Im Rahmen des Freudentaumels über die Inthronisation von Joe
Biden als POTUS scheint bisher übersehen worden zu sein, daß
er nur Stunden später und noch
am Tag 1 erste
Wahlversprechen umsetzte, die weitreichende Auswirkungen
haben dürften. Das Weiße Haus verkündete zwei
"Executive
Orders" (Erlasse):
-
Joseph R. Biden: Executive Order On Advancing Racial Equity and
Support for Underserved Communities Through the Federal
Government. The White House, 20.01.2021. https://www.whitehouse.gov/briefing-room/presidential-a ... rnment/
-
Joseph R. Biden: Executive Order on Preventing and Combating
Discrimination on the Basis of Gender Identity or Sexual
Orientation. The White House, 20.01.2021. https://www.whitehouse.gov/briefing-room/presidential-a ... tation/
Erlaß (a) richtet, soweit ich das beurteilen kann, in Form
eines
Domestic Policy Council (DPC) eine neue,
zusätzliche Gleichstellungsbürokratie ein, die alle
Behörden, die zur Bundesregierung gehören, auf Möglichkeiten
für mehr Gleichstellung durchforsten und entsprechende
Maßnahmen konzipieren soll.
Erlaß (b) verpflichtet alle Leiter existierender Behörden,
nach Diskriminierungen wegen Geschlechtsidentität oder
sexueller Orientierung zu suchen, die vorhandenen Maßnahmen
zur Gleichstellung zu überprüfen und weitere im Sinne von
Herrn Biden vorzuschlagen.
Das eigentlich Interessante an den beiden Erlassen sind die
einleitenden Abschnitte, in denen Herr Biden seine
Weltwahrnehmung - die ab sofort auch für viele andere gültig
ist, auch wenn sie markant von der Realität abweicht - und
seine Handlungsgrundsätze verkündet.
Beide Erlasse haben eine
Section 1. Policy (am besten
mit Strategie bzw. Grundsätze übersetzbar). In beiden wird
generell von Chancengleichheit (
equal opportunity),
Fairness, und
equity geredet -
equity kommt im
Erlaß (a) 21 Mal vor und kann schon von daher als einer der
wichtigsten Begriffe von Herrn Biden angesehen werden.
Equity entspricht unserem Begriff Gleichstellung
[1]. Dem deutschen Gegensatzpaar Gleichstellung vs.
Gleichberechtigung entspricht im Englischen das
Gegensatzpaar
equity vs.
equality. In den
beiden Erlassen von Biden ist nirgends von
equality
oder von
equal rights als Politikziel die Rede, Das
ist kein Zufall, Gleichberechtigung ist kein Politikziel für
Herrn Biden.
Equity nach Biden
Erlaß (a) enthält einen Abschnitt
2. Definitions, der
Bidens Begriff
equity definiert:
The term "equity" means the
consistent and systematic fair, just, and impartial
treatment of all individuals, including individuals who
belong to underserved communities that have been denied such
treatment, such as Black, Latino, and Indigenous and Native
American persons, Asian Americans and Pacific Islanders and
other persons of color; members of religious minorities;
lesbian, gay, bisexual, transgender, and queer (LGBTQ+)
persons; persons with disabilities; persons who live in
rural areas; and persons otherwise adversely affected by
persistent poverty or inequality.
(Der Begriff "Gerechtigkeit" bedeutet, alle Personen
konsequent und systematisch fair, gerecht und unparteiisch
zu behandeln, einschließlich Personen, die benachteiligten
Gemeinschaften angehören, denen eine solche Behandlung
bisher verweigert wurde, wie zum Beispiel Schwarze, Latinos,
Ureinwohner und amerikanische Ureinwohner, asiatische
Amerikaner und Pazifikinsulaner und andere farbige Personen;
Mitglieder religiöser Minderheiten; lesbische, schwule,
bisexuelle, transsexuelle und queere (LGBTQ+) Personen;
Personen mit Behinderungen; Personen, die in ländlichen
Gebieten leben, und Personen, die anderweitig von
anhaltender Armut oder Ungleichheit betroffen sind.)
Die Liste der Opferstatusgruppen ist beeindruckend lang, und
deren Opferstatus wird an anderer Stelle zusätzlich eindringlich beschworen
[2].
Die Mitglieder dieser Gruppen werden sich sicher freuen,
daß ihr Status nun von allerhöchster Stelle bestätigt wurde.
Je nach Definition der darin verwendeten Begriffe dürften
die nun akkreditierten Opferstatusgruppen merklich über 50 %
der Bevölkerung ausmachen. Man fragt sich, ob es statistisch
überhaupt möglich ist, die Mehrheit einer Bevölkerung
ungerecht zu benachteiligen, und wer die Täter sind. Übrig
sind - also keinen Opferstatus besitzen - scheinbar nur noch
heterosexuelle Weiße, besonders wenn sie nicht in ländlichen
Gebieten leben und nicht arm sind.
Die Begriffe "
fair und
just" lassen keine
Position beim zentralen Gegensatz Gleichstellung vs.
