile ausgleichen. Diesem Ziel würde er nicht gerecht, wenn Kompensationen ermöglicht würden, die mit dem eigentlichen Nachteil nicht in unmittelbarem Zusammenhang stünden.

Von einer Seite wurde die Auffassung vertreten, daß diese Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission auch Vorteile gegenüber anderen vorgeschlagenen Formulierungen aufweise, die explizite Kompensationsklauseln enthielten, da der Handlungsauftrag des Staates konkreter umschrieben werde.

Wegen der Aufnahme einer ausdrücklichen Kompensationsklausel sind Bedenken gegen den Antrag der SPD (Kommissionsdrucksache Nr. 13) erhoben worden, nach dem Artikel 3 Abs. 2 GG wie folgt gefaßt:

"Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat gewährleistet die Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen."
und an Artikel 3 Abs. 3 GG als neuer Satz 2 angefügt werden sollte:
"Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig."
Kritik an diesem Vorschlag wurde auch insoweit geäußert, als damit eine zu weit gehende Formulierung gewählt würde, da diese auf alle gesellschaftlichen Bereiche rekurriere. Es könne nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, daß der Staat in alle Bereiche einwirken dürfe oder gar müsse. Darüber hinaus sei der Staat keinesfalls in der Lage, dies verbindlich für alle Lebensbereiche zu "gewährleisten", da er dann in die Freiheitsrechte anderer Bürger eingreifen würde. Es wäre eine Form sachlich ungerechtfertigten Dirigismus, wenn der Staat festlegen würde, daß in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Anteil von 50 v. H. Frauen vorhanden sein müßte.

Auch die von der CDU-Frauenunion eingebrachte Formulierung sah sich Bedenken ausgesetzt. Dieser Vorschlag sah vor, Artikel 3 Abs. 2 GG folgendermaßen zu ergänzen:

"Aufgabe des Staates ist es, Bedingungen für die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen; Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind zulässig."
Der Begriff der Teilhabe entstamme den sozialen Grundrechten, also einem Bereich, der die volle unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte einfordere. Eine solche Drittwirkung könne aber vom Staat nicht garantiert werden, da wiederum auf alle gesellschaftlichen Lebensbereiche eingewirkt werden müsse. Insoweit standen dieser Formulierung die gleichen Argumente wie dem SPD-Antrag (Kommissionsdrucksache Nr. 13) entgegen.

Im Rahmen der Berichterstattergespräche hat die CDU/CSU folgende Formulierung zur Diskussion gestellt:

"Es ist Aufgabe des Staates, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und Nachteile abzubauen."
Gegen diesen Vorschlag wurde eingewandt, daß eine Interpretation zu dem nicht beabsichtigten Ergebnis führen könne, man habe eine bloße Zuständigkeitsnorm in das Grundgesetz einfügen wollen, nach der Aspekte der Frauenförderung ausschließlich in den Kompetenzbereich des Staates fallen würden. Zudem wurde die Wendung "Nachteile abzubauen" als zu schwach erachtet, da das Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern nicht in genügendem Maße zum Ausdruck käme.

Die in der 23. Sitzung am 27. Mai 1993 verabschiedete Formulierung "Nachteile beseitigen" bringt hingegen sowohl den Weg zur Erreichung des Ziels der Angleichung der Lebensverhältnisse zum Ausdruck, beschreibt darüber hinaus aber das Ziel auch selbst, indem dargelegt wird, daß Nachteile nicht nur abgebaut, sondern beseitigt werden müssen.



Literatur