- Einführende Beispiele
- Geschlechtsbegriffe und Geschlechtskategorien
- Die Illusion universeller Kategorien
- Die propagandistische und politische Bedeutung
- Anmerkungen
- Quellen
Ein Apfelbaum ist ein Baum.ist eine Aussage, die einem trivialerweise korrekt erscheint. Wir beziehen uns hier auf die Taxonomie der Pflanzen. In einer Taxonomie klassifiziert man Objekte nach bestimmten Kriterien in Kategorien (oder Klassen). Baum und Apfelbaum sind hier Kategorien, Baum ist eine übergeordnete Kategorie von Apfelbaum. Anders ausgedrückt ist Baum ein allgemeinerer Begriff als Apfelbaum(2). Betrachtet man die Mengen der beschriebenen Objekte, dann ist die Menge der Apfelbäume eine Teilmenge der Menge der Bäume. Taxonomien benutzt man in allen möglichen Lebensbereichen. Im Deutschen werden Komposita sehr häufig gebildet, um einen allgemeineren Begriff (hier: Baum) in einer Taxonomie durch eine nähere Bestimmung (hier: äpfeltragender) zu spezialisieren. Wörtlich genommen sind auch Flußpferd oder Seepferdchen analog aufgebaute Komposita. Beide Tierarten sind aber keine speziellen Pferde (zumindest nach Ansicht der Biologen). D.h. die beiden Aussagen
Ein Flußpferd ist ein Pferd.sind falsch. Bei der zweiten Aussage ist der Fehler leicht erkennbar, weil hierzu elementare Biologiekenntnisse ausreichen. Die erste Aussage ist schwieriger als falsch zu erkennen, weil die meisten Leute sich nicht ausreichend mit den Unterschiedlichkeiten von Paarhufern und Unpaarhufern befassen. Die beiden Beispiele zeigen, daß eine Aussage der Form "Ein Y-X ist ein X" nicht automatisch wegen der Satz- und Wortstruktur wahr ist. Sie ist nur dann wahr, wenn es eine zugeordnete Taxonomie gibt, in der Y-X Unterkategorie von X ist. Wir kommen wieder zurück zur Frage, ob die Aussage "Eine Transfrau ist eine Frau" korrekt oder falsch ist. Klar ist, daß wir hier Menschen klassifizieren. Wir müssen also eine Taxonomie für Menschen finden, in der Transfrau Unterkategorie von Frau ist. Für Transfrauen kann man mehrere Bedingungen formulieren, welche Personen gemeint sind, allerdings herrscht über die Details kein völliger Konsens, wir stellen diese Definition vorerst zurück. Was aber sind "Frauen"?
Ein Seepferdchen ist ein kleines Pferd.
Geschlechtsbegriffe werden in der Sprachpraxis dann, und nur dann, gebildet, wenn man in einem Problembereich Personen anhand ihrer sexualitätsbezogenen Eigenschaften unterschiedlich behandeln und daher begrifflich unterscheiden muß.Diese Erkenntnis ist eigentlich trivial(4), sie gilt in allen Lebenslagen, in denen man Dinge unterschiedlich behandeln muß und daher Begriffe braucht, um die einzelnen Kategorien zu benennen. Die Klassifizierung muß i.d.R. eindeutig sein, d.h. jedes Individuum wird genau einer Kategorie zugeordnet, weil man sich bei jedem Individuum für genau eine Behandlung entscheiden muß. Beispiele für solche Problembereiche, i.f. auch als Kontexte bezeichnet, und deren in der Praxis bewährte Geschlechtsbegriffe bzw. Klassifizierungen von Personen sind:
- Kontext: Studium von Fortpflanzung und Vererbung
in der Biologie;
Geschlechtsbegriff: reproduktives Geschlecht;
Kategorien: männlich (im Sinne von Samenproduzent) / weiblich (im Sinne von Eiproduzent) / nicht fortpflanzungsfähig - Kontext: Behandlung von Erbkrankheiten in der
Medizin;
Geschlechtsbegriff: genetisches (oder chromosomales) Geschlecht;
Kategorien: XX / XY / XXY / XYY / X / XX-Mann / XY-Frau / .... - Kontext: Verwaltung von Bürgern in einem
Einwohnermeldeamt;
Geschlechtsbegriff: "Meldegeschlecht";
Kategorien: männlich / weiblich / divers.
