Die blank-slate-Hypothese

Inhaltsübersicht

Zusammenfassung

Die allgemeine blank-slate-Hypothese postuliert, daß Menschen hinsichtlich ihrer sozialen, psychologischen, sexuellen, intellektuellen usw. Merkmale als "unbeschriebenes Blatt" geboren werden, also prinzipiell und "von Natur aus" alle gleich sind, und daß Unterschiede von sozialen Einflüssen verursacht werden, also in diesem Sinne "sozial konstruiert" und nicht zwangsläufig vorhanden sind.

Die in diesen Definitionen üblicherweise verwendeten Begriffe sind ausgesprochen unscharf und dehnbar. Viele persönliche Merkmale entwickeln sich außerdem erst während oder nach der Pubertät, sind also Ergebnisse langer Entwicklungsprozesse. Wenn man die blank-slate-Hypothese auch bzgl. dieser Merkmale aufrecht erhalten will, muß man zahlreiche Hilfsannahmen machen, z.B. hinsichtlich der Wirkung von Hormonen während der Pubertät. Aufgrund dieser Unschärfen gibt es mehrere Varianten bzw. Konkretisierungen der blank-slate-Hypothese (mehr dazu weiter unten).

Die blank-slate-Hypothese ist ganz offensichtlich falsch, wenn man sie auf einzelne Menschen bezieht, denn die sind offensichtlich von Natur aus sehr verschieden. Die Behauptung der Gleichheit wird daher i.d.R. statistisch verstanden und auf mehr oder weniger willkürlich gewählte Menschengruppen und Gruppenmerkmale bezogen. Die Menschengruppen werden oft anhand von Geschlecht, Ethnizität, Religion oder anderen demographischen Merkmalen gebildet. Beispiele für Gruppenmerkmale sind Durchschnittseinkommen oder Geschlechteranteile. Selbst mit diesen willkürlichen und oft nicht scharf definierten Konkretisierungen ist die blank-slate-Hypothese nicht direkt beweisbar und wird ggf. sogar durch empirische Tatsachen widerlegt.

Die blank-slate-Hypothese ist also eine manchmal explizite, oft nur implizite Tatsachenbehauptung (oder eine Meinung, eine Ansicht), wenn über die Natur des Menschen oder über die Entstehung von sozialen Differenzen zwischen Menschen bzw. Menschengruppen debattiert wird. Beobachtbare Unterschiede zwischen Personen(gruppen) werden dann ausschließlich als Effekt von sozialen Einflüssen angesehen. Die sozialen Einflüsse werden wiederum als willkürlich und ungerecht bewertet, infolgedessen gelten die schlechter Abschneidenden automatisch als Opfer von Diskriminierungen und können Kompensationen verlangen. Die blank-slate-Hypothese ist also vielfach dadurch motiviert, bestimmte politische Forderungen, z.B. Frauenquoten, "sachlich" zu begründen. Bei anderen Gelegenheiten wird sie hingegen "übersehen". In diesem Sinne ist sie ein klassisches Beispiel für sozial konstruiertes "Wissen". Weitere Motive, die blank-slate-Hypothese zu propagieren, werden unten behandelt.

Speziell auf die Geschlechterunterschiede bezogen, um die es hier vor allem geht, ist die blank-slate-Hypothese in vielen einzelnen Punkten wissenschaftlich unhaltbar, speziell man einzelne Persönlichkeitsmerkmale betrachtet und die Unterschiede pauschalisierend verallgemeinert.



Die allgemeine blank-slate-Hypothese

Die blank-slate-Hypothese postuliert, daß Menschen hinsichtlich aller sozialen, psychologischen und sexuellen Merkmale als "unbeschriebenes Blatt" (blank slate = leere Schiefertafel) auf die Welt kommen, also ohne Sprache, Vorwissen und angeborene Moralvorstellungen in relevantem Ausmaß geboren werden und kulturell beliebig geformt werden können bzw. müssen. Im Englischen wird dies auch als tabula rasa-Hypothese bezeichnet.

