Samstag, 1. August 2020

Dieter Nuhr, das #DFGgate und die woke Unterwanderung der DFG


Aktuell findet ein Tweet der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ungewöhnlich viel Publikumsresonanz. Die DFG teilt mit, daß sie den Beitrag von Dieter Nuhr von der Kampagnenwebsite http://www.dfg2020.de entfernt hat, und zwar aufgrund von nicht näher spezifizierter Kritik. Mit ihrer Kampagne will die DFG "für eine freie [!!!] und erkenntnisgeleitete Forschung" werben - und zensiert einen Beitrag, der ernsthaft für eine freie und erkenntnisgeleitete Forschung wirbt und der in wenigen Sätzen allgemeinverständlich Karl Poppers Wissenschaftstheorie zusammenfaßt, wonach Wissenschaft ein Prozeß ist, der inkrementell zu neuem und besserem Wissen führt. Man könnte diesen Vorfall nun als Kuriosität und Sturm im Wasserglas abtun. Das unterschätzt mMn. seine Bedeutung völlig, denn die DFG hat hier versehentlich ihre Unterwanderung durch Feministen und soziale Gerechtigkeitskrieger einem breiten Publikum sichtbar gemacht.

In der breiten Öffentlichkeit ist die DFG wenig bekannt, an Universitäten und in Großforschungseinrichtungen dafür umso mehr, da sie mit Abstand der größte deutsche Wissenschaftsförderer ist. Die DFG hat daher eine enorme Macht zu bestimmen, wie und mit welchen ideologischen Auflagen wissenschaftlich geforscht wird. Nun leben wir bekanntlich im Zeitalter der Staatsreligion Feminismus und des Gender Mainstreamings.

Gender Mainstreaming war schon Anfang bis Mitte der 2000er Jahre ein vieldiskutiertes Thema, der Begriff scheint aber seit einiger Zeit fast in Vergessenheit geraten zu sein. Zur Erinnerung: es handelt sich offiziell um eine Strategie, gemäß der bei allem Verwaltungshandeln die unterschiedlichen Interessen von Frauen und Männern berücksichtigt werden müssen. D.h. man geht von einer Realitätswahrnehmung aus, wonach überall ein Geschlechtergegensatz existiert bzw. danach gesucht werden muß und dieser durch Gleichstellungsmaßnahmen bereinigt werden muß. Obwohl geschlechtsneutral formuliert, läuft Gender Mainstreaming in der Praxis auf ausschließliche Frauenförderung hinaus. Die Ebene des Verwaltungshandelns wird deshalb so betont, weil man sich hierdurch unterhalb der Ebene politischer Debatten befindet. Man kann so die ideologische Transformation der Gesellschaft jeglicher demokratischer Konsensfindung entziehen. Wenn in den offiziellen Publikationen zum Gender Mainstreaming also von "Top-Down-Umsetzung" die Rede ist, sind mit "Top" nicht etwa demokratische Institutionen wie Parlamente gemeint, sondern Machtpositionen an der Spitze großer Bürokratien oder der jeweiligen Regierung, die zentrale ideologische Fragen nach Gutsherren- (bzw. frauen-) art entscheiden können.

Die DFG ist eine Bürokratie in diesem Sinne. Sie setzt sich für die Förderung der Chancengleichheit in der Wissenschaft ein, benutzt also den klassischen feministischen und illiberalen Kampfbegriff "Chancengleichheit", der Chancengleichheit - elegant formuliert als "ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter" - und Ergebnisgleichheit gleichsetzt.

Zur Durchsetzung ihrer Ideologie hat sie sich forschungsorientierte Gleichstellungsstandards gesetzt, die vereinfacht gesagt jeden zur Übernahme der feministischen Ideologie verpflichten, der Mittel für Forschungsvorhaben beantragt. Kaum überraschen kann, daß die aktuellen Schwerpunktthemen "1. die Erhöhung des Frauenanteils in der Postdoc-Phase" und "2. der Umgang der Hochschulen mit dem Thema Vielfältigkeit/Diversität" sind. Der zweite Punkt deutet auf eine allgemeine Tendenz hin, daß Gender Mainstreaming inzwischen durch ein Diversity Mainstreaming ersetzt bzw. ergänzt wird.

In der Praxis bedeutet das u.a., daß man bei größeren Anträgen, z.B. für eine Forschergruppe oder einen Sonderforschungsbereich, schlechte Chancen hat bzw. sich den enormen Aufwand für die Beantragung besser spart, wenn man nicht genügend Frauen (oder ggf. Angehörige von Minderheiten mit anerkanntem Opferstatus) unter den Antragstellern hat. In vielen MINT-Fächern findet man aber kaum qualifizierte weibliche Forscher. Dieser Druck führt dazu, in Anträgen notfalls (Quoten-) Frauen mit durchzuschleppen. Ferner haben hierdurch weibliche Forscher einen viel höheren Marktwert als männliche Forscher mit vergleichbaren wissenschaftlichen Leistungen. Dies steigert die Chancen von Frauen auf eine Einstellung bzw. Berufung noch über die üblichen Fördermaßnahmen hinaus, von Chancengleichheit kann inzwischen keine Rede mehr sein.