Gleichberechtigung erkennen, sie sind beliebig
interpretierbar. Bei der Verwendung von
impartial
scheint Herrn Biden ein performativer Widerspruch nicht
aufgefallen zu sein: Gut die Hälfte der Bevölkerung zum
Opfer und implizit ca. 40% zum Täter zu erklären sieht in
hohem Maße parteiisch aus.
Das neue Opferstatusregime
Bemerkenswert beim neuen Opferstatusregime ist ferner, daß
die Opferstatuslosen zur Hälfte Frauen sind. Dazu paßt, daß
die Worte
woman/women und
female in beiden
Erlassen nicht vorkommen.
Dafür, daß Frauen ihren bisher universellen Opferstatus
verloren haben, spricht ein weiteres Zitat aus Erlaß (b):
... transgender Black Americans face
unconscionably high levels of workplace discrimination,
homelessness, and violence, including fatal violence.
(Transgender schwarze Amerikaner sind in unerhört
hohem Ausmaß von Diskriminierung am Arbeitsplatz,
Obdachlosigkeit und Gewalt, einschließlich tödlicher Gewalt,
betroffen.)
Damit sollte geklärt sein, wer ab sofort an der Spitze der
Opferstatuspyramide steht: transgender Schwarze.
Daß sie in besonderem Maße von tödlicher
Gewalt bedroht sein sollen, überrascht mich
[3]. Zu Beginn von Erlaß (b) lesen wir ferner:
Children should be able to learn without
worrying about whether they will be denied access to the
restroom, the locker room, or school sports. Adults should
be able to earn a living and pursue a vocation knowing that
they will not be fired, demoted, or mistreated because of
whom they go home to or because how they dress does not
conform to sex-based stereotypes.
(Kinder sollten lernen können, ohne sich sorgen
zu müssen, ob ihnen der Zugang zur Toilette, zur Umkleide
oder zum Schulsport verwehrt wird. Erwachsene sollten in der
Lage sein, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und einem
Beruf nachzugehen in dem Wissen, dass sie nicht gefeuert,
degradiert oder schlecht behandelt werden wegen der Person,
mit der sie nach Hause gehen, oder weil ihre Kleidung nicht
den geschlechtsspezifischen Stereotypen entspricht.)
Biden schlägt sich hiermit in dem seit einiger Zeit
hochkochenden Streit zwischen biologisch orientierten
Feministinnen (a.k.a. TERFs) und Transaktivisten eindeutig
auf die Seite der Transaktivisten.
"A president for all Americans"
Herr Biden sagte in seiner
Antrittsrede:
And I pledge this to you: I will be a President
for all Americans.
(Und das verspreche ich Ihnen: Ich werde ein
Präsident für alle Amerikaner sein.)
Er hat seine
öffentliche
Bewerbung um das Amt mit
A Presidency for All
Americans überschrieben.
Mit seinen Erlassen hat er sich gegen ca. 40% aller
Amerikaner gestellt und knallharte Klientelpolitik für die
Demokraten gemacht. Er hat sich sehr deutlich zur Critical
Race Theory (CRT) bekannt - die CRT ist als Steigerungsform
des Feminismus seit Jahren der schlimmste Spaltpilz der
Gesellschaft. Dieser eklatante Bruch seines Versprechens ist
auch anderen sauer aufgestoßen.
Andrew
Sullivan bezeichnete es als die Erklärung eines
Kulturkriegs und meinte, Bidens woker Amoklauf könne nicht
lange dauern, sofern die Verfassung der USA noch irgendeine
Bedeutung hat. Hoffentlich.
Anmerkungen
[1] Das englische equity hat viele Bedeutungen. In sozialen Kontexten bedeutet (social) equity Gerechtigkeit und Fairness, wobei aber
historical and current inequalities among groups
berücksichtigt werden. Eine typische Maßnahme zum Erreichen
von mehr equity ist die Affirmative action, also die rechtliche Privilegierung
von bestimmten Gruppen. Gerechtigkeit wird also auf Gruppen,
nicht auf Individuen bezogen.
[2] Entrenched disparities in our laws and public
policies, and in our public and private institutions, have
often denied that equal opportunity to individuals and
communities. - Daß die Gesetze und "die Politik" der USA
Ungleichheiten aufweisen, die bestimmten Gruppen die
Chancengleichheit verweigern, trifft allenfalls auf Männer
zu - das kann Biden aber unmöglich gemeint haben. Man fragt
sich, was Biden hier wirklich gemeint hat und ggf. in
welcher alternativen Realität er lebt.
[3] Nach einer Nachricht vom
08.20.2020 wurden 2020 in den USA ca. 40 transgender
oder nichtbinäre Personen ermordet. Dies entspricht ca. 2.4
Promille der rund 16.000 Morde p.a. in den USA.
Der Anteil der transgender Personen in den USA wird sehr unterschiedlich geschätzt. Eine Studie von 2016
kommt auf einen Anteil von 6 Promille, andere Zahlen sind
deutlich kleiner.
Jedenfalls liegt der Anteil der transgender Personen bei den
Morden in der gleichen Größenordnung wie der
Bevölkerungsanteil. Die Meinung von Herrn Biden paßt nicht
so richtig dazu.
Quellen