Die gegenteilige Hypothese - sofern man überhaupt versucht, sie trotz der Unschärfe der blank-slate-Hypothese zu bilden - lautet, daß die sozialen, psychologischen, intellektuellen und sexuellen Merkmale von Menschen, insb. Intelligenz, sexuelle Attraktion, Temperament, Risikoaversion, teilweise sogar die politische Grundeinstellung, in nicht vernachlässigbarem Umfang biologisch bestimmt sind und nicht beliebig verformt werden können. Man spricht hier auch von biologischen Dispositionen, um auszudrücken, daß ein statistisch signifikanter Einfluß vorhanden ist, nicht hingegen ein Determinismus, der einzelne Details einzelner Personen unwiderruflich bestimmt. Dies ist analog zur Vererblichkeit von Intelligenz: intelligente Eltern haben meist intelligente Kinder, aber nicht zwangsläufig.

Diese beiden gegensätzlichen Hypothesen werden auch als "Natur- vs. Kultur"-Gegensatz (engl. nature vs. nurture) bezeichnet. Diese Frage ist eine der grundlegendsten und meistdiskutierten philosophischen Fragen, die Antwort darauf hat gravierende Konsequenzen für die Wahrnehmung und Interpretation sozialer Phänomene, Moralvorstellungen u.a.m.

Ein fulminante inhaltliche Widerlegung der allgemeinen blank-slate-Hypothese lieferte Pinker (2002).



Die blank-slate-Hypothese im Kontext der Geschlechterdebatte

Im Kontext der Geschlechterdebatte wird die blank-slate-Hypothese im folgenden speziellen Sinn verstanden: Männer und Frauen (und ggf. weitere Geschlechter) sind prinzipiell völlig gleich, unterscheiden sich also in ihren sozialen, psychologischen, sexuellen, intellektuellen usw. Merkmalen nicht. Anders gesagt können die empirisch nachweisbaren statistischen Persönlichkeits- und Verhaltensunterschiede nicht in relevantem Umfang auf biologische Einflüsse zurückgeführt werden, sondern sind sozial verursacht.

Um überhaupt Männer und Frauen unterscheiden zu können, muß man aber die Vorstellung aufgeben, sie seien völlig gleich. An dieser Stelle wird stillschweigend auf einen biologischen Geschlechtsbegriff zurückgegriffen (im Gegensatz zur sonst üblichen Ablehnung von biologischen Geschlechtsbegriffen). Man unterscheidet Individuen also anhand ihrer sexualitätsbezogenen biologischen Merkmale, i.d.R. den genetischen Unterschieden. Biologische Sonderformen, z.B. chromosomale Sonderformen, die man nicht ohne weiteres als eine der beiden Hauptkategorien Männer und Frauen klassifizieren kann, bleiben außer Betracht.

Ausschluß "reproduktionsbezogenen" Verhaltens
Bestimmte Tätigkeiten und Verhaltensweisen sind direkt mit den unterschiedlichen biologischen Funktionen von Männern und Frauen bei der Reproduktion verbunden (Schwängern, Schwangerschaft, Stillen usw.) und daher unübersehbar biologisch beeinflußt. Um die blank-slate-Hypothese zu retten, werden Verhaltensweisen, die direkt mit der Reproduktion zusammenhängen, typischerweise in den Debatten durch eine Generalklausel ausgeklammert. Sie werden ohne nähere Begründung als unwesentlich angesehen, andere Verhaltensweisen also als völlig unabhängig und unbeeinflußt hiervon.

Was alles unter diese Generalklausel fällt, also welche Verhaltensweisen noch "reproduktionsbezogen" sind, bleibt meistens offen. Mit einer Schwangerschaft und einer Stillzeit sind direkt eine Vielzahl vor- und nachbereitender oder präventiver Tätigkeiten verbunden, die Möglichkeiten zu Empfängnisverhütung unterscheiden sich erheblich, die Sexualorgane haben jeweils eigene Gesundheitsrisiken bzw. Krankheiten usw. Hinzu kommen viele damit indirekt, aber kausal verbundene weitere Verhaltensdifferenzen.

Die unterschiedlichen direkt reproduktionsbezogenen Funktionen verursachen ferner weitreichende Auswirkungen, die nicht direkt mit der Reproduktion zusammenhängen. Z.B. sind einzelne Männer für das Überleben einer Population unwichtig, daher gilt in praktisch allen Kulturen männliches Leben als weniger wert als weibliches. Erkennbar ist dies daran, daß nur Männer Kriegsdienst leisten und ggf. ihr Leben opfern müssen. Die hier vorliegende generelle Empathielücke durchzieht sehr viele soziale Bereiche. Obwohl dies offensichtlich direkt aus den biologischen Verhältnissen folgt, werden diese Auswirkungen meistens nicht als biologisch verursacht angesehen.