Langfristig soll und wird sich die feministische bzw. woke Ideologisierung des Forschungsbetriebs über die Absolventen auf die ganze Gesellschaft ausbreiten - wir hinken 5 - 10 Jahre hinter den USA hinterher. Die erschreckenden Zustände dort sind seit Jahren Gegenstand vieler Publikationen und haben gerade in letzter Zeit zu auffälligen ideologischen Säuberungen in den Medien geführt, was aber den Siegeszug dieser Ideologie nicht aufhält.

Von all dem bekommt die deutsche Öffentlichkeit wenig bis nichts mit, zumal viele Journalisten mit hoher Reichweite, namentlich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, diese ideologische Transformation als "Haltung" mittragen.

Nun hat Dieter Nuhr auf Twitter ca. 820.000 Follower. Seine sehr lesenswerte Antwort an die DFG hat aktuell ca. 18.000 Likes (und nur wenige Dislikes) und über 2.000 Kommentare, sie wurde über 8.000 Mal geteilt. Man nennt so etwas auch Streisand-Effekt. Der Kniefall der DFG vor den woken Religionswächtern hat ihr ein #DFGgate beschert, das ihr dubioses Wissenschaftsverständnis öffentlich gemacht hat. Hier besteht die einmalige Chance, genügend öffentliche Wahrnehmung zu generieren, um die Ideologisierung der Forschung durch die DFG endlich zum Gegenstand demokratischer Debatten zu machen.



Nachtrag 01.08.2020, 16 Uhr

Die DFG gibt, soweit ich das überblicke, keine sachlichen Gründe an, warum sie Nuhr gecancelt hat. Hauptargument scheint das Bombardement an Kritik durch Greta- bzw. FFF-Fans zu sein, für die Nuhr zur Unperson geworden ist, weil er in der Vergangenheit wiederholt über den Allwissenheitsanspruch dieser Klimaschützer, Extinction Rebellen und ähnlicher Aktivisten gespottet, ihn also bezweifelt hat. In seinem gecancelten Werbetext erdreistet Nuhr sich sogar, Schlachtrufe wie "Follow the Science" - die genaugenommen nur den Teil der Publikationen meinen, der den Rufenden ideologisch paßt - als fehlgeleitet zu kritisieren.

Im Endeffekt schützt also die DFG die Umweltaktivisten vor eher harmloser Kritik, die in der Wissenschaft selbstverständlich sein sollte. (Schlimm genug, wenn Kabarettisten den Job übernehmen müssen.) Pikant in diesem Zusammenhang ist nun ein offener Brief, den Luisa Neubauer, Greta Thunberg und weitere Umweltaktivisten vor wenigen Tagen veröffentlicht haben. Darin verlangen sie nichts weniger als die völlige Unterwerfung der Politik unter ihre Sicht der Realitäten und die von ihnen präferierten Maßnahmen. Das ist nichts weniger als die Abschaffung der Demokratie und die Einrichtung eines pseudoreligiösen Staats mit Neubauer und Thunberg als obersten Hohepriestern.

Unabhängig davon, wie man in der Sache zu den Klimaproblemen steht, sollte die Forderung nach einer totalitären Diktatur sogar bei der DFG zu etwas Nachdenken führen, ob man solche Personen unterstützen und ihrem Internet-Mob nachgeben will.



Nachtrag 02.08.2020, 17 Uhr

Um auf einige Kommentare zu dem Blogpost einzugehen und um Mißverständnisse zu vermeiden, scheint es sinnvoll, die obige Formulierung "vereinfacht gesagt jeden zur Übernahme der feministischen Ideologie verpflichten" näher zu erläutern. Dies bedeutet natürlich nicht, daß die DFG jeden Antragsteller zu einer Erklärung verpflichtet, ab sofort aktiver Feminist und SJWler zu sein. Diese Verpflichtung wird nur indirekt formuliert, und viele Details bleiben auch offen. Wirksam sind diese Verpflichtungen trotzdem.

Vorweg wäre noch anzumerken, daß die DFG viele verschiedene Fördermöglichkeiten anbietet und, wie jede große Bürokratie, eine Unzahl an Formularen und Merkblättern herausgibt, deren genaueres Verständnis, Gerüchten zufolge, ein 1-semestriges Vollzeitstudium bedingt. Insofern sind pauschale Aussagen über die DFG stets als Aussagen zu wesentlichen Trends zu verstehen, die nicht in jedem Seitenast zutreffen müssen.