Personen werden hier anhand ihres Phänotyps klassifiziert, entweder direkt nach der Geburt oder später. Personen, die nicht hinreichend sicher als männlich oder weiblich klassifiziert werden können, werden hier als "divers" klassifiziert; in anderen Kontexten wird dieser Fall als "intersexuell" bezeichnet. Das Meldegeschlecht ähnelt dem reproduktiven Geschlecht, ist aber etwas anderes! -
Kontext: Privilegierung von Frauen in der deutschen
Gesetzgebung(5);
Geschlechtsbegriff: "juristisches Geschlecht";
Kategorien: Frau / Nicht-Frau - Kontext: Partnervermittlung in einer
Kontaktbörse;
Geschlechtsbegriff: "sexuelle Orientierung"(6);
Kategorien: hetero / hetera / schwul / lesbisch / ggf. weitere und speziellere anhand von Balzverhalten und sexuellen Praktiken. - Kontext: Gesang (Musik);
Geschlechtsbegriff: "Sängerstimmen";
Kategorien: Tenor / Bariton / Baß / Sopran / Mezzosopran / Alt
- Die unterschiedlichen Problembereiche bzw. Kontexte haben verschiedene Listen von Geschlechtskategorien. Anders gesagt hat jeder Problembereich eine eigene Taxonomie, die unabhängig von allen anderen ist. Im Laufe der Zeit können neue Problembereiche dazukommen oder bisherige irrelevant werden.
- Jede Geschlechtskategorie hat neben einer direkten Beschreibung immer auch die Bedeutung, nicht eine der anderen Geschlechtskategorien zu sein. Aus (1) folgt daher, daß die Geschlechtskategorien in den unterschiedlichen Problembereichen grundsätzlich unterschiedliche Bedeutungen haben. Auch wenn ihre Bezeichnungen gleich sind oder ähnlich klingen, heißt das nicht, daß sie das gleiche bedeuten. Auch dann, wenn die Populationen, die zu zwei Geschlechtskategorien gehören, stark überlappen, sind deswegen die Begriffe nicht gleich. Z.B. überlappt die Population der Heteros - also gynophile biologische Männer - sehr stark mit der Population Personen mit genetischem Geschlecht XY, denn letztere sind fast alle gynophil. Im Kontext einer Beziehungsanbahnung durch eine Kontaktbörse ist aber die genetische Klassifizierung von Menschen unbrauchbar. Ein Schwuler sucht nach einem anderen Schwulen, ein Hetero nach einer Hetera und umgekehrt.
- Aus (2) folgt, daß es prinzipiell keine universellen Geschlechtskategorien gibt, "universell" hier verstanden als in allen Kontexten bzw. Taxonomien mit gleicher Bedeutung verwendbar(7). Bei Geschlechtskategorien, die nur in einer einzigen Taxonomie auftreten, ist das besonders offensichtlich. Selbst die beiden scheinbar universellen Geschlechtskategorien "Mann" und "Frau" treten nicht überall auf, sind also schon von daher nicht universell.