Empirisch nachweisbare Persönlichkeits- und Verhaltensunterschiede
Wesentliche Unterschiede im Verhalten und der Persönlichkeit bei Männern und Frauen sind empirisch nachweisbar in folgenden Bereichen (Quellenangaben siehe unten): Wenn man nun von der blank-slate-Hypothese ausgeht, dann können diese statistischen Geschlechtsunterschiede nur kulturell verursacht ("sozial konstruiert") sein, z.B. daß fast alle Menschen heterosexuell sind, daß Frauen eine schwächere Libido haben und risikoaverser sind oder daß sich mehr Frauen für medizinische und erziehende Berufe interessieren, mehr Männer für Berufe wie Maurer, Soldat oder Ingenieur. Diese Hypothese bzw. die damit verbundene Ideologie wird auch als Genderismus bezeichnet.

Vertreter der blank-slate-Hypothese stehen hier vor dem Problem, zu erklären, wie diese ganz erheblichen Verhaltensunterschiede sozial konstruiert werden.

Begriffliche Unklarheiten in der geschlechtsbezogenen blank-slate-Hypothese
Die geschlechtsbezogene blank-slate-Hypothese, also Aussagen wie "Geschlecht bzw. geschlechtsspezifisches Verhalten ist sozial konstruiert", wird regelmäßig durch eine Nebelwand von Vagheiten und Begriffsverschiebungen vor einer kritischen Hinterfragung geschützt:
  1. Der vorausgesetzte Begriff "Geschlecht" bleibt undefiniert. Je nach der Definition kommt es zu Begriffszyklen und Tautologien.
  2. Es bleibt zunächst unklar, ob die blank-slate-Hypothese auf Individuen oder Kollektive bezogen wird.
Die personenbezogene vs. statistische blank-slate-Hypothese
Die Aussage, daß Menschen hinsichtlich ihrer sozialen, psychologischen, sexuellen, intellektuellen usw. Merkmale prinzipiell gleich sind, also Unterschiede nur auf soziale Einflüsse zurückgehen, kann man auf einzelne Personen oder die Kollektive der Männer bzw. Frauen beziehen.
  1. Nach der personenbezogenen blank-slate-Hypothese sind die bei einer einzelnen Person vorliegenden Merkmale, u.a. die diversen intellektuellen Begabungen, die grundlegenden Persönlichkeitsmerkmale und das biologisch bzw. medizinisch meßbare geschlechtsbezogene Verhalten, sozial konstruiert. Unter anderem sozialen Einfluß hätten sie auch anders sein können. Bei einer extremen Interpretation von "Konstruktion" könnte man diese Merkmale bei Bedarf auch nachträglich ändern, also umkonstruieren. Man könnte z.B. einen Homosexuellen zu einem Heterosexuellen umerziehen.

    Die personenbezogene blank-slate-Hypothese These widerspricht eklatant dem Stand der Wissenschaft in der Biologie und der Psychologie und ist so absurd, daß sie nur selten vertreten wird. Stattdessen wird regelmäßig auf die statistische blank-slate-Hypothese ausgewichen (s.u.), oder die soziale Konstruktion wird auf einen willkürlichen und nur unscharf abgegrenzten Teil der Persönlichkeitsmerkmale eingeschränkt, wodurch sie weitgehend inhaltsleer wird. Beispielsweise behaupten fast alle Vertreter der blank-slate-Hypothese gleichzeitig, bei Homosexuellen sei deren sexuelle Attraktion biologisch determiniert und nicht "heilbar". Die biologisch determinierte sexuelle Attraktion hat aber einen weitreichenden Einfluß auf das Sozialverhalten, dies widerspricht der strengen blank-slate-Hypothese

  2. Bei der statistischen blank-slate-Hypothese wird die prinzipielle Gleichheit auf die Kollektive der Männer bzw. Frauen bezogen. Hier wird konzediert, daß im Einzelfall zwar ein biologischer Einfluß vorhanden ist. Es wird aber postuliert, daß bei Männern und Frauen als Kohorte betrachtet eigentlich, also "von Natur aus" und ohne soziale Einflüsse, die Präferenzen, Verhaltensmuster, sozialen Geschlechtskategorien etc. statistisch gleichartig verteilt auftreten.