Direkte und indirekte Verpflichtungen.
Direkt verpflichten sich Antragsteller nur, die "Regeln guter wissenschaftlicher Praxis" zu beachten. Bei den sehr häufigen sogenannten "Sachbeihilfen" schreiben die Verwendungsrichtlinien (DFG-Vordruck 2.01 - 04/14) dies in Abschnitt 12 vor. Kapitel III erläutert darin breit angelegt und sehr allgemein formuliert, was zu tun und zu lassen ist. Vieles sind Binsenweisheiten (dies ist keine Kritik, so etwas ist wohl unvermeidlich).

Wenn man nun genauer wissen will, was wirklich gemeint ist, wird man z.B. fündig bei der 'Handreichung für die Umsetzung des DFG-Kodex "Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis"' (DFG-Vordruck 80.10 - 08/10). Damit ist man schon fast am Ziel, dem opus magnum der guter wissenschaftlichen Praxis, dem DFG-Kodex "Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis". Dieser Kodex existiert in 2 Abstraktionsstufen, die dritte, detaillierteste Stufe ist in Arbeit. Die beiden ersten Stufen sind von Empfängern von Förderungen "rechtsverbindlich umzusetzen".

Die aktuelle Version von Stufe 2 des Kodex enthält auf 31 Seiten insg. 19 Leitlinien, die alle möglichen Aspekte betreffen. Interessant wird es erst auf S. 10 in Leitlinie 3 "Organisationsverantwortung der Leitung wissenschaftlicher Einrichtungen". Danach gehören zu den Rahmenbedingungen für wissenschaftliches Arbeiten, die von Mittelempfängern sicherzustellen sind,

klare und schriftlich festgelegte Verfahren und Grundsätze ..... für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Chancengleichheit.
Auf S.11 wird noch genauer erläutert:
Im Rahmen der Personalauswahl und der Personalentwicklung werden die Gleichstellung der Geschlechter und die Vielfältigkeit ("Diversity") berücksichtigt. Die entsprechenden Prozesse sind transparent und vermeiden weitestmöglich nicht wissentliche Einflüsse ("unconscious bias").
Offensichtlich werden hier altbekannte feministische Kampfbegriffe übernommen.

Da die DFG kein Gesetzgeber ist, kann "Gleichstellung der Geschlechter" nicht als Umschreibung der rechtlichen Gleichstellung, also Gleichberechtigung, im Sinne von Art. 3 GG verstanden werden. Stattdessen kann hier nur die Gleichstellung von Kollektiven gemeint sein, also ein hochumstrittenes ideologisches Ziel. Die DFG verpflichtet Mittelempfänger somit rechtsverbindlich zur Durchsetzung dieses ideologischen Ziels und in diesem Sinne zur Übernahme der feministischen Ideologie.


Der wissenschaftliche Relativismus der DFG.
Wäre die DFG nur an wissenschaftlicher Erkenntnis interessiert, dürfte bei der Auswahl von Personal nur dessen wissenschaftliche Exzellenz eine Rolle spielen. Ebenso dürfte bei der Bewertung und Auswahl zu fördernder Projekte nur deren wissenschaftlicher Wert, die Qualität des Forschungsdesigns etc. eine Rolle spielen. Keine Rolle dürften die Hautfarbe, das Geschlecht, der Zustand der Zähne und Kopfbehaarung oder andere körperliche Merkmale der Bewerber für Stellen und der Antragsteller spielen.

Die rechtsverbindliche Verpflichtung, diverses Personal einzusetzen, negiert dieses reine Interesse an wissenschaftlicher Erkenntnis, sofern man nicht unterstellt, daß Personen abhängig von ihren biologischen Merkmalen zu speziellen Erkenntnissen fähig sind. Damit wird implizit ein wissenschaftlicher Relativismus übernommen. Der wissenschaftliche Relativismus bestreitet im Prinzip die Existenz von allgemeingültigem Wissen, damit negiert er Wissenschaft als solche: Wenn bestimmtes Wissen nur von Personen mit bestimmten Körpermerkmalen gewonnen und verstanden werden kann, bedeutet das umgekehrt, daß Personen mit andere Körpermerkmalen es prinzipiell nicht verstehen oder gewinnen können. Dies ist der alte Streit, ob es so etwas wie "objektives Wissen" gibt. Die DFG nimmt hier den Standpunkt der Wissenschaftsleugner ein.


Die implizite feministische Standpunkttheorie.
Die schon oben erwähnte einseitige Frauenförderung ist in diesem Kontext interpretierbar als Unterstellung, daß Frauen andere, bessere Erkenntnisse gewinnen als die Männer, die sie ersetzen. Dies ist das Hauptargument der feministischen Standpunkttheorie, wonach Frauen als unterdrückte, marginalisierte Klasse zu besseren Erkenntnissen fähig sind als patriarchale Männer, die nur darauf aus sind, ihre Privilegien zu verteidigen.

Quellen