Mann bezeichnet einen männlichen, erwachsenen Menschen und bezieht sich auf das biologische Geschlecht oder die Geschlechterrolle einer Person oder auf beides (vergleiche Gender).Darin ist schon "biologisches Geschlecht" ein unscharfer Begriff. Noch unschärfer ist die oder-Gruppe, die an unsere obigen Anwendungskontexte erinnert. Man kann offenbar nach Tageslaune aussuchen, ob man sich auf das biologische Geschlecht oder den extrem unscharfen Geschlechtsbegriff "Geschlechterrolle" ("Gender") bezieht, der i.a. keine Taxonomie bildet und der gar keine Klassifikation von Individuen erlaubt. Die Wikipedia-Definition von Frau ist ähnlich (wenn auch sprachlich anders und verkorkst formuliert). Im Endeffekt kann man sowohl Mann als Frau sein, wenn man die Unschärfen passend behebt, d.h. die Fähigkeit, zu klassifizieren, geht völlig verloren, und die Begriffe sind letztlich in gar keinem der obigen Anwendungskontexte mehr brauchbar. Es kann durchaus sein, daß unscharfe Begriffe für die Alltagskommunikation ausreichen. Dann liegt aber nur ein weiterer, anderer Kontext vor, in dem eine ungefähre Klassifizierung ausreicht! Der Kontext bestimmt also immer auch eine Genauigkeit, mit der einzelne Kategorien festgestellt werden müssen. Die Aussage "Eine Transfrau ist eine Frau" wird hier auch zu einer unscharfen Aussage, es hängt von der Tageslaune (bzw. anderen, nicht expliziten Kriterien) ab, ob man sie als richtig oder falsch ansieht.
(1) Der Unsinn ist ähnlich wie in der Aussage "nachts ist es kälter als draußen", nur viel besser versteckt. Zynisch betrachtet ist das im Zeitalter der Polit-Talkshows sogar von Vorteil.
(2) Wenn wir uns hier elementar auf die sprachliche Semantik
beziehen, dann liegen hier Prädikate vor: ist_Baum(X) und
ist_Apfelbaum(X), wobei X irgendein Objekt ist. Die
Prädikate sind Funktionen, die zu einem X den Wert "wahr"
oder "falsch" liefern. In der hierarchischen Taxonomie der
Baumsorten ist ist_Apfelbaum(X) definiert als ist_Baum(X)
UND trägt_Äpfel_als_Früchte(X). Die Aussage "Ein Apfelbaum
ist ein Baum." bedeutet nun: für alle X gilt:
ist_Apfelbaum(X) impliziert ist_Baum(X). Diese Implikation
ist wiederum trivial.
Hierbei spielt es keine Rolle, ob wir eine extensionale oder intensionale Semantik unterstellen,
insb. bei den beiden nicht näher definierten Prädikaten
ist_Baum(X) und trägt_Äpfel_als_Früchte(X).
(3) Natürlich auch für andere Lebewesen, aber die interessieren uns hier nicht.
(4) Sie ist diametral entgegengesetzt zu feministischen Theorien, wonach Geschlechtskategorien sozial konstruiert und vollkommen willkürlich sind und nur (dem Patriarchat) dazu dienen, Menschen willkürlich unterschiedlich behandeln und in Geschlechterrollen einsperren zu können.
(5) Frauen haben zahlreiche Sonderrechte. Ggf. muß man innerhalb der Kategorie Frauen weiter unterscheiden nach Müttern und Nichtmüttern. Bei Personen mit Meldegeschlecht "divers" ist unklar, ob sie die Privilegien von Frauen beanspruchen können. Daher kann man "Nicht-Frau" nicht einfach als "männlich oder divers" definieren.
(6) Man könnte hier auch von einem "Verpartnerungsgeschlecht" reden. Der Begriff "sexuelle Orientierung" wird oft in diesem Sinne benutzt, oft auch mit anderen Bedeutungen.
(7) Es gibt auch keinen universellen Geschlechtsbegriff, in dem universelle Geschlechtskategorien auftreten würden. Dies erklärt den auf den ersten Blick überraschenden Befund, daß die Wikipedia keinen Eintrag für "Geschlecht (von Menschen)" enthält. Die vorhandene Seite Geschlecht ist nur ein Verteiler auf "echte" Einträge, in denen Begriffe erklärt werden.
(8) Man kann diese Ambiguität wahlweise als rhetorischen Trick oder als Terrorisierung von Abhängigen ansehen.
- Harry Frankfurt: On Bullshit. Raritan Quarterly Review, 1986. https://de.wikipedia.org/wiki/On_Bullshit
- Emma Hilton, Pam Thompson, Colin Wright, David Curtis: The reality of sex. Irish Journal of Medical Science, 15.01.2021. https://doi.org/10.1007/s11845-020-02464-4