    Beispiele für solche Aussagen sind, daß Männer und Frauen "im Durchschnitt" gleich intelligent, sexuell aktiv, erfolgsorientiert, an Physik interessiert usw. sind. Um Durchschnitte bilden zu können, muß man die komplexen Persönlichkeiten von Individuen auf wenige, willkürlich gewählte numerische Kenngrößen reduzieren. Ebenfalls willkürlich ist, daß man nur Durchschnitte betrachtet, aber nicht die Varianz. Die Metastudie Wierenga (2020) weist empirisch nach, daß Männer als Kollektiv u.a. bei den biologischen Gehirnstrukturen, die wiederum mit vielen intellektuellen Leistungen korrelieren, eine höhere Varianz aufweisen als Frauen. Hieraus folgt direkt die bekannte Überrepräsentation von Männern in den Extrembereichen.

    Im Endeffekt wird die statistische blank-slate-Hypothese in der Praxis durch willkürlich gewählte Kenngrößen konkretisiert, sie ist unbewiesen und aus Aufwandsgründen praktisch nicht beweisbar, und sie ist in ihrer Pauschalität falsch.

Der unklare Geschlechtsbegriff
Die These, daß es keine intellektuellen oder verhaltensbezogenen Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, unterstellt stillschweigend, daß man überhaupt Männer und Frauen unterscheiden kann, und läßt offen, auf welchen Geschlechtsbegriff man sich bezieht. Der implizit vorausgesetzte Begriff "Geschlecht" ist hochgradig mehrdeutig. Dieser abstrakte Begriff ist nur Oberbegriff für mehrere biologische, psychologische und soziale Geschlechtsbegriffe, s. hierzu die separate Seite Der Begriff "Geschlecht".

In der Regel wählen Vertreter der blank-slate-Hypothese ohne explizite Begründung oder Benennung den biologischen Geschlechtsbegriff mit den beiden Klassifizierungen als Mann oder Frau. Die weiteren Geschlechter, deren Wichtigkeit sonst unablässig betont wird, bleiben auf einmal unsichtbar (vermutlich mit Absicht, denn deren Berücksichtigung würde die Unhaltbarkeit der blank-slate-Hypothese noch deutlicher machen), noch nicht einmal Intersexuelle werden erwähnt. Dieser Bezug auf den biologischen Geschlechtsbegriff ist üblich in der ganzen Debatte.

Dies steht in bemerkenswertem Widerspruch zu gängigen feministischen Thesen, wonach alle Geschlechtsbegriffe, auch die biologischen, sozial konstruiert sind. Soziale Konstruktionen müssen sich aber immer an sozial beobachtbaren Informationen orientieren, der Mensch kann mit bloßem Auge keine Chromosomen erkennen und z.B. chromosomale Geschlechter unterscheiden. Hier läuft man sehr leicht in eine tautologische Begriffsdefinition, indem man sekundäre oder tertiäre Geschlechtsmerkmale, in deren Kontext sich das Verhalten von Männern und Frauen unterscheidet, benutzt, um die Kollektive der Männer bzw. Frauen zu bilden, um danach überrascht festzustellen, daß sich die beiden Kollektive statistisch im Verhalten unterscheiden.

Widerlegungen der blank-slate-Hypothese
Grundsätzlich müssen eigentlich Vertreter der blank-slate-Hypothese diese selber bewiesen. Von jemandem, der die blank-slate-Hypothese anlehnt, zu verlangen, die Hypothese zu widerlegen und das (unklare) Gegenteil zu beweisen, ist eine unzulässige Beweislastverschiebung. Nichtsdestotrotz kann man empirische Beobachtungen benennen, die unvereinbar mit den wichtigsten Varianten der blank-slate-Hypothese sind und die es ausgeschlossen erscheinen lassen, diese Hypothese jemals zu beweisen.

Die personenbezogene blank-slate-Hypothese ist unvereinbar mit einer Vielzahl von Forschungsergebnissen in der Verhaltensbiologie (Zwillingsforschung, Vererblichkeiten von Talenten usw.). Die statistische blank-slate-Hypothese ist unvereinbar damit, daß Geschlechterdifferenzen bei vielen Verhaltensformen (z.B. berufliche Segregation) in besonders egalitären Gesellschaften besonders ausgeprägt sind und daß zahllose, über Jahrzehnte durchgeführte Gleichstellungsmaßnahmen erfolglos waren.

Steven Pinker (2002) stellt den Forschungsstand um die Jahrtausendwende dazu sehr umfangreich dar. Eine sehr breite Übersicht über den Forschungsstand mit rund 400 Referenzen liefert Susan Pinker (2008). Noch massiver fällt die Kritik mehrerer Biologen an der blank-slate-Hypothese aus.

Sammlungen von Gegenargumenten finden sich ferner hier, hier, hier, hier



Bedeutung und Verwendung der blank-slate-Hypothese

Von weitem betrachtet kann man sich wundern, wieso überhaupt eine spezielle, nicht beweisbare Hypothese über biologische bzw. psychologische Merkmale eine solche politische Bedeutung hat und mit nahezu religiösem Fanatismus als Dogma durchgedrückt wird, z.B. 2017 in der Google-Damore-Affäre.
Die blank-slate-Hypothese als Widerlegung von Suprematie-Hypothesen
Historisch motiviert ist die blank-slate-Hypothese als Widerlegung von Suprematie-Hypothesen, nach denen es z.B. intelligentere Geschlechter, Völker, Ethnien etc. gibt. Die Suprematie-Hypothesen sind aus dem gleichen Gründen wie die blank-slate-Hypothese unscharf, nicht beweisbar und bei den meisten Präzisierungen falsch. Suprematie-Hypothesen sind zusammen mit willkürlichen moralischen Bewertungen historisch immer wieder als Begründung für Völkermord, Rassenhaß, Sklaverei, Frauenunterdrückung u.ä. benutzt worden.

Um die Suprematie-Hypothesen widerlegen zu können, wird die blank-slate-Hypothese vielfach als logisches Gegenteil der Suprematie-Hypothesen angesehen. Weil beide Hypothesen sehr unpräzise sind und auf vielen versteckten Annahmen basieren, ist in Wirklichkeit unklar, ob sie das logische Gegenteil voneinander sind und ob eine die andere widerlegt. Die Annahme des logischen Gegenteils ist also nicht haltbar, sie ist aber trotzdem üblich. Unter dieser Annahme wird die Ablehnung der blank-slate-Hypothese äquivalent zur Zustimmung zu den Suprematie-Hypothesen angesehen. Letzteres ist hochgradig tabuisiert, damit auch die Ablehnung der blank-slate-Hypothese. Die blank-slate-Hypothese hat daher vielfach den Status eines Dogmas, das ähnlich wie religiöse Dogmen nicht hinterfragt werden darf. Alleine das Verlangen eines Beweises der blank-slate-Hypothese wird oft scharf geahndet. In Debatten wird sie oft als versteckte Null-Hypothese vorausgesetzt.

Die blank-slate-Hypothese als Konsequenz egalitärer Ideologien
Die blank-slate-Hypothese ist auch relativ leicht erklärbar durch die moralischen Grundwerte egalitärer Ideologien, zu denen die feministische Ideologie zählt. Dort werden soziale Ungleichheiten prinzipiell als Unrecht und besonders unmoralisch verstanden. Erkennbar ist dies an der extremen Priorität und der Inkaufnahme erheblicher Kollateralschäden, mit der die Beseitigung von sozialen Ungleichheiten durch Gleichstellungsmaßnahmen gefordert bzw. durchgesetzt wird.

An dieser Stelle ist es wichtig, sich klarzumachen, daß die extrem negative Beurteilung von sozialen Ungleichheiten in egalitären Ideologien ein völlig willkürliches moralisches Werturteil ist (Liberale und Konservative sehen soziale Ungleichheiten in weiten Bereichen als Ausdruck des freien Willens und als unproblematisch an).

Wenn die blank-slate-Hypothese nicht gilt, wenn also relevante biologische Unterschiede angenommen werden, dann treten auch in einer "diskriminierungsfreien" Gesellschaft wegen der biologischen Differenzen soziale Unterschiede auf. Da man diese aber prinzipiell nicht akzeptiert, kann man auch die Annahme relevanter biologischer Unterschiede nicht akzeptieren und muß die blank-slate-Hypothese vertreten. Die Vehemenz, mit der die blank-slate-Hypothese vertreten wird und ihre "Leugner" bekämpft werden, kann man also auf die moralischen Werte egalitärer Ideologien zurückführen.

Offensichtlich ist es hochgradig wissenschaftsfeindlich, aus moralischen Standpunkten abzuleiten, welche biologischen bzw. psychologischen Erkenntnisse zulässig bzw. politisch korrekt sind.

Politische Bedeutung der blank-slate-Hypothese
Von der blank-slate-Hypothese werden viele massive Eingriffe in den Rechtsstaat und rechtliche Diskriminierungen von Männern abgeleitet. Ein Beispiel ist die Schlußfolgerung, daß Männer und Frauen statistisch gleichstarkes Interesse an allen Berufen haben und auch gleich gut dazu befähigt sind. Die in vielen Berufen auftretenden ungleichen Geschlechterverhältnisse weichen also von der ideologisch postulierten Gleichverteilung ab. Diese Diskrepanz zwischen Ideologie und Realität wird als Beweis dafür gewertet, daß Frauen diskriminiert werden. Aus den unterstellten Diskriminierungen von Frauen wird in einem weiteren Schritt abgeleitet, Männer kompensatorisch durch Frauenquoten rechtliche zu diskriminieren.


Verbreitung der blank-slate-Hypothese

Verbreitung der blank-slate-Hypothese in den Gender Studies
Die blank-slate-Hypothese ist eine grundlegende Annahme, um nicht zu sagen ein Dogma, der real existierenden Gender Studies und weiter Teile der (radikal-) feministischen Ideologie. Die blank-slate-Hypothese wird dort oft als folgende Hypothese formuliert: "Geschlecht ist sozial konstruiert" (z.B. Meissner (2008)). Meissner stellt ferner fest: Die Annahme, dass Geschlecht eine soziale Konstruktion ist, kann in weiten Teilen der Frauen- und Geschlechterforschung als eine Art Minimalkonsens gelten. .... Statt von der blank-slate-Hypothese ist in Gender-Studies-Texten bzw. -Lehrbüchern oft von der sozialen Konstruktion einer Geschlechterhierarchie die Rede, was auf das gleiche hinausläuft.

Wenn man die blank-slate-Hypothese unterstellt, steht man vor dem Problem zu erklären, wieso sich Männer und Frauen nachhaltig und über Generationen hinweg geschlechtstypisch verhalten, und zwar gerade in egalitären Gesellschaften, obwohl diese fast keinen Druck in Richtung geschlechtstypischem Verhalten ausüben (s. Literatur zu Geschlechterunterschieden in feministischen Kulturen). Eine vielzitierte, zentrale Publikation, in der dieses scheinbare Paradox erklärt wird, ist "Doing Gender" (West (1987)). Diese Publikation postuliert, daß Geschlechtsmerkmale alleine durch Kopieren von Verhalten weitergegeben werden, also durch einen sozialen Prozeß erzeugt und dann immer wieder reproduziert werden. Diese These ist empirisch nicht haltbar und in zahllosen Gegendarstellungen widerlegt worden, eine der bekanntesten ist Steven Pinker's "The Blank Slate". "Doing Gender" wird laut Google Scholar in über 15000 Publikationen zitiert, war und ist also extrem einflußreich. Stern (2016) analysierte eine Stichprobe von 20 dieser Publikationen aus dem Zeitraum 2004 - 2014, die von bekannteren Autoren stammen und die ihrerseits oft zitiert wurden. Von diesen erwähnt nur eine einzige die vehemente Kritik an der blank-slate-Hypothese, alle anderen bestätigen die These explizit oder übernehmen sie kritiklos. Stern kommt zum Fazit:

findings [of my investigation] are consistent with an image of gender sociology as a subfield that has insulated its sacred beliefs from important scientific challenges.
Hier wird deutlich: die Gender Studies leben in einer Filterblase, in der man die eigenen Dogmen vor allen dagegensprechenden Erkenntnissen schützt.
Denkschulen, die die blank-slate-Hypothese ablehnen
Der Differenzfeminismus und weitere Ideologien verneinen die blank-slate-Hypothese, postulieren also, daß es einen relevanten biologischen Einfluß geben kann bzw. sehr wahrscheinlich gibt. Über das Ausmaß dieses Einflusses, den man ohnehin kaum messen und quantifizieren kann, gegen die Meinungen auseinander. Die Behauptung des Differenzfeminismus ist deutlich weniger stark als die im Genderfeminismus übliche blank-slate-Hypothese, weil das das Ausmaß dieses Einflusses offen bleibt. Man kann sie daher viel leichter mit Indizien zu unterstützen und plausibel begründen. Sie unterscheidet sich auch nur wenig von der heute üblichen Meinung, daß sowohl biologische wie kulturelle Faktoren eine relevante Rolle bei der menschlichen Entwicklung spielen.


Die blank-slate-Hypothese als versteckte Null-Hypothese und andere Diskursstrategien

Eigentlich müßten die Verfechter der blank-slate-Hypothese diese selber beweisen. Das ist allerdings nicht möglich, weil sie je nach Präzisierung einfach falsch ist. Deshalb werden verschiedene Diskursstrategien benutzt, um einen Beweis der Hypothese zu vermeiden:
  • Man verlangt man von Kritikern, das Gegenteil der blank-slate-Hypothese zu beweisen. Man kann das Gegenteil, also einen relevanten Einfluß biologischer Dispositionen, nicht formal beweisen, sondern nur Indizien dafür vorlegen. Daß kein Beweis des Gegenteils möglich ist, wird dann als Beweis der blank-slate-Hypothese gewertet - dies ist indes ein krasser Fehlschluß.
  • Man beschimpft Kritiker der blank-slate-Hypothese als Frauenhasser, Nazis, Suprematisten usw., kündigt den Arbeitsplatz (z.B. im Fall Damore) oder vernichtet sie sozial. Extrem linke Kreise arbeiten mit physischer Gewalt, Vortragsstörungen, Sachbeschädigungen und anderen Straftaten.
Die beiden vorstehenden Strategien sind offensichtlich unzulässig, dies ist auch leicht erkennbar und angreifbar. Eine dritte, sehr häufig angewandte Diskursstrategie ist nicht offensichtlich erkennbar: die implizite Benutzung der (statistischen) blank-slate-Hypothese als versteckte Null-Hypothese in Diskriminierungsbehauptungen. Beispiele sind in Behauptungen, daß Durchschnittslöhne von Männern und Frauen "von Natur aus" gleich sein müßten, daß "eigentlich" gleich viele Frauen wie Männer in der IT-Branche arbeiten müßten, daß "eigentlich" Mädchen die gleichen Leistungen in der Mathematik erbringen wie Jungen (aber nicht in den Sprachen, da sind Mädchen auf einmal "talentierter") usw. usw. Die beobachtbaren Ungleichheiten werden als Beweis für Sexismus und Frauendiskriminierung angesehen. Über den Begriff Diskriminierung wird unterschwellig folgende Argumentationskette unterstellt:
  1. Vorausgesetzt wird die statistische blank-slate-Hypothese: "von Natur aus" haben Frauen statistisch die gleichen Interessen, Talente usw. wie Männer.
  2. Daraus folgt, daß sich überall 50% Geschlechterquoten, gleiche Durchschnittslöhne etc. ergeben, die Geschlechterunterschiede sind also "von Natur aus" statistisch null.
  3. Soziale Ungleichheiten beweisen daher die Existenz von Diskriminierungen, die nicht "von Natur aus" vorhanden, sondern sozial konstruiert sind.
  4. Diskriminierungen sind schlecht und verändern eine Gesellschaft zum schlechteren (daher richten sich Interventionen immer gegen solche Diskriminierungen, z.B. schädliche Geschlechter-Stereotype).
Diskursiv wird hier der Trick angewandt, die These von der Gleichverteilung von Interessen, Talenten usw., also die statistische blank-slate-Hypothese, nur implizit aufzustellen. "Bewiesen" wird sie gar nicht, sie wird noch nicht einmal explizit erwähnt, sondern implizit durch die Argumentation als zutreffend unterstellt. Der entscheidende Trick sind reine Unterstellungen, daß "von Natur aus" oder "eigentlich" bestimmte Verhältnisse herrschen würden. Man beginnt also mit dem obigen 2. Schritt als Selbstverständlichkeit. Diese Beweiskette ist absurd. Es spricht im Gegenteil sehr viel dafür, daß ohne Kultur und soziale Einflüsse noch viel größere Ungleichheiten, um nicht zu sagen Mord und Totschlag, auftreten würden.

Eine Variante der Strategie, die unterstellte blank-slate-Hypothese gar nicht zu beweisen, besteht darin, schwache bis unhaltbare Argumente als Beweis zu präsentieren, ein Beispiel hierzu zeigt Clegg (2017).



Literatur



Allgemeinverständliche Übersichten
Bücher
  • David C. Geary: Male, Female: The Evolution of Human Sex Differences, Second Edition. APA Books, ISBN 978-1-4338-0682-7, 01.11.2009. https://www.apa.org/pubs/books/4318066
  • Steven Pinker: The Blank Slate: The Modern Denial of Human Nature. Penguin Books, 528 S., ISBN 978-0142003343, 2002. https://www.amazon.de/The-Blank-Slate-Modern-Denial/dp/0142003344, s.a. Leseliste: Steven Pinker: "The Blank Slate"
  • Susan Pinker: Das Geschlechterparadox. Über begabte Mädchen, schwierige Jungs und den wahren Unterschied zwischen Männern und Frauen (Originaltitel: The Sexual Paradox. Extreme Men, Gifted Women and the Real Gender Gap). DVA, 2008.
    Aufbereitung und Verdichtung von rund 400 wissenschaflichen Originalpublikationen mit dem Gesamtresümee, daß Männer und Frauen signifikant verschiedene Talentverteilungen haben und biologische Dispositionen eine wesentliche Ursache des unterschiedlichen Sozialverhaltens sind.
Geschlechterunterschiede in feministischen Kulturen
Die folgenden Quellen zeigen, daß in egalitären, feministischen Gesellschaften die Geschlechterunterschiede nicht verschwinden oder kleiner sind, was nach der blank-slate-Hypothese zu erwarten wäre, sondern größer werden.
  1. Erik Bihagen, Tally Katz-Gerro: Culture consumption in Sweden: The stability of gender differences. Poetics, 06.2000. https://www.researchgate.net/publication/223529887_Cult ... erences
  2. Paul Costa, Antonio Terracciano, Robert R. McCrae: Gender Differences in Personality Traits Across Cultures: Robust and Surprising Findings. Journal of Personality and Social Psychology Vol. 81, p.322-31. 10.1037//0022-3514.81.2.322, 09.2001. https://www.researchgate.net/publication/11825676_Gende ... indings
  3. David P. Schmitt, Anu Realo, Martin Voracek, Jüri Allik: Why Can't a Man Be More Like a Woman? Sex Differences in Big Five Personality Traits Across 55 Cultures. Journal of Personality and Social Psychology 94:1, p.168-182, 2008. https://www.bradley.edu/dotAsset/165918.pdf
  4. David P. Schmitt, Audrey E. Long, Allante McPhearson, Kirby O'Brien, Brooke Remmert, Seema H. Shah: Personality and gender differences in global perspective. International Journal of Psychology 52:S1, Dec. 2017, p.45-56, DOI 10.1002/ijop.12265, 21.03.2016. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ijop.12265/full
    Empirically, evidence suggests gender differences in most aspects of personality-Big Five traits, Dark Triad traits, self-esteem, subjective well-being, depression and values-are conspicuously larger in cultures with more egalitarian gender roles, gender socialization and sociopolitical gender equity. Similar patterns are evident when examining objectively measured attributes such as tested cognitive abilities and physical traits such as height and blood pressure. Social role theory appears inadequate for explaining some of the observed cultural variations in men's and women's personalities.
Sonstige Quellen
  1. Charlotta Stern: Undoing Insularity: A Small Study of Gender Sociology's Big Problem. Econ Journal Watch 13(3), p.452-466, 09.2016. https://econjwatch.org/file_download/943/SternSept2016.pdf
  2. Candace West, Don H. Zimmerman: Doing Gender. Gender & Society 1, S.125-151, 06.1987. https://links.jstor.org/sici?sici=0891-2432%28198706%29 ... O%3B2-W
  3. Lara M. Wierenga, et al.: Greater male than female variability in regional brain structure across the lifespan. Human Brain Mapping, DOI 10.1002/hbm.25204, 12.10.2020. https://onlinelibrary.wiley.com/toc/10970193/